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Klaus-Peter Wolf
Samstags, wenn Krieg ist


1.

Er hat lange genug im Dunkeln gestanden und zugesehen. Es wird Zeit, ins Licht zu treten.
Die anderen werden schon unruhig, halten es hinterm Gartenzaun nicht länger aus. Sie wollen endlich ran ans Bier und ans kalte Buffet. Sie wollen ihre Musik auflegen. Den Rhythmus verändern. Sofort.
„Schlimme Lieder. Böse Texte. Ja, so soll es sein“, summt er. Wie eine Tonbandspule, die sich immer wiederholt, kreist heute dieser Song von den Böhsen Onkelz in seinem Kopf.
„Los!“ drängt Siggi. „Übernehmen wir die Fete.“
Aber Wolf deutet an, dass sie noch warten sollen. Nur einen Moment. Er entscheidet, wann es losgeht.
Er genießt die Vorfreude.
Wie aufgeblasen diese Typen herumlaufen. Wie sie balzen. Sich wichtig tun.
„Nach Ibiza kann man ja wirklich nicht mehr fahren. Diese überfüllten Strände.“
„Wir haben das Haus jetzt renovieren lassen. Das alte Fachwerk ist geblieben. Aber Doppelglasscheiben. Fußbodenheizung.“
Sie haben sich fein eingerichtet mit ihren dreizehn Monatsgehältern. Ihren Lebensversicherungen und Eigenheimen. Für Typen wie uns ist kein Platz in ihrer beschissenen Demokratie. Die Party läuft ohne uns. Aber wir sind da. Man kann uns nicht wegdiskutieren. Wir lassen uns nicht besoffen reden.
Er weiß genau, was gleich passieren wird, wenn er aus dem Gebüsch kommt, über den Gartenzaun steigt und wie selbstverständlich auf das kalte Buffet zugeht. Wie ein geladener Gast.
Sie werden zunächst so tun, als ob sie ihn nicht sähen. Das machen sie immer so. Das haben sie so gelernt, Probleme erst mal zu ignorieren. Vielleicht wird es ja nicht so schlimm werden. Vielleicht wird es bald vorüber sein, einen anderen treffen.
Von denen steht keiner so einfach ein für seine Sache. Oh nein. Fäuste hoch und Mann gegen Mann, das kennen die nur aus Filmen.
Sie werden ihm den Weg freimachen. Eine richtige Schneise wird sich im Garten bilden, bis zum Buffet. Er wird um sich herum immer mindestens zwei Meter Platz haben. Alle werden woandershin schauen. Er wird versuchen, ihnen in die Augen zu sehen. Es gelingt nur sehr selten. Bei den Frauen öfter als bei den Männern. Die Männer fürchten die Herausforderung zum Duell. Sie haben doch bisher in ihren Büros gelebt, als ob es so etwas nicht mehr gäbe.
Manchmal, in den seltenen Momenten, wenn er Blickkontakt bekommt, dann genießt er ihr unterwürfiges Lächeln. Sie wollen ihn dazu bringen, zurückzulächeln. Ihn für sich einnehmen. Soll er sich doch ruhig ein paar Würstchen nehmen. Und bitte, hier noch vom Lachs oder den Räucherforellen.
Sie wollen keinen Ärger, das ist alles. Ein paar Flaschen Bier. Bitte. Hauptsache, wir haben dann wieder unsere Ruhe und alles bleibt friedlich.
Manchmal versucht ein ganz Mutiger, ihm ein Gespräch aufzudrängen, so Marke: Ich habe ja Verständnis für die Jugend. Ganz vorurteilsfrei. Versteht sich. Er ist früher nämlich auch ganz ausgeflippt herumgelaufen. Also, keine Glatze, ha, ha, ha. Eher schon das Gegenteil: lange Haare bis hierhin. Ja. Wirklich wahr. Sieht man ihm heute nicht mehr an. Joints hat er geraucht! Ist natürlich zwanzig Jahre her.
Er bietet Bier an und eine Zigarette und während Wolf schweigend zuhört und alles nimmt, kapiert der andere immer noch nicht: Es hat keinen Zweck. Wir sind nicht zu überzeugen. Nicht zu gewinnen. Wir werden dir alles wegnehmen, wenn du nicht kämpfst. Alles. Deine Party wird unsere Party. Deine Gäste werden gehen. Unsere kommen. Ja. Ich bin nicht allein. Siehst du. Da sind die anderen.
Hast du noch mehr Bier im Haus? Aber klar. Wussten wir doch, dass du großzügig bist. Jetzt spielst du unsere Musik. Aber sicher, gerne. Du bist doch offen für alles Neue. Schade, dass so viele deiner Gäste gerade jetzt gehen müssen. Aber so ist das eben. Kaum wird's gemütlich, hauen alle ab. Keine Angst. Wir bleiben.
