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Maren Burghard
Ausverkauf
Eine Stunde vor ihrem Untergang steht die Sonne so, dass sie unter den Blättern der Kastanie hindurch scheint und den Hof mit ihrem Licht ausfüllt. Das ist die beste Zeit, um aus geblümten Tassen Tee zu trinken oder Durtonleitern auf dem Cello zu spielen oder dem Pferd den Staub aus dem Fell zu bürsten. Es ist aber auch in Ordnung, einfach auf der Bank vor der Scheune zu sitzen, an nichts zu denken und in die warmen, gelben Strahlen zu blinzeln.

Für heute Nachmittag habe ich diesen Mann bestellt, und weil er zu spät gekommen ist, muss ich die schönste Stunde mit ihm verbringen. Er wirft das Cello auf die Rückbank seines Wagens. Für mein Fahrrad und mein Kleid interessiert er sich auch. Als ich in den Stall gehe, um eine Decke zu holen, schiebe ich von innen den Riegel vor die Tür.

Das Pferd steht im Hof. Ich lege die Decke über seinen Rücken und berühre das samtweiche Fell seiner Nase.
Geben Sie ihm nicht zu viele Karotten, sage ich, er kann nicht Maß halten.

Der Mann lässt seine glühende Zigarette auf den Boden fallen.
Keine Sorge. Das soll nicht sein Problem sein.

Er steht zwischen mir und der Sonne, als er mir die Geldscheine in die Hand zählt.
Ist das alles? frage ich.

Sei froh, dass ich dir das Zeug abnehme.

Am nächsten Tag stopfe ich das Geld in meinen Rucksack. Es ist seltsam genug, sein Liebstes zu verkaufen, aber das Geld ist nicht einmal für mich, es ist für die Strom- und Telefon­gesell­schaften, es ist für Frau Schulze von der Sparkasse. Seitdem das Telefon abgestellt ist, schreibt sie mir Briefe, die ich ungeöffnet auf den Misthaufen werfe. Ach, der Misthaufen, jetzt habe ich keine Verwendung mehr für ihn. Jemand soll ihn abtragen und seine Rosen damit düngen, ich will ihn nicht mehr sehen. Aber ich besitze noch ein Fahrrad und eine Schachtel mit Flicken.

Ich fahre die Landstraße entlang, das Geld in meinem Rucksack. Ist es nicht dumm, Frau Schulze die paar zerknitterten Scheine zu bringen, sie wird sie freudlos entgegen nehmen und augenblicklich an die Strom- und Telefongesellschaften weiterreichen, sie wird sich nicht zufrieden geben damit, sie wird mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansehen und ich werde meinen Blick senken.
Adieu, trauriges Geld.

Es geht bergab ins Dorf, rechts ist die Sparkasse, jetzt müsste ich bremsen, doch die Fahrt ist zu schön. Ich fahre also weiter, ich werde nicht mit inwärts gedrehten Füßen vor Frau Schulze stehen, die eine Frisur auf dem Kopf hat und wahrscheinlich noch nie ohne Sattel geritten ist, ich aber werde singen und es ist mir doch egal, ob mein Telefon klingelt, und Strom braucht nur, wer nachts nicht schlafen will. Du Erster Unbekannter, der im Edeka zwischen den Regalreihen meinen Weg kreuzt, ich werde mit dir im Mondlicht tanzen bis die Sonne aufgeht, ich werde meine Wange an deine legen und dein Bier wird mein Bier sein, solange uns nichts besseres einfällt; aber zum Glück steht da am Vormittag kein Unbekannter, nur Andrea ist da, sie freut sich mich zu sehen, sie schiebt ihren Wagen Seite an Seite mit meinem. Ich kaufe Leberwurst, Gurken, Sekt.
Hast du was zu feiern? fragt sie.

Auf dem Rückweg pfeife ich und fahre freihändig. Ich könnte einen Klostergarten jäten oder den Hund einer Dame aus der Stadt spazieren führen, der Dame würde ich auch vorlesen und ihr die Hornhaut von den Füßen raspeln. Es gibt Dinge zu tun auf der Welt. Es gibt Dinge zu tun, und irgend jemand wird mir Geld geben dafür. Bis dahin trinke ich Wasser aus der Leitung und schreibe Einladungen.

