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Wochenschau 15 A. Heidtmann         14.02.2009
Leipziger Buchmesse
„Als würde man im Sekundentakt auf Alufolie beißen“
Belletristik-Nominierungen ohne Risiko

Die Nominierten für den Preis der Leipziger Buchmesse stehen seit dem 6. Februar fest. Daniel Kehlmanns Ruhm ist dabei, ebenso wie Wilhelm Genazinos Das Glück in glücksfernen Zeiten.

Ein wenig bedauerlich scheint es, dass offenbar nur Suhrkamp, Hanser, Rowohlt, Fischer oder Piper Romane und Erzählungen veröffentlichen, die es zu Nominierungen bringen. Gibt es keine kleinen oder mittleren Verlage, die nennenswerte Erzähler vorweisen können?

Dass das Nominierungsspiel etwas Zweifelhaftes hat, demonstriert ausgerechnet Elke Heidenreich, die gar nicht viel von Kehlmanns Roman Ruhm hält: „Die Figuren bleiben Konstrukte einer hoch artifiziellen literarischen Spielerei, sie rühren nicht ans Innerste. Oder sie haben nicht ‘genug menschliche Substanz', wie Kehlmann das nennen würde.“ Die ZEIT schreibt: „Ein humorloses und bescheidenes Buch.“ Und weiter: „Das liest sich in etwa so, als würde man im Sekundentakt auf Alufolie beißen.“ Auch der Rezensent der Süddeutschen ist enttäuscht. Ina Hartwick von der Frankfurter Rundschau geht es nicht viel besser. Es gibt natürich auch positive Resonanz – nicht zuletzt in einer Kritik des Poetenladens.

Dennoch stellt sich die Frage: Was bezweckt der Leipziger Buchpreis, wenn er Bücher nominiert, die ohnehin Bestseller sind? Bekanntermaßen wertet man so einen Preis auf, hinter dem im Grunde kein Förderideal steht. Es geht offenbar frei nach dem Motto: De Düüwel driêt jümmer op'n dicksten Haupen.

Doch hier nun die Liste aller Finalisten, und darunter sind mit Reinhard Jirgl oder Julia Schoch auch Nichtbestellerautoren, die Hochkarätiges zu bieten haben:
  • Kategorie Belletristik:
  •  
  • – Wilhelm Genazino: Das Glück in glücksfernen Zeiten (Carl Hanser Verlag)
  • – Reinhard Jirgl: Die Stille (Carl Hanser Verlag)
  • – Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten (Rowohlt Verlag)
  • – Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff (Suhrkamp Verlag)
  • – Andreas Maier: Sanssouci (Suhrkamp Verlag)
  • – Julia Schoch: Mit der Geschwindigkeit des Sommers (Piper Verlag)
  • Kategorie Sachbuch/ Essayistik:
  •  
  • – Matthias Frings: Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau (Aufbau)
  • – Andreas Kossert: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 (Siedler)
  • – Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen (Rowohlt Berlin Verlag)
  • – Jürgen Neffe: Darwin. Das Abenteuer des Lebens (C. Bertelsmann)
  • – Karl-Heinz-Ott: Tumult und Grazie. Über Georg Friedrich Händel (Hoffmann und Campe)
  • Kategorie Übersetzung:
  •  
  • – Michael Kellner: William S. Burroughs: Naked Lunch (Nagel & Kimche)
  • – Esther Kinsky: Olga Tokarczuk: Unrast (Schöffling & Co.)
  • – Susanne Lange: Miguel de Cervantes: Don Quijote von der Mancha (Carl Hanser Verlag)
  • – Hans-Christian Oeser: Maeve Brennan: Der Morgen nach dem großen Feuer (Steidl Verlag)
  • – Eike Schönfeld: Saul Bellow: Humboldts Vermächtnis (Kiepenheuer & Witsch)


Andreas Stichmann | Jackie in Silber
Andreas Stichmann
Jackie in Silber
Erzählungen
Mairisch Verlag 2008
Stichmann sticht!

Schön zu erfahren, dass Andreas Stichmann, am Beginn seiner Laufbahn mit dem Poetenladen-Debütpreis ausgezeichnet, nun den Clemens-Brentano-Preis für Literatur erhielt.

Die 10.000 Euro Preisgeld muss er sich mit der Theaterautorin Felicia Zeller teilen. 2008 erschien Stichmanns Erzählband Jackie in Silber. Die Stadt Heidelberg verleiht den Clemens-Brentano-Preis jährlich seit 1993 im Wechsel in den Sparten Erzählung, Essay, Roman und Lyrik an deutschsprachige Autoren, die mit ihren Debütwerken bereits auf sich aufmerksam gemacht haben.

 
Suhrkamp zieht um – oder auch nicht

Das ist wohl Plauderei mit Niveau – darüber zu spekulieren, ob Suhrkamp von Frankfurt nach Berlin umzieht, ganz oder teilweise. Ein Verlag ist ein Verlag und sollte gute Bücher machen. Wo er sie macht, in Hamburg oder München, Stuttgart oder Bottrop ist wohl egal. Aber nein. Die ZEIT fragt in einem schwachbrüstigen Artikel von Suhrkamp-Autor Andreas Maier, was Suhrkamp in Berlin will. Atemberaubende Erkenntnisse: „Für mich sind die Leute in Berlin allesamt keine Berliner, sondern Paderborner, Münsteraner und Freiburger, ob sie wollen oder nicht.“


Frankfurt oder Berlin?
Und weil es so schön ist, gleich noch ein Artikel über Suhrkamps Umzugspläne in der ZEIT: „Warum Berlin keine neue Heimat für den Suhrkamp Verlag sein kann.“

Natürlich kann die FAZ nicht dahinter zurückbleiben. Hier gleich ein großes Interview mit der Suhrkamp-Chefin über die weltbewegende Frage, ob Suhrkamp umzieht: „Wir planen den Umzug zur Jahreswende“

Doch nicht genug: Die FAZ trauert regelrecht um Suhrkamp und bedauert den Verlag, denn er ist „offenbar angeschlagen. Ohne öko­nomische Not geht man das Risiko einer solchen Wurzelbehandlung nicht ein. Berlin lockt mit Subventionen. Eine Verlagerung bringt eine Verschlankung mit sich – nicht alle Mitarbeiter werden sich mit auf den Weg begeben.“ So der Kommentar von Michael Hierholzer in der FAZ.

Und was meint MRR? „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zusammenarbeit mit ihr [Ulla Unseld-Berkéwicz] in Berlin etwas leichter wird als hier.“ Gleichwohl sei die Entscheidung zur Verlagerung „für Frankfurt eine bedauerliche Nachricht“, findet der in Frankfurt residierende Literaturpapst: „Das wird die Kulturszene in Frankfurt etwas weniger attraktiv machen.“


Suhrkamploses Frankfurt versus verlagsloses Leipzig

Waren das Zeiten, als Leipzig sich noch Buchstadt nennen konnte. Aber dafür gibt es nun die Buchmesse. Da darf gelobt werden – jedes Jahr mehr Aussteller, mehr Lesungen, mehr Publikum, mehr Preise, mehr von allem. Warten wir auf den Tag, da Leipzig Frankfurt in den Messe-Schatten stellt. Buchmesse-Direktor Oliver Zille macht sich Mut: „Alle reden über die Krise – der Leipziger Buchmesse geht's gut.“

„Werch ein Illtum“, möchte man da mit Jandl rufen. Offenbar ist dem Messeleiter nicht bekannt, dass der Anmeldeschluss für Aussteller mehr als ein halbes Jahr zurückliegt, als noch keiner von Krise sprach. Herr Zille blickt auf eine ruhige Meeresfläche und vermag keine Krise zu erkennen, während der Tsunami unterwegs ist.

Selbst die 25 Euro, die man zusätzlich auch kleinen Literaturverlagen pro Lesung abverlangt, werden positiv dargestellt. Warten wir ab, wie die Messe in einem Jahr dasteht. Alles erinnert fatal an jene Banker, die noch vor wenigen Monaten an den ewigen Boom glaubten und heute auf ihren Giftpapieren sitzen.



Klicktipps

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Und es wäre dreimal mehr zu berichten gewesen ...

Andreas Heidtmann

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