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Performancekollektiv PIK 7

Gespräch mit Jan Kuhlbrodt für den poetenladen
Literatur und Reichtum
  Gespräch    Literatur und Reichtum
  Gespräch in poet nr. 23   externer Link

Life auf der poet-Leseparty
galerie KUB, Leipzig
28.10.2017 um 20 Uhr   externer Link


Foto: Jan Löser
Das Kollektiv Pik7 besteht aus den drei Leipziger Künstlerinnen Angelika Waniek, Martina Hefter und Ulrike Feibig, die in den Gattungen Literatur / Dichtung, bildende Kunst und Performance?/?Tanz tätig sind. Gemeinsam und gleichberechtigt setzen sie Verfahren und künstlerische Mittel ihrer Arbeitsgebiete miteinander in Beziehung, wobei jedes Mitglied auch die Grenzen zur jeweils anderen Kunstform überschreitet – bzw. wird die Frage nach den Begrenzungen gar nicht erst gestellt.


Jan Kuhlbrodt: Ich habe euch eingeladen, mit mir über Reichtum zu reden, weil ihr eigentlich drei seid. Alle anderen werden sicher nur einen Gesprächspartner haben. Und auch wenn ihr heute nur zu zweit seid, weil die dritte wahrscheinlich anderweitig mit Reichtumsbeschaffung beschäftigt ist, bleibt das immer noch ein gewisser Reichtum.
  Ihr seid das Performancekollektiv Pik7 und habt zuletzt eine Performance über Geld gemacht. Das war für mich der Anlass, euch einzuladen. Ich frag jetzt einfach mal abstrakt: Was ist Reichtum für euch?

 

Angelika Waniek: Ganz abstrakt gesehen ist Reichtum etwas, was zu viel ist. Für mich ist Reichtum etwas, was ich eigentlich nicht brauche, weil es ein Plus darstellt zu dem Eigentlichen, was ich brauche. Für mich ist Reichtum Luxus.

 

Martina Hefter: Also ich habe vor kurzem mal über den Begriff nachgedacht: Meistens denkt man da sehr schnell an Geld. Aber es gibt ja auch andere Bedeutungen: Ein Reichtum an Erfahrung oder so. Dann ist Reichtum für mich noch nicht ein Zu-Viel, sondern ein Viel. Es ist also etwas reichhaltig oder viel vorhanden. Das muss nicht Geld sein, sondern kann alles sein. Reichtum an Himbeeren zum Beispiel. Es heißt doch oft: Du hast einen Reichtum an Farben und Formen. Es gibt so feststehende Begriffe. Ein Sprachreichtum. Das heißt dann: Es ist viel da.

 

A. Waniek: Das stimmt. Ich fühle mich manchmal reich, wenn ein Tag voll ist, voll mit schönen Dingen. Dann habe ich das Gefühl: Ich bin erfüllt, reich.

 

J. Kuhlbrodt: Müssen die Dinge schön sein oder reicht auch voll?

 

A. Waniek: Nein, eigentlich müssen sie schön sein. Ein mit Unschönem gefüllter Tag ist für mich kein reicher Tag. Das ist ein voller Tag. Aber ein mit schönen Dingen gefüllter Tag, mit Kaffee am Morgen, mit vielen schönen Gesprächen, mit Sonne, mit guten Briefen, die ins Haus flattern ...

 

M. Hefter: Ja, das würde ich auch so sehen.

 

J. Kuhlbrodt: Reichtum ist also auch mit Schönheit verbunden?

 

M. Hefter: Mit etwas Positivem auf jeden Fall.

 

J. Kuhlbrodt: Es gibt ja verschiedene Vorstellungen von Reichtum. Für die einen ist es der Schatz, der irgendwo in der Kammer liegt. Irgendein japanischer Banker hat mal vor zwanzig Jahren die Sonnenblumen von Van Gogh gekauft, hat sie quasi der Gemeinschaft entzogen, und sie hängen jetzt oder stehen, wer weiß, irgendwie in einem Tresor. Seht ihr diesen Banker als reich an? Muss also Reichtum etwas sein, das auf andere wirkt?

