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Achim Wagner

vor einer ankunft

Auf Reisen zu lesen

Achim Wagner | vor einer ankunft
Achim Wagner
vor einer ankunft
Gedichte
Yedermann 2006
Achim Wagners Lyrik ist, unabhängig von der Länge seiner Gedichte, von prosaischer Natur. Der Autor erzählt dichte Geschichten: auf einem hügel / der schutzpatron / der kleinen leute / karottennasig mit / zylinder, / und jeden weißen / tag die prozession / der schlitten. (schneedorf).

Mitunter scheint in einigen seiner Texte eine fremde Spezies zu Wort zu kommen, die sich Menschen verständlich machen will und es auch schafft, die aber dennoch in ihrem eigenwilligen Sprachkokon geschützt bleibt: verpackte hände frost / auf scheiben fernseh / flacker farbe zum park / ufer ich mantel schieber / mütze ziehe einen / kleinen kreis um mich / gegend schritte seit / jahren vertraut ziellos / knacken äste knirscht / (...) (gestreunte nacht).

Durch das Bannen von Aufmerksamkeit bei gleichzeitigem Auslassen von Ersehntem und Erwartetem erreicht Wagner mit dieser Gedichtform einen fast erotischen Dauerzustand. In den Gedichten wiederum, in denen es tatsächlich um körperliche Liebe geht, wird er eher derb und damit vordergründig. Überraschungen oder frischere Wahrnehmungen bleiben aus, wenn es heißt: ihr arsch so exponiert / die lenden ihre hüften / wenn sie sich wandelt / von der beobachterin / zur entdeckerin / zur gefährtin / zur kokotte / wenn sie greifbar wird / ohne eile voller gier / alle zugänge offen / (...) (ode).

Das Gedichte-Kapitel Einstiche. Köln ist ganz der rheinländischen Metropole verschrieben. Wer die Stadt Köln kennt, wird viel Lokalkolorit in Gedichten wie deutzer kirmes, kalk kapelle, von der südbrücke etc. wiederfinden. Im Poem einstiche. köln wird allerdings ein Paradoxon klar: Wagner ist zwar in seiner Lyrik prosaisch, sollte sich aber der Prosa nicht allzusehr zuneigen: Hier verliert der Text nämlich deutlich an Dichte und der Autor sich selbst im Aneinanderreihen von wenig bemerkenswerten Beobachtungen der Stadt. Es kommt hier keine Potenzierung von Wahrnehmungsqualitäten, keine Transformation von solcherlei Beobachtungen auf, die man nicht schon unzählige Male selbst gemacht hätte. (...) ich umfahre eine gruppe schüler auf / dem radweg den kopf noch im resttraum resttraum / schlaf sind mir die morgenbilder oberfläche ohne / reflektion eins nach dem anderen & das nächste / ((die füße mechanisch auf den pedalen))...die / besiegten im park mit wein + bier zum aufstehen / seitwärts ein paar einwegkanülen von gestern & / hunde mit zottigem fell...kalter wind wie eine / frischluftdusche im gesicht stiche die augen tränen / (...).

Viel schöner als sein Sich-Dehnen ins rheinländische Kolorit ist es, wenn Wagner fernreist und sich dicht und kurz fasst. Mit wenigen Worten schafft er es dann, uns mitzunehmen in Wüsten oder Länder kurz vor der regenzeit. Hier finden sich die sonst in diesem Band eher seltenen magischen Bilder, die über seinen vorwiegend realistischen Blick und sein Spiel mit sprachlichen Strukturen hinausweisen: (...) die luft benzol ozon harrt ein / gecko seit stunden mundoffen / aus deinen händen sprießen / salamander meine liebe / (...) (puste du den tag aus). Oder in vor der regenzeit: (...) manchmal greifen / deine hände und / klammern fiebrig / ich blase deinen / brauen kühle den / schläfen mit dem / tam-tam der kongas / deine augen auf hell.

Wagner nimmt uns mit auf Miniatur-Reisen. Wir können uns von ihm mitziehen lassen und glauben, dass wir im nächsten Moment am Ziel der Reise ankommen werden. Aber der Autor hält uns wie ein Seiltänzer virtuos in der Schwebe und erlaubt uns diese Ankunft nicht. Die Reise, die er mit uns begonnen hat, reicht fast immer über das Gedichtende hinaus und liegt in einer unbestimmten Ferne. Er hat uns nur zur Abreise angestoßen.

Sein Lyrikband vor einer ankunft ist ein Buch, das sich gut auf Reisen lesen lässt. Am besten, bevor man am Ziel ist.

Achim Wagner im Poetenladen

Rusalka Reh     11.12.2006    

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