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Norbert Bugeja
Ein Tango für die Stufen von Valletta

 

V.
Was immer übrig ist – Elegie  (Lentissimo)


Wenigstens haben sie,
inmitten der nackten Plätze, die unsere Herzen durchlaufen,
diese vier Stufen übriggelassen.

Und hoch sprang sie
auf das Podest zu Füßen der Statue:
Im schwarzen Tropfen unter ihr
Reihen von Autos,
wie weißgekleidete, fremde Pilger
auf ihren Knien.

Von hier oben wird sie nicht so leicht glauben,
dieses Mädchen im trostlosen Januar,
diese Geschichten, die
nach jungfräulichen Begonien
und Radiant-B* schmecken. Sie wird nicht glauben:
Diese Stadt
hat versucht sich selbst lebendig zu verspeisen.

Stell Dir nur mal vor, Liebling, sagte sie zu ihr,
Stell Dir nur mal vor,
schon grübelt sie weiter und weiter
und über nichts außer ihn:
verlassen, wie eine gefallene Statue unter den Bögen –

wie er mich ruiniert hat, ermüdet hat,
geschwächt hat,
dieser Junge, wimmernd wie ein unharmonischer Regen,
dieser Körper, so geformt wie ein Sturm –
die Adern rauf und runter entlang seines Armes, sie haben mich ausgetrocknet,
diese Rohre, die Schmutzwasser auswerfen,
sie haben mich ausgeblutet.

Aber stell dir nur vor, mein Schatz,
hier ist wo die Stadt sprach,
hier ist
wo sie
den bodenlosen Brunnen ihres Mundes öffnete: Stell dir die Stufen vor,
dieses gigantische Gebiss
das sich entlang des schwarzen Loches eröffnete, den Schlund beißend,
die Oper in ihre Falle einwebend,
ein gnadenloses Archiv, das an der Erinnerung nagt
die Stufen auskostet
hölzerne Erzengel und die Balustraden
ausspuckend,
mit den Zähnen knirscht
zu dem versteinerten alten Mann, ihr fester Blick
den Nostalgien folgend, die ihr Kinn hinunterrinnen:
Chi del gitano i giorni s´abbella?!

Und unsere Stadt krümmt sich weiter, schmeckend,
kauend, nachdenkend darüber
was sie erinnern soll.

Diese Zingarella,**
ihre Ohren klimpern den gleichen Beat über Beat
den er ihr klimperte als wäre er Damien Rice,
ihr Körper ein neuer, dröhnender Strang,
auf einer wertlosen Gitarre, mit Klebeband ausgebessert –

you wanna get boned
you wanna get stoned
you wanna get fucked inside out

Es ist nicht richtig, Liebling,
diese Lippen zu schließen
wenn sie solch Musik aus Lügen stricken können.

Ich erinnere mich an Calî auf dieser letzten Stufe
seine Eingeweide haltend
und die Dunkelheit zeichnend als wäre es seine Seele

Ich erinnere mich an das Pfeifen
und das Versprühen von Kotze
wie goldener Sternenstaub geschleudert auf den Sopran

Ich erinnere mich an die Reißzähne
die Gedanken ausgrabend,
sich in schicke Städte eingrabend, noch ungehört.

Den Rest scheitere ich zu erinnern,
altes Weib das ich bin,
altes Weib ohne Zähne,
geh und sieh sie selbst –
diese Stufen unten.

Sie wird es nicht so einfach glauben, dieses Mädchen,
vorgebeugt, die Vögel erschreckend,
den Dorn ihres Rückens drehend
zur letzten übriggebliebenen Spirale, der Fassade;
sie wird es nicht so einfach glauben
das flatternde Rot, flammend,
spöttisch zu den Ruinen – Miss Sixty,
geschäftig
eine Nachricht webend, oder ein Wort ätzend
deren Einbruch … nur Gott vorhersehen kann

und vielleicht diese Stufen,
ineinandergehauen wie ein Mikrochip,
Erinnerungen von Straßen, die geformt werden müssen,
von Städten die zum Schatten ablegen,
Bürger ohne Staaten oder Opern ohne Theater,
Erinnerungen, alle darauf aus,
das Herz der Stadt zu brechen.

Diese Stadt
die in Denkmälern erstickt.

Diese Stadt,
mit Fingern bereit an ihrem Mund,
beschleunigend
um alles herauszuwerfen.


* Radiant-B, entzündungshemmende Creme
** Zingarella, Zigeunerin

Norbert Bugeja    26.03.2008

Norbert Bugeja
Lyrik