 

M. Hefter: In meiner ersten, also intuitiven Deutung des Begriffs ist es kein Reichtum. Reichtum ist eher Füllhorn. Aber wenn man den Begriff weiterdenkt oder abstrakter denkt, ist der Typ natürlich in dem Sinne reich, weil er viel Geld ausgegeben hat, um sich das Bild kaufen zu können, also muss er im landläufigen Sinne reich sein. Für mich gibt es zwei verschiedene Deutungen des Begriffs.

 

A. Waniek: Für mich ist er nicht reich, für mich ist er gemein, weil er etwas, was er teilen kann – und ein Bild ist da, damit viele es sehen –, für sich nimmt. Wahrscheinlich hat er genügend Geld, um es zu machen. Aber ich finde ihn eher reich an Geld und arm an sozialer Kompetenz.

 

J. Kuhlbrodt: Er hat also seinen Reichtum ergaunert, indem er der Allgemeinheit etwas entzieht?

 

A. Waniek: Das wäre die Frage: Kann man Reichtum nehmen und nimmt dabei anderen etwas weg? Das glaube ich nicht. Da wäre wieder der Begriff von Vielheit, von der Blumenwiese, die, wenn ich sie an­schaue, nicht weg ist für jemand anderen. Das trifft es eher, wie ich Reichtum beschreiben würde, dass er in Übermaßen oder unendlich da ist und nicht kleiner werden kann, wenn jemand anderes auch daran teilhat.

 

J. Kuhlbrodt: Das wäre Reichtum als positiver Begriff.

 

M. Hefter / A. Waniek: Ja!

 

J. Kuhlbrodt: Und Reichtum als Teilen oder Mitteilen zumindest?

 

M. Hefter: Vielleicht ist Reichtum unabhängig von einem Mengen­begriff. Und es ist dann einfach so ein superabstrakter Begriff sogar schon. Der andere Reichtum, der sich aufs Geld bezieht, ist viel mehr von der Menge abhängig.

 

A. Waniek: Reichtum und Luxus wären dann für mich zwei völlig verschiedene Sachen. Luxus – mit diesem X im Wort – das glitzert so, das ist etwas über dem Reichtum oder neben dem Reichtum. Ich kann es noch nicht richtig greifen, aber es sind zwei verschiedene Begriffe. Luxuriös und reich. Reich ist für mich auch immer rund.

 

J. Kuhlbrodt: Also wenn man in die Geschichte geht: Der König hatte eine Krone auf und ein Zepter in der Hand. Die Zeichen für Reichtum und Macht. Reichtum muss in irgendeiner Form auch ausstrahlen. Reichtum funktioniert, denke ich, nicht, wenn er nur für sich selber da ist. Um noch mal auf eure Performance zurückzukommen. In eurer Performance ging es um Geld und nicht um Reichtum. Aber es gibt da Korrelationen. Zum Beispiel die Szene, in der ihr am Boden gesessen seid und die verschiedensten Dinge herum lagen. Sie waren ja schon ein Ausdruck von Reichtum? Das Verschiedene, das vielleicht gar keinen Gebrauchswert hat für den Moment, aber eben da ist.

 

A. Waniek: Im Theater- oder Performancebereich ist für mich der Reichtum in jedem Auftritt gegeben, weil ich Dinge, ob sie viel oder wenig vorhanden sind, in alles verwandeln kann. Das ist für mich reich. Ich kann sagen: Das ist eine Tasse und gleichzeitig kann ich sagen: Das ist ein Ufo. Oder das ist eine Zahl. Das macht es für mich zum Beispiel attraktiv im Bereich der bildenden Kunst einem Ding alle möglichen Bedeutungen zu geben. Die Szene, in der Ulrike und Martina am Boden sitzen und die Sachen tauschen, war auch ein visuell volles Bild.

