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Wer hat Angst vor RDB?

Kommentar von Axel Kutsch

Karl-Eckhard Carius
Rolf Dieter Brinkmann
Schnitte im Atemschutz
text & kritik 2008

Es gab in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts Menschen, die Angst vor Rolf Dieter Brinkmann hatten. So sollen Kölner Buchhändlerinnen Schweiß­aus­brüche bekommen haben, wenn er den Laden betrat. Ein weichgespülter Zeitgenosse war er sicher nicht für seine Umwelt. Davon kann auch Marcel Reich-Ranicki ein paar Zeilen lispeln. Der zornige junge RDB hatte 1968 in der Akademie der Künste in Berlin mit einem Buch auf ihn gezielt und dabei erklärt, daß er ihn erschießen würde, wenn dieses Buch ein Maschinengewehr wäre. Die lebensbedrohende Attacke mit bedrucktem Papier veranlaßt den allgewaltigen, Bild­schirme und Zeitungsseiten füllenden Großkritiker heute noch zu dem Urteil, daß Rolf Dieter Brinkmann „ein ungewöhnlich ordinärer und abstoßender Mensch“ gewesen sei.

Offenbar ist die Angst vor RDB nach wie vor so groß, daß manche Germanisten einen weiten Bogen um das Werk des 1975 tödlich verunglückten Dichters machen. In der dunstigen Abgestorbenheit Kölns, in der er seit 1962 gelebt, gelitten und gelegentlich auch gewütet hatte, gibt es sogar Deutschleher, die sich beharrlich weigern, seinen Namen überhaupt zu kennen. Wenn man sie nach Brinkmann fragt, fällt ihnen auf Anhieb die Schwarzwaldklinik ein – und sonst nichts.

Ganz anders verhält es sich da bei ihrem Kollegen Dieter Liewerscheidt, der segensreich als Oberstudienrat für Deutsch und Geschichte an einem Mönchengladbacher Gymnasium wirkt. Er kennt nicht nur den Namen, sondern schreibt auch über die Poesie und die heutige Rezeption in der Öffentlichkeit des Autors von „Westwärts 1&2“. In der renommierten Germanistenzeitschrift „Wirkendes Wort“ veröffentlichte er jetzt unter dem Titel „Pop und danach. Rolf Dieter Brinkmanns Lyrik in ihrem Dilemma“ einen Beitrag, der sich als das eigentliche Dilemma erweist. Liewerscheidt glänzt darin unter anderem mit folgender Aussage, die wenig Anlaß bietet, ihm auch nur ansatzweise so etwas wie Durchblick zu bescheinigen: „Abgesehen vom Kultstatus in einer kleinen Fangemeinde genießt sein Werk heute den Bekanntheitsgrad eines Geheimtipps.“

Kleine Fangemeinde, Geheimtipp – man könnte solchen Unsinn ignorieren, wenn er nicht in einem angesehenen Fachblatt für Germanisten publiziert worden wäre und somit zur Meinungsbildung von Menschen beiträgt, die das geistige Niveau junger Leute erheblich mitbestimmen. Offenbar hatte Dieter Liewerscheidt bei seiner realitätsfernen Einschätzung Kollegen vor Augen, für die Brinkmann ausschließlich eine Fernsehfigur ist, die einst im Schwarz­wald quotenträchtig liebte und operierte.

Rolf Dieter Brinkmann
Westwärts 1&2
Rowohlt (1975, 1999, 2005)

Diese Zeitgenossen gehören nicht zu den rund 22.000 „Fans“, die bisher „Westwärts 1&2“ gekauft haben. Ihnen ist auch entgangen, welche Wirkung RDB gerade nach dem Erscheinen der erweiterten Neuauflage dieses legendären Lyrikbandes im Jahre 2005 hatte. So wurde 2006 ein Kinofilm mit dem Titel „Brinkmanns Zorn“ fertiggestellt, der inzwischen auch als DVD vorliegt und im Fernsehen (WDR) gezeigt worden ist. Außerdem gab es 2005 und 2006 in Bremen bzw. Köln Ausstellungen, in denen man sich wochenlang über das Leben und Werk Rolf Dieter Brinkmanns informieren konnte. Soeben ist in der „edition text + kritik“ ein Band über ihn erschienen („Schnitte im Atemschutz“). Weiterhin tragen die Rolf-Dieter-Brinkmann-Gesellschaft sowie Essays (u. a. von Theo Breuer in „Aus dem Hinterland“, 2005) immer wieder dazu bei, daß RDB nicht nur von einer „kleinen Fangemeinde“ wahrgenommen wird.

Wenn es Germanisten gibt, die nicht eimal seinen Namen kennen, bedeutet das keineswegs, daß Brinkmanns Werk heute den Bekanntheitsgrad eines Geheimtipps genießt. Vielleicht sollte Dieter Liewerscheidt einmal über den Gartenzaun schauen. Dort gibt es eine Farbe, die sich erheblich von den tristen Grautönen mancher Kollegen unterscheidet – sozusagen ein anderes Blau.

 

Axel Kutsch  27.10.2008   

Axel Kutsch
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