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Julia Zange

Die Anstalt der besseren Mädchen

Lorchen mit dem Puppengesicht

Julia Zange | Die Anstalt der besseren Mädchen
Julia Zange
Die Anstalt der besseren Mädchen
Roman
Suhrkamp 2008
So eine ist Loretta: „Klein, blond und problematisch“, legt sie gerade die zwölfte Mappe mit ausgeschnittenen Tierfotos an. Seitdem sie ihr Studium der Kunstgeschichte abgebrochen hat, hängt sie auf hippen Galeriefesten, coolen WG-Einweihungs­feiern oder Miami-Vice-Partys herum. Auf ihrer to-do-Liste, die ihr Freund Malte täglich schreibt, steht an erster Stelle: „sich um einen Therapieplatz kümmern“. Und wenn Malte ihr keinen Zettel hinterlässt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich für eine Weile an eine Hauswand in der Nähe des Rosenthaler Platzes zu lehnen, um Blicke auf sich zu ziehen: „Am meisten wert sind die Blicke von Männern in Begleitung einer Frau.“ So eine ist Loretta.

Und so einer ist Malte: In „der Frage, auf welche Flaschen Pfand erhoben wir und welche man in den Mülleimer werfen kann“, ist der nüchtern-rationale Assistenzarzt der lebensunfähigen Loretta überlegen. Ihm gefällt es, „dass er sein Glück darin finden kann, mit ihr vor dem Fernseher zu sitzen“. Auch wenn Loretta keine Beine mehr hätte, wäre Malte für sie da und „würde täglich deine Tränen in einem kleinen Glasfläschchen auffangen und es verkorken“. So einer ist Malte. – Oder, um den Kontrast in einem Satz zusammenzufassen: „Malte sitzt aufrecht da, sie ist wie eine flirrende Unruhe um ihn herum.“

Julia Zanges Romandebüt Die Anstalt der besseren Mädchen verharrt in seinem ersten Drittel in der Zustandsbeschreibung einer unreifen, aus Abhängigkeiten bestehenden Liebesbeziehung. Junge-Mädchen-Literatur, könnte man denken, und erinnert man sich daran, wie die 1983 geborene Autorin vor zwei Jahren ihren Preis beim Open Mike entgegennahm und Ijoma Mangold in der Süddeutschen Zeitung zwei Tage später das „Mannequin-Wunder“ der jungen deutschen Literatur ausrief, wäre dieser Verdacht sofort bestätigt. Doch auch wenn Malte und Loretta an die Protagonisten typischer Literaturinstitutsromane erinnern und im Laufe des Romans ziemlich viel aus verschiedenen Fenster fliegt – unter anderem ein Terrakottatopf, ein Navigationssystem und einen BVG-Fahrschein in kleinen brennenden Schnipseln –, ist Die Anstalt der besseren Mädchen ganz sicher keine Klischeeliteratur.

Vielmehr nutzt Zange den abgegriffenen Charakter ihrer Helden dazu, einen ganz eigenwilligen Beziehungsroman zu schreiben. Zange psychologisiert nicht, sie fährt keine Vater-Mutter-Erklärungsgeschütze auf und kommt fast ohne Rückblenden aus. In einer plastischen, flirrenden Sprache macht sie Lorettas Verlorenheit deutlich und schreibt so unaufgeregt und gelassen, dass selbst dem Leser Lorettas Kapriolen nach einer Weile auf die Nerven gehen. Man wünscht fast, dass Zange ewig in der Zustandsbeschreibung des ersten Drittels verweilt, denn eine Eigenschaft, die Malte an seiner Freundin schätzt, gereicht auch dem Roman zum Vorteil: Langweilig wird es mit Loretta nie.

Aber ein Roman ist ein Roman, und ein Roman braucht offensichtlich Handlung: Loretta wird schwanger, bringt ihr Kind „auf dem Polsterbett eines Dessousgeschäfts in der Nähe der Berliner Volksbühne“ zur Welt, steht jedoch ihrem Nachwuchs ebenso unambitioniert und unentschieden gegenüber wie ihrem eigenen Leben. Sie haut ab und landet in der Anstalt der besseren Mädchen, einem paradiesischen Arbeitslager für junge Mädchen mit einer Porzellanwerkstatt und einer Weberei, in dem Loretta nur allzu gern ihr Kind und die Verantwortung abgibt und ihre Tage „gleichförmig und zweckfrei“ verbringt. Dort entwickelt sich etwas zu viel flirrende Surrealität, driftet der Roman zu sehr ins Abgehobene ab. Warum gerade diese Romanepisode dem Buch seinen Titel gegeben hat, erschließt sich ebenfalls nicht. Am Ende jedenfalls holt der rettende Ritter Malte Loretta zurück in die Stadt, es hat sich scheinbar nicht viel verändert. „Man muss dich beschützen, Lo, du bist eine kleine Feder“, findet Malte noch immer. Doch Loretta verlässt mit dem Kind die Wohnung aus eigenem Antrieb: Schwäne angucken. Und das ist dann fast so schön wie der Anfang des Romans.
Julia Zange, 1983 in Darmstadt geboren, lebt und studiert in Berlin. 2005 gewann die den Hildesheimer Prosanova-Wettbewerb, 2006 belegte sie gemeinsam mit Luise Boege und Katharina Schwanbeck den ersten Platz beim Open Mike. Die Anstalt der besseren Mädchen ist ihr erstes Buch.
Katharina Bendixen     15.10.2008   
Katharina Bendixen
Prosa
Reportage
Gespräch