Als meine Oma alt war, sagte sie: Ich gehe auf keinen Ball mehr. Wenn ich an meine Oma denke, sehe ich Schuhe, die sie nicht zuband, weil ihre Füße sonst nicht hineinpassten, und ich sehe ein blau gemustertes Schürzen­kleid. Meine Oma bestellte immer das gleiche Kleid aus dem Katalog. Auf den Bügeln in ihrem Schrank hängen sieben Stück davon. Meine Oma saß in ihren Schürzenkleidern auf der Bank vor dem Haus und legte ihre raue Hand auf meine, als wir schwarzen Tee mit Milch aus geblümten Tassen tranken und ins Sonnenlicht blinzelten.

Ich gehe zu Andrea und bringe eines der sieben Schürzenkleider und roten Faden mit. Andrea soll mir Abnäher an der Außenseite machen, so dass man es sieht. Bitte Zickzack, sage ich. Das Rot sieht ganz gut aus auf dem Blau.
Abends sitze ich vor dem Haus. Ich würde gern Musik machen, aber ich habe nur einen Kamm und ein Butterbrotpapier. Ich würde gern einem Pferd die Hufe auskratzen. Das Hufeauskratzen ist eine Arbeit, die schnell zu einem sichtbaren Ergebnis führt. Außerdem gibt es nur vier Hufe.

Am Morgen wasche ich mir die Haare und ziehe das Schürzenkleid an. Das Stroh im Stall riecht noch nach Pferd. Ich bin noch ich, das Haus ist dasselbe, auch wenn ich die Vorhänge mit der Heckenschere abgeschnitten habe, damit mehr Licht hereinkommt.
Mittags esse ich Linsen, dann falle ich in einen Schlaf. Ich träume fast nichts. Am Nachmittag weiß ich nicht, was ich noch tun soll. In zwei Stunden kommen die Gäste. Wenn in zwei Stunden neun Gäste kommen, wie viele Minuten muss ich auf jeden einzelnen Gast warten?
Ich hänge Lampions in die Kastanie vor der Scheune und streiche Leberwurstbrote.
Ich trinke Sekt und halte es für eine gute Idee, im Dorfteich schwimmen zu gehen, während ich "Ogni pena più spietata" summe. Die Männer von der freiwilligen Feuerwehr treten vor das Wirtshaus und bedauern, nicht einstimmen zu können. Sie wollen mich retten. Einer versucht es mit Mund-zu-Mund-Beatmung, aber das bereut er, denn ich beiße ihm auf die Lippe. Ein anderer verspricht mich zu heiraten, aber so viel Ausverkauf kann ich nicht zulassen.

Auf einem Bein hüpfe ich durchs Dorf. Mit dem anderen Fuß kann ich nicht auftreten, auf dem Grund des Teichs lag eine Scherbe. Andrea steht mit einem Handtuch an ihrer Gartentür und frottiert mir das Haar. Hier weiß immer jeder, was zuletzt geschehen ist. Gemeinsam gehen wir nach Hause, sie einen Arm um meine Taille, ich auf ihre Schulter gestützt.
Zähneklappernd stehe ich vor meiner brennenden Scheune, als die Gäste kommen. Ich weiß mit ihren Gesichtern nichts anzufangen, und auch sie sehen mich an, als wäre ich ihnen fremd.
Andrea legt mir ihre Strickjacke um die Schultern. Gute Andrea, ich werde deinen Namen auf mein Taschentuch sticken, wenn meine Finger so warm sind, dass ich sie wieder bewegen kann.

Du siehst angespannt aus, sagt eine Frau.
Fliegen sitzen auf den Leberwurstbroten, die Gäste mögen nicht essen.
Die Männer von der freiwilligen Feuerwehr gehen ihr Löschfahrzeug holen.
Das haben wir gleich, sagen sie, dafür sind wir ja da.

Die Gäste stehen im Hof, trinken Sekt, rauchen. Sie reden kaum miteinander, manche gehen hin und her. Vielleicht glauben sie, dass noch etwas kommt. Dabei ist meine Scheune schöner als jedes Feuerwerk, und sie wärmt Hände und Wangen, wenn man nur nahe genug heran geht.

Einer sagt: Aus dem Grundstück kann ich was machen.
Durchs offene Küchenfenster wirft er seine Zigarette.
Maren Burghard    20.02.2009    
Maren Burghard
Prosa