 

J. Kuhlbrodt: Ihr tauscht?

 

M. Hefter: Ja, wir tauschen. Da ging es für mich eher darum, zu viele Dinge zu haben. Was eben gerade nicht diese Definition von Reichtum wäre.

 

J. Kuhlbrodt: Überfluss als negatives Moment.

 

M. Hefter: Zum Beispiel. Reichtum war in der Performance für mich unter anderem die Idee, dass ich das Kleingeld über ein Jahr lang in der Wohnung gesammelt habe. Als ich diese Szene, also den Text dafür geschrieben habe, habe ich oft über Reichtum nachgedacht, weil das wie ein kleiner Schatz war, den ich da gesammelt habe.

 

J. Kuhlbrodt: Reichtum als Schatz sozusagen, als Schale voller Münzen.

 

M. Hefter: Genau. Dann habe ich das Geld ja auch verschenkt. Insofern kam das eher an den Begriff.

 

A. Waniek: Also wenn Reichtum Thema wurde, dann kam es für mich bei den Ketten. Ulrike Feibig hatte aus verschiedenen Materialien Ketten hergestellt, die durch die Zusammenstellung der Materialien – das waren Sachen aus dem Baumarkt, Muscheln – so prunkvoll aussahen. In dem Moment, wo ich sie umgelegt bekam, so wie vielleicht auch jeder andere sie bekommen hätte, fühlte ich mich aufgewertet.

 

M. Hefter: Ja!

 

J. Kuhlbrodt: Nicht nur spielerisch aufgewertet im Sinne der Performance, sondern wirklich?

 

A. Waniek: Ja: Auf der einen Seite hatte das etwas mit Schönheit zu tun. Ich trage eigentlich keinen Schmuck und habe dennoch so eine schwere Kette bekommen. Und ich glaube, es war eher die Handlung der Menschen, die rechts und links neben mir stehen und mir das wie einen Orden verleihen, und dann haben wir uns auch intern die Hände auf die Schultern gelegt. Das war der Reichtum, dass zwei Frauen links und rechts schräg hinter mir standen – und wir hatten gemeinsame Sachen gemacht.

 

J. Kuhlbrodt: Also Reichtum als verwirklichte Kollektivität?

 

M. Hefter: Man könnte den Begriff jetzt sogar erweitern, indem man einbezieht, dass ich es als Reichtum empfinde, in welcher Form wir ­arbeiten können. Das war für mich ein zentraler Moment, als ich beim Anlegen der Ketten gemerkt habe, da ist meine Rolle in dieser Performance – wenn man da von Rolle sprechen kann – oder meine Funktion, deckungsgleich mit dem, was ich auch wirklich bin. Aber das ist in der Performance oft. Es ist nicht wie im Theater, dass man eine Rolle spielt. Manchmal gibt es zwar Grenzbereiche. Und wenn man das jetzt überträgt, habe ich das als Reichtum empfunden, und empfinde das immer noch als Reichtum, dass ich, pathetisch gesprochen, das Glück des Kostbaren so eins zu eins erleben konnte in der Performance.

 

J. Kuhlbrodt: Wenn du dich als Person aufgehoben fühlst.

 

M. Hefter: Ja, im weitesten Sinne. Diese Freude, die Kette umgelegt zu bekommen, war nicht nur eine Freude innerhalb dieses künstlerischen Aktes, sondern war verschmolzen mit der Freude am Dasein überhaupt.

 

A. Waniek: Als hätten wir uns gegenseitig gewürdigt.

 

M. Hefter: Es war eben nicht eine rein theatrale Geschichte.

 

J. Kuhlbrodt: Ihr habt euch quasi als reale Personen realisiert?

 

A. Waniek: Aber auch, weil die Materialien an der Grenze waren ...

 

M. Hefter: ... an der Grenze zum Abfall. Es waren auch alte Kreditkarten dabei. Als Schmuckelement.

 

A. Waniek: Ja, zerschnittene. Und das Samtband, was das Ganze angenehm zu tragen machte.

 

A. Waniek: Ulrike hat das sehr liebevoll gearbeitet.

 

M. Hefter: Stimmt. Die Ketten sind wirklich wunderschön. Unsere erste Vorstellung war in Chemnitz, da waren die Ketten noch nicht fertig. Und ohne die Ketten war es eine ganz andere Art von Arbeit.

