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Martina Weber

Zwischen Handwerk und Inspiration

Dichtkunst und Papierverbrauch

Martina Weber: Zwischen Handwerk und Inspiration
Martina Weber
Zwischen Handwerk und Inspirationn
Lyrik schreiben und veröffentlichen
Uschtrin Verlag 2008
In einer Zeit der boomenden Schreib­lehranstalten scheint es außer Zweifel zu stehen, dass das literarische Schreiben – und damit auch das lyrische – prinzipiell erlernbar ist. Davon ausgehend sind in den letzten Jahren massenhaft Anleitungsbücher publiziert worden, die häufig ebenso selbstbewusst wie hemdsärmelig versprechen, dem geneigten Leser das Schreiben schon beizubringen, und die offenbar genauestens Bescheid wissen, was zu tun ist, um gute Literatur herzustellen: Ein wenig Talent, ein wenig Papier, dazu Wissen, Fleiß, Technik, Kalkül – und schon funkelt ein neuer Stern am Dichterhimmel!

Weniger vollmundig, dafür um so gehaltvoller kommt das Buch Zwischen Handwerk und Inspiration von Martina Weber daher, das soeben in zweiter, überarbeiteter Auflage erschienen ist. Die Autorin, selbst eine erfahrene Lyrikerin, richtet sich damit an »Anfänger und fortgeschrittene Anfänger, die eine poetische Schreibweise entwickeln möchten.« Oder präziser: An Schreibanfänger, die sich der Lyrik widmen mit dem Ziel, ihre Gedichte einem breiten Publikum vorzustellen und sich damit am öffentlichen Diskurs über Lyrik zu beteiligen.

Das besondere Verdienst dieses Buches ist es, nicht nur handwerkliche Hinweise für das Schreiben von Gedichten zu liefern, sondern zudem auf jenen Diskurs über Entstehung und Entwicklung, Verbreitung und Rezeption von Lyrik aufmerksam zu machen, angehenden DichterInnen also das gesamte Feld zu veranschaulichen, auf dem diese künftig tätig werden möchten. Dass der Autorin dieses Unterfangen gelingt, liegt an der perfekten Mischung von Theorie und Praxis, die ihr Buch enthält: Dem Leser werden profunde Einblicke in die Werkzeugkiste der Dichtkunst geboten, indem lyrische Grundkategorien wie Zeilenbruch, Metapher, Klang und Rhythmus umfassend geklärt werden. Dabei macht Martina Weber deutlich, dass die poetische Technologie nur eine Seite des kreativen Prozesses darstellt. Denn es gibt keine verbindliche Gattungspoetik, auf die im Prozess des Dichtens zurückgegriffen werden könnte, im Gegenteil: »Jedes Gedicht stellt seine Regeln selbst auf.« Aus diesem Grund ist es für lyrische Anfänger wichtig, eine eigene Stimme zu entwickeln, die freilich »nicht aus dem Nichts« entsteht, sondern »das Ergebnis langer Arbeit« und einer spezifischen »Lebenshaltung« ist. Um dahin zu kommen, gehört es unabdingbar dazu, sich mit Dichtung in ihrer ganzen Bandbreite zu beschäftigen: »Ihr Gefühl für die Sprache und die Gesamtkomposition von Gedichten können Sie nur fördern, indem Sie Lyrik lesen – und zwar gute.«

Die mit dem dichterischen Handwerk befassten Fachartikel werden folgerichtig ergänzt durch Gespräche, Aufsätze und Gedichte gestandener LyrikerInnen, in denen jene aufschlussreiche Einblicke in ihre Erfahrungen als Dichter, Lektoren und Schreiblehrer geben: Norbert Hummelt, Nathalie Schmidt und Christian Schloyer beziehen Stellung zu Problemen und Perspektiven der Dichtkunst und formulieren dabei wesentliche Aspekte ihres jeweiligen poetologischen Ansatzes. Karin Fellner berichtet von Möglichkeiten und Grenzen eines Lyriklektorats und gibt Hinweise, worauf man bei der Besprechung und Beurteilung von Gedichten achten sollte. Kurt Drawert schließlich zieht in einem Interview wertvolle schreibdidaktische Schlüsse aus seiner langjährigen Tätigkeit als Leiter der Darmstädter Textwerkstatt. Zu den Originalbeiträgen gesellen sich die Stimmen zahlreicher Lyrikspezialisten und -experten, die über das gesamte Buch verteilt zitiert werden: Eine sprudelnde Quelle meinungsfreudiger Thesen und Statements.

In dieses Spannungsfeld schreibpraktischer Grundlagen und avancierter Lyriktheorie platziert Martina Weber zudem kommentierte Literatur­empfehlungen und abwechslungsreiche Schreibanregungen, die kreatives Potential und handwerkliches Können gleichermaßen herausfordern. Und als ob diese Informationen und Impulse noch nicht für ein hervorragendes Lyrikhandbuch ausreichten, erörtert Martina Weber im zweiten, kürzeren Teil des Buches den Begriff der Veröffentlichung, nennt Einrichtungen und Veranstaltungen, in denen die Dichtkunst in unterschiedlicher Art und Weise gefördert wird, führt Zeitschriften und Verlage an, die Lyrik publizieren und macht dabei auch auf die vielen Mühseligkeiten aufmerksam, die das Gedichtveröffentlichen mit sich bringen kann.

Zwischen Handwerk und Inspiration ist somit ein überaus empfehlenswertes Kompendium für ambitionierte Sprachkünstler, die sich über ihr eigenes lyrisches Schaffen hinaus einen Überblick über das Dichten in all seinen Facetten verschaffen wollen. Nicht zuletzt ist es dadurch eine schier unerschöpfliche Fundgrube für Leiter von Schreibwerkstätten, die aufstrebende LyrikerInnen in ihrer Entwicklung angemessen begleiten wollen. Denn selbstverständlich hat Kurt Drawert Recht, wenn er in seinem Beitrag konstatiert: »In der Regel muss man erst einmal ein paar Kilo Papier beschrieben haben, ehe sich dann so etwas wie ein Gedicht herausformt, das auch Bestand hat.« Martina Webers Buch kann jedem, der sich eingehend mit dem Lyrikschreiben auseinandersetzen will, dabei helfen, wenigstens ein paar hundert Gramm Papier zu sparen.

Martina Weber im Poetenladen

Peter Kapp   05.06.2008

Peter Kapp
Lyrik
Prosa
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