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im schnee

nun ist es februar geworden, tief eingefroren das land.

bis hierhin war troge dem alten gefolgt.

ein paar häuser in winterstarre.

er hatte keine mühe gehabt, erkundigungen einzuholen. die pausbäckige frau am zeitungsstand hatte den alten gesehen: er war gestern nachmittag aus dem bus gestiegen. ein dürrer glatzkopf in schmutzigen hosen.

er war geradewegs zur dorfkneipe gegangen, das rechte bein hinter sich herziehend.

die zeitungsfrau blinzelte troge aus ihrem verschlag an:
„fragen sie den wirt.“

der alte hatte sich in der dorfkneipe ein zimmer genommen. der wirt verlangte von troge, die ausstehende rechnung zu begleichen, dann teilte auch er mit, was er wusste: am abend hatte der alte in der kneipe gegessen, ein bier getrunken und war schließlich am tisch eingeschlafen. mit mühe konnte man ihn wecken. nachdem er daraufhin ins zimmer geschlichen war, hatte ihn niemand mehr gesehen.

vermutlich war er noch in der nacht fortgegangen.
oder kurz vor tagesanbruch.

wie weit konnte der alte gekommen sein?

troge ließ sich von einem bauern die möglichen wege erklären: den feldweg bei den zugefrorenen weihern, die landstraße zum nächsten dorf und den verschneiten pfad zu den wäldern.

„wer dorthin will, geht einfach über die felder“, sagte der bauer, „man sieht ja den waldrand von hier.“
er zeigte auf die schwarzen gerippe am ende des weiß.

„wo will er denn hin?“, fragte der bauer.
„nirgend hin“, sagte troge.

die dritte möglichkeit kam troge sogleich als die wahrscheinlichste vor. schließlich war es einfach gewesen, den alten zu finden: troge fand seine spuren im schnee.

bis zum wald hatte er es nicht geschafft, aber erstaunlich weit hinaus auf die weißen felder.

es waren keine fussabdrücke, eher schleifspuren.
man sah die mühe in den schnee gezeichnet, mit der er sich vorwärts gekämpft hatte.
das rechte, beinahe unbrauchbare bein, zog er nach, das linke konnte die arbeit kaum mehr alleine tun und versagte oft. dann gab es längliche, unruhige inseln von niedergetretenem schnee. hier war er umgefallen, hatte sich wohl ausgeruht und schliesslich weiter vorwärts gekämpft.

als troge bereits nahe bei dem alten war, veränderten sich die spuren nochmals: nun gab es auch abdrücke von händen und armen und auf dem harschen schnee fanden sich reste von rotz mit blut vermischt.
von hier an konnte der alte nicht mehr aufstehen.
er war auf allen vieren weitergekrochen, dachte troge.
so weit er nur konnte, hatte er sich in das schneemeer hinein gekämpft.

troge fand ihn unter einem kahlen gestrüpp, tief eingesunken in den frischen schnee. ein mageres, ganz ausgezehrtes mensch.
troges erster gedanke war: hilfe holen.

er glaubte nicht, selbst etwas tun zu können, also wollte er hilfe holen.

der alte atmete schwach. kaum erhob sich ein dünner atem über dem mund, verdampfte sogleich in der kälte.

„ich werde losgehen und hilfe holen“, rief troge viel zu laut, „beweg dich gar nicht.“

der alte brachte verhauchte laute hervor.
sie geboten troge still zu sein und nirgends hinzugehen.
troge beugte sich tief über den mund, die blass verfrorenen lippen.

er horchte.
„gleich, gleich“, sagte der alte.

troge erhob sich, blickte auf den verkrümmt daliegenden. hierhin hatte er es geschafft, unter diesen wärmenden strauch aus dürren ästen.

troge setzte sich zu dem alten hin.
er atmete ruhiger, nachdem er gewahrte, dass troge verstanden hatte.

jetzt lächelte troge, und es schien ihm, