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Literatur in Cafés und Kneipen

Kaffee Burger – Berlin Mitte
  Reportage von Johanna Hemkentokrax | 1. Teil

Johanna Hemkentokrax besuchte für die aktuelle Ausgabe des Magazins poet (nr. 11) vier literarischen Kneipen und Cafés und hielt ihre Eindrücke in einer Reportage fest. Die Illustrationen besorgte Miriam Zedelius.

  Teil 1 – Kaffee Burger
Teil 2 – Rumbalotte continua
Teil 3 – Helheim Plagwitz
Teil 4 – Literaturweinstube Apolda

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Dämmerlicht, Zigarettenrauch, Alkohol: Plätze, an denen Menschen sich zum Trinken treffen, bereiten seit jeher die besten Böden für Literatur. Bars, Absteigen und Spelunken. Orte, nicht explizit der Kultur verschrieben – aber sie kann hier entstehen. Orte zwischen Tag und Nacht; wer sie betritt, bringt seine eigene Geschichte meist schon mit; Himmel und Hölle liegen wohl nirgendwo auf dieser Welt so dicht beieinander wie am Tresen der Stammkneipe. Es gibt auch Kneipen, die sich explizit der Literatur verschrieben haben. Die literarische Kneipe kann ein Ort für Lesungen sein, an dem man sich austauscht oder sogar schreibt. Eins ist sicher: Die Kneipe ist ein Schutzraum. Und sie ist einer der literarischsten Orte dieser Welt. Johanna Hemkentokrax hat sich auf eine literarische Kneipentour begeben und viel Spaß gehabt.


In Berlin Mitte an der Torstraße liegt die traditions­reiche Tanzwirtschaft Kaffee Burger. Von außen völlig unspek­takulär, erinnert das Interieur an eine Mischung aus Western-Saloon und DDR-Tanzsaal. Jetzt, am späten Nachmittag, probt vorn im notdürftig beleuchteten Raum neben der Bar eine Band für den Abend. »Das wird ein kurzes Interview«, sagt Betreiber Heinz Heymann gleich zur Begrüßung und bittet in den hinteren Kneipenraum. Literatur­veran­stal­tungen gebe es hier heute so gut wie keine mehr. In den 20er Jahren als anrüchiges Lokal der Séparée­kultur Café Lido gegründet, wurde das Kaffee Burger nach dem Tanzverbot im Dritten Reich in den 70er zu Treffpunkt und Stammkneipe der Künstler­szene und Intel­lektuel­len-Boheme. Hier trafen sich die Schauspieler der Volksbühne, Dichter und Schriftsteller des Unter­grunds der DDR. Ulrich Plenzdorf, Thomas Brasch, Heiner Müller, Bettina Wegner und Katha­rina Thalbach waren Stamm­gäste im Burger. Nach der Repres­sionen durch die Stasi Ende der 70er wurde es in den 80er und 90er Jahren als gewöhn­liche Gast­stätte weiter betrieben. Als Heymann das Kaffee Burger mit Bert Papenfuß und Uwe Schilling 1999 von der alten Frau Burger übernahm, wollten sie die litera­rische Tradition der 70er wieder­beleben. »Eine Kombi­nation aus Musik und Literatur sollte es sein«, sagt Heymann, »und dann wurde es immer mehr Party und immer weniger Literatur.« Die Leute seien einfach weggeblieben. »Das ist eine andere Klientel als früher«, sagt Heymann. Dabei hatte eigentlich alles ganz hoff­nungs­voll begonnen.

Wladimir Kaminer gehört zu denen, die mit dem Kaffee Burger groß geworden sind. Er war Mitglied der bekann­ten Lese­bühne Heim und Welt, die im Kaffee Burger stattfand. Als er begann hier erste Lesungen zu machen, kamen bis zu 200 Leute am Abend. »Da mussten wir am Anfang zusperren, weil keiner mehr reinkam«, erzählt Heymann bei Kaffee und Zigarette, »aber selbst das hat sich nach zwei Jahren nicht mehr gelohnt.« Die Russen­disko laufe noch gut. Kaminer lege immer noch zweimal im Monat auf. Ansonsten werden alle paar Wochen Bücher released. »Da kommen schon weniger«, sagt Heymann. Ohne Party im Anschluss geht nicht mehr viel – jeden­falls nicht literarisch. »Was nach wie vor gut läuft, sind die Lese­bühnen«, so Heymann. Die Lese­bühne Heim und Welt ist auch nach elf Jahren noch sehr beliebt. Auch Poetry Slams funktio­nieren. Durch­schnitts­alter liegt dann bei 25, der Event­charakter lockt besonders junge Leute. Heymann bedauert das nicht. »Ich weigere mich ja immer den Lite­ratur­begriff so hoch zu fassen, als Hoch­literatur. Es muss Spaß machen und dagegen ist eigent­lich nichts zu sagen.« Die in Anfüh­rungs­strichen seriösen Sachen hätten sich ja alle erschöpft. »Manchmal sitzen die hier mit sechs Akteuren und das bei dem Aufwand. Das tat mir ja manchmal mehr weh als denen; wer liest, freut sich über jeden, der kommt.« Natürlich hätten sich die Leute verän­dert. Früher hätte es in Mitte mehr Studenten gegeben. Die könnten sich allerdings die Mieten nicht mehr leisten und seien weg­gezogen. Bars, Hostels und immer mehr Szene­läden haben Berlin Mitte in den letzten zehn Jahren verändert. »Es ist alles sehr viel schnell­lebiger geworden«, sagt Heymann. Er hält das Konzept der »literarischen Kneipe« für überholt. »Aber das war es damals auch schon.« Er leert seinen Kaffee, zuckt mit den Schultern. »Wenn einer vorne sitzt mit nem Mikrofon und ner kleinen Lampe und mehr schlecht als recht das liest, was man selber lesen kann, dann hat sich das überlebt.« Was noch am ehesten funktio­niere sei, wenn die Veran­stalter eine befreun­dete Band einladen und ein Programm machen würden. »Die Leute wollen unterhalten werden.« Heymann hat sich damit abge­funden. Sagt er zumindest. Sie hätten es schließlich wirklich lange versucht. »Wir machen immer noch Lesungen. Wenn jemand kommt und es ist kein Schwach­sinn oder sonstwie anstößig, dann darf er.« Heymann lacht. Man könne nicht drei, vier Tage die Woche mit Literatur füllen. Am Ende sei es nur noch ein Krampf gewesen. Poetry-Slams, Buch-Release-Partys und andere Events von heute haben mit dem künstlerischen Untergrund der 70er zwar nicht mehr viel zu tun. Aber eben auch ihre (literarische) Berechtigung. »Aber Fremdenführer kommen und stellen Touristengruppen vor die Tür«, sagt Heymann. Lächelt milde und wird zum Schluss nachdenklich. »Ich hab mich abgefunden. Irgendwann werden wir alle Hedonisten. Oder wir kriegen Kummerfalten.«


 

Diese Reportage
und weitere Reportagen
zum Thema in poet nr. 11.





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Johanna Hemkentokrax    10.12.2011     

 

 
Johanna Hemkentokrax
Prosa
Reportage