Bevor wir gehen, werden wir dir alles nehmen. Deine Ehre. Deine Illusionen. Und am Ende deine Frau.
Ja. Die Frauen gehören dem Sieger. Glaub es mir. Das ist auch bei den Tieren so. Der stärkste Löwe kann sich sein Weibchen aussuchen.
Ja. Das ist tief drin in den Weibern. Die haben das im Blut. Tu nicht so, als ob du es nicht wüsstest. Du hast es immer gewusst. Du hast nur versucht, es zu vergessen.
Und wenn wir dir alles genommen haben, dann kotzen wir in dein Wohnzimmer.
Och nein, verabschiedet sich der Herr Ingenieur auch schon, und das nette Lehrerehepaar.
Ja, klar. Ruf ruhig die Polizei. Die werden dir nicht helfen. Du hast uns doch eingeladen. Du hast unsere Musik aufgelegt. Du hast uns Bier und Brote aufgedrängt und über unsere Scherze gelacht.
Wir haben niemandem etwas getan. Wir sind einfach nur da, mit unserer Entschlossenheit.
Das kannst du nicht ertragen, weil du keine Kampfbereitschaft in dir hast. Das ist es. Und deshalb werden wir alles bekommen. Kampflos. Du wirst es sehen.
Beim letzten Mal hat so eine alternative Tussi versucht, mich vollzulabern. Richtig angebaggert hat sie mich. Ob ich das nötig hätte, mit diesen Männlichkeitssymbolen. Sie redete und redete.
Je nervöser sie werden, umso schneller schießen sie ihre Sätze ab. Er kennt das. Am Ende will sie mit einem wie ihm nur zu gerne mal ins Bett. Der Tiger auf der Matratze ist ihr nämlich lieber als die Biene in der Küche.
Sie hat diese Gefühle und sie fürchtet sich davor. Sie lässt es nie raus. Aber dass·der Softie, neben dem sie seit Jahren schläft, in Wirklichkeit nur ein Langweiler ist, das weiß·sie, wenn sie ihn sieht: Wolf, den Söldner.
Also gut. Es kann losgehen. Er gibt den anderen ein Zeichen. Sie sollen noch warten, denn er liebt diese Soloauftritte. Als er über den Gartenzaun steigt, spürt er eine Erektion. Bei jedem Schritt reibt die Unterhose an seinem steifen Glied.
Alles geschieht, wie er es vorausgesehen hat. Nichts Neues. Der Hausherr tut, als hätte er ihn sowieso eingeladen.
Jetzt kommen die anderen. Langsam treten sie aus dem Schatten hervor. Wie lebende Tote. Gerade den Gräbern entsprungen. Zombies.
Der Hausherr versucht, sich freizukaufen. Immerhin. Ein mutiger Schritt. Mit hundert Mark, einem Kasten Bier und einem guten Anteil vom kalten Buffet.
„Hier, Jungens, nehmt das. Davon könnt ihr euch noch woanders einen trinken. Ihr müsst das verstehen, hier geht es heute wirklich nicht. Also, ich habe nichts gegen euch und eure Musik. Aber... Nun nehmt schon das Bier und amüsiert euch woanders.“
„Was macht denn der Nigger da auf einer deutschen Party?“ fragt Wolf.
Der Hausherr schluckt, versucht zu lachen, als hätte Wolf einen Witz gemacht. Hat Wolf aber nicht.
„Ach, der. Das ist der Chefarzt der Chirurgie vom Marienhospital.“
Siggi tritt neugierig hinzu.
„Ist der Arzt?“
„Ja. Arzt. Genau.“
„Und? Ist hier jemand krank?“ zischt Siggi.
Der Hausherr windet sich. Er will den Neger nicht rauswerfen. Aber er will auch keinen Ärger.
Man kann nicht alles haben.
Siggi spielt dem Opa am Schlips. Blaue Seide mit roten Punkten. Der Schlips war teurer als alle Klamotten, die Siggi am Körper trägt. Bis auf die Schuhe. Siggis Ein und Alles. Die haben ein Vermögen gekostet. Sechzehn Loch.
An Siggis Fingern klebt noch der Senf. Er wischt sie an dem Schlips ab und das Arschloch lächelt auch noch.
Einmal, denkt Siggi, einmal möchte ich es erleben, dass einer von euch brüllt: Bis hierhin und nicht weiter! Schluss! Aus! Hört sofort auf, oder ich polier euch die Fresse!
Warum tut ihr das nicht? Warum lasst ihr uns machen?
Klaus-Peter Wolf    10.09.2009   
Klaus-Peter Wolf
Krimi