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Ron Winkler (Hrsg.)

Schwerkraft – Junge amerikanische Lyrik

Blick über die Grenzen

Ron Winkler (Hrsg.) | Schwerkraft. Junge amerikanische Lyrik
Ron Winkler (Hrsg.)
Schwerkraft
Junge amerikanische Lyrik
Jung und Jung, 2007
Ron Winkler ist nicht nur ein ausgezeichneter Dichter, sondern auch einer der belesensten in Sachen junge Lyrik. Seine Zeitschrift Intendenzen bereicherte einige Jahre die literarische Szene und seine Gedichtanthologie Lyrik.Log ist ein Klassiker im Netz. Nun hat er einen Band junger US-amerikanischer Lyrik herausgegeben und stellt darin 19 Autoren vor.

Im Zeitalter der Globalisierung, so könnte man meinen, sei es selbstverständlich, dass die Literaturen der Länder im engen Konnex stehen. Während von McDonald's bis Microsoft, von der Soap Opera bis zur Amerikanismenflut die USA allgegenwärtig sind, wird die junge amerikanische Lyrik diesseits des Atlantiks jedoch kaum wahrgenommen. Das macht dieses Buch doppelt wichtig und zu einer der anregendsten Gedichtsammlungen überhaupt. Sehr couragiert greift es den Titel jener legendären Ausgabe auf, die Walter Höllerer und Gregory Corso 1962 herausbrachten.

In der Vorbemerkung skizziert Ron Winkler das Spektrum junger amerikanischer Lyrik. Wir finden »Gedichte im Kleid postmoderner Launenhaftigkeit neben Texten, in denen die Beatlyrik nachwippt; pointierte kleine Sets genauso wie stoffsatte Mittelstreckenballaden und myriadische Meditationen.« Während sich im deutschsprachigen Raum das lange Gedicht trotz Höllerers Plädoyer nie wirklich etablieren konnte, ist für die junge Generation amerikanischer Dichter jener »freiere Atem« in der Lyrik überall spürbar. Man zieht das unverkrampft Narrative dem Experimentellen vor, die Alltagsnähe dem Akademischen und lässt im legeren Duktus Poesie aufblitzen.

Typisch für die Weiträumigkeit des Dichtens ist das kumulative Gedicht von Juliana Spahr, das den Band eröffnet. Auf viereinhalb Seiten entwirft sie ein sprachgewaltiges und formrigoroses Poem mit dem Titel: Gedicht, geschrieben nach dem 11. September 2001. Es beginnt mit einem elementaren Konstatieren und geht in einen prozessualen Versuch des Weltbegreifens über. Sprachlich arbeitet es additiv, indem es Satzelemente positioniert, die mit jeder Wiederkehr um einen neuen Gedanken erweitet werden. Das sukzessive Verfahren gerät zur magischen Beschwörung: »There is space between the hands. / There is space between the hands and space around the hands. / There is space around the hands and space in the room. / There is space in the room that surrounds the shapes of everyone's hands and body and feet and cells and the beating contained within.«

Ganz anders dichtet Jennifer Knox aus New York. Ihr Hot Ass Poem (Geiler Arsch Gedicht) lässt mit viel Lässigkeit und Selbstironie Beatlyrik nachklingen: »Hey check out the ass on that guy he's got a really hot ass I'd like to see his ass naked with his hot naked ass …« Von Ron Winkler übersetzt: »Hey check mal den Arsch von diesem Typen der hat einen wirklich geilen Arsch würde ich gern nackt sehen seinen geilen nackten Arsch …« Das Gedicht führt sich ad absurdum, bis dass ein Fahrrad, bis dass ein Bauwerk einen »hot ass« hat: »Hey check out that building it's got a really really really hot ass …« So wird die erotische Attitüde mit Komik entlarvt, und es gelingt ein erfrischend anderer Blick auf stereotype Haltungen.

Es fällt auf, dass die deutschen Übersetzer – unter ihnen Uljana Wolf, Jan Wagner, Monika Rinck und Sabine Scho – durchweg jünger sind als die vorgestellten Autoren. Jüngste Dichterin des Bandes ist Sarah Manguso, geboren 1974 und damit 5 Jahre älter als die Peter-Huchel-Preisträgerin Uljana Wolf und ein Jahr älter als der Herausgeber. Vielleicht ist die Zahl brillanter Junglyriker auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten keineswegs unbegrenzt. Beim wiederholten Lesen verliert manche in Gedichtform verpackte Story ein wenig an Reiz. Manches, was beim ersten Lesen verblüfft, scheint beim zweiten Lesen nicht ganz ohne Trivialität. Wohlgemerkt: Die meisten Gedichte behaupten sich souverän zwischen Dichtung und Alltag. Dank also an Ron Winkler, Dank an die Übersetzer für dieses spannende und notwendige Buch! Es wird, hoffen wir, auch von jungen Lyrikern in diesem Land gelesen und als Anregung begriffen, zeigt es doch, was alles in einem Gedicht Patz haben kann.

Ron Winkler im Poetenladen.

Andreas Heidtmann    06.05.2007    

Andreas Heidtmann
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