 

J. Kuhlbrodt: Das heißt, dieser Reichtum verändert auch die Körperlichkeit? Ich musste jetzt die ganze Zeit an die Beuystorte denken.

 

M. Hefter: Ja, Beuys hat eine Hochzeitstorte aus Biskuitteig und Creme gemacht und dann mit Blattgold überzogen. Aber riesengroß – das Rezept stand im SZ-Magazin. Und es hieß, dass es ein Riesenaufwand sei. Und es geht gar nicht um das Geld, sondern um die Schwierigkeit, das Blattgold aufzubringen. Meine Cousine hat mal bei der Restaurierung der Wieskirche mitgearbeitet und brachte manchmal verschiedene Dinge von der Arbeit mit. Unter anderem auch etwas Blattgold. Und damit haben wir eine kleine Ecke des Küchentisches vergoldet. Der Zusammenhang von bereichern und anreichern ist interessant. An­reichern ist ja eher ein chemischer oder physikalischer Begriff: etwas reichert sich im Körper an. Quecksilber oder so. Bereichern heißt, jemand oder etwas macht mein Leben reicher. Oder jemand bereichert sich.

 

J. Kuhlbrodt: Das heißt aber nicht, dass es etwas mit Geld oder so zu tun hat, das heißt, Reichtum ist alles Mögliche – wir müssen das nicht restlos klären. Im landläufigen Sinne seid ihr zwei ja nicht sonderlich reich.

 

A. Waniek: Eigentlich arm.

 

J. Kuhlbrodt: Aber ihr empfindet euch nicht als arm?

 

A. Waniek: Darüber habe ich auch nachgedacht. Als meine Tochter lesen konnte und kombinieren, kam sie irgendwann ganz aufgeregt an und sagte, sie verstehe das nicht, sie habe gehört, dass wir am Existenzminimum leben und sie als Tochter einer alleinerziehenden Mutter ein armes Kind sei. In dem Moment habe ich das Argument gebracht, mit dem ich auch meinen Eltern gegenüber argumentiere: materiell arm, aber nicht ideell.

 

J. Kuhlbrodt: Dem traust du aber nicht.

 

A. Waniek: Nein, dem trau ich nicht, weil sich das ja nicht ausgleicht.

 

J. Kuhlbrodt: Das ist bei dir auch so?

 

M. Hefter: Wahrscheinlich würde das jeder von uns so sagen. Wir sind im monetären Sinne arm, aber fühlen uns nicht arm und sind eigentlich ganz zufrieden, sind reich an Beziehungen und reich an Ideen. Das ist richtig, aber es ist auch ein Konzept, von dem ich sagen würde: Irgendwo ist trotzdem ein Haken. Es ist so ein Narrativ. Das heißt auch, dass man dann zufrieden ist mit dem, was man hat. Aber damit kannst du ganz schnell Ungerechtigkeiten hinweg bügeln, indem von armen Leuten gefordert wird – das ist auch schon ein Konzept aus dem Märchen –, dass die Armen trotzdem glücklich seien. Arm aber glücklich. Das ist ein Konzept, dem ich misstraue.

 

A. Waniek: Weil es ja auch umgekehrt heißen würde, die Reichen sind unglücklich.

 

J. Kuhlbrodt: Und euer neues Projekt?

 

A. Waniek: Hat nichts mehr mit Reichtum zu tun.

 

M. Hefter: Ist eher ein Generationenprojekt.

 

J. Kuhlbrodt: Ich bin gespannt und danke euch für das Gespräch.
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