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Saša Stanišić

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Krieg und Spiel

Saša Stanišic | Wie der Soldat das Grammofon repariert
Saša Stanišić
Wie der Soldat das Grammofon repariert
Roman
Luchterhand 2006
Am Beginn und am Ende steht der Tod des Großvaters Slavko – einmal sein Begräbnis, das andere Mal die Rückkehr zu seinem Grab, beschrieben aus der Sicht seines Enkels Aleksandar. Großvater Slavko ist scheinbar der letzte Bewohner der bosnischen Stadt Višegrad, der eines natürlichen Todes stirbt, denn kurze Zeit nach seinem Begräbnis werden Titos Bilder aus den Schulen entfernt, dann bricht in Višegrad und in Aleksandars Welt der Bosnien-Krieg herein. Vorbei sind damit die großen Feste zur Einweihung von Innenklos, vorbei der Schulunterricht und die unbeschwerte Kindheit.

Aleksandar flieht mit seinen Eltern nach Deutschland. Dort beginnt er, sich seine Heimat in der Erinnerung neu zu erschaffen, um sie nicht komplett zu verlieren. Er schreibt Briefe an Asija, seine Freundin aus Višegrad, deren Adresse er nicht besitzt und von der er gar nicht weiß, ob sie überhaupt existiert. „Man müsste“, sagt Aleksandar, wenn er versucht, sich an seine Kindheit zu erinnern, „einen ehrlichen Hobel erfinden, der von den Geschichten die Lüge abraspeln kann und von den Erinnerungen den Trug. Ich bin ein Spänesammler.“ An einer anderen Stelle heißt es: „Meine Fantasie ist unermesslich.“ Die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verschwimmen im Roman, nicht einmal Aleksandar selbst weiß, was tatsächlich geschehen ist und was er sich nur einbildet, um Erinnerungen überhaupt zu besitzen. Selbst die Rückkehr des nun erwachsenen Aleksandar zu den Stätten seiner Kindheit, auch zum Grab des Großvaters, klärt den Widerspruch zwischen Einbildung und Tatsachen nicht.

Mit Auszügen aus dem Roman Wie der Soldat das Grammofon repariert erhielt der selbst in Bosnien geborene und später nach Deutschland emigrierte Autor Saša Stanišić bereits den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2005. Der Roman steht nun auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis, der zur Frankfurter Buchmesse vergeben wird – kein Wunder bei einem so ungewöhnlichen Stoff für einen Debütroman und seiner genauso ungewöhnlichen literarischen Verarbeitung. Ein großer Teil des Romans ist von einer naiv-altklugen Kindersicht geprägt, die an Jonathan Safran Foers zweiten Roman Extrem laut und unglaublich nah erinnert. „Opas Tod ist das Gegenteiligste vom Sommer.“ heißt es an einer Stelle, oder an einer anderen: „Gestern wurden wir für Deutschland erlaubt. In einem großen Büro warteten wir drei Stunden vor dem Buchstaben K. [...] Um uns K's kümmerte sich Frau Foß. [...] ß ist jetzt mein Lieblingsbuchstabe und eine sehr schöne Erfindung, weil darin zwei s untergekommen sind.“ Diese Erzählperspektive erlaubt es Stanišić, die politischen Hintergründe fast vollständig auszublenden und die Kriegsereignisse im Dorf lediglich zu beschreiben, ohne sie zu interpretieren. Angst spielt dabei eine geringe Rolle, es ist vielmehr die Ungläubigkeit der großen Kinderaugen, die lediglich die Fakten benennt, ohne sie in einen großen Zusammenhang zu stellen.

Gleichzeitig führt die kindliche Erzählperspektive zu einem spielerischen Umgang mit der Gattung Roman: Rückblenden überlappen sich mit der Beschreibung der Gegenwart, Realität mit Aleksandars Fantasie, selbst eine Aufzählung aller von Aleksandar vor und während des Kriegs gemalten Bildtitel ist erlaubt. Bei dieser Aufzählung findet sich die kindliche Fantasie in ihrer reinsten Form: „Der Friedhof in Veletovo ohne Opa Slavkos Grabstein“ oder „Grammofon ohne Soldatenreigen in der Nähe“ heißen die Bilder beispielsweise – ein weiteres Mal macht Stanišić hier deutlich, wie die kindliche Beobachtung funktioniert: Was nicht gefällt oder überfordert, wird ausgeblendet und nicht dargestellt. Die große Leistung des Romans Wie der Soldat das Grammofon repariert ist die Ironisierung und das Ins-Absurde-Führen eines Sujets, das man sich nur in einer ernsten Verarbeitung vorstellen kann.
Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad in Bosnien-Herzegowina geboren und kam als Vierzehnjähriger nach Heidelberg. Seit 2004 studiert er am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Stanišić hat mehrere Stipendien und Preise erhalten, u.a. den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Wie der Soldat das Grammofon repariert ist sein Romandebüt. Mit diesem Debüt steht er auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2006.

Katharina Bendixen     14.09.2006

Katharina Bendixen
Prosa
Reportage
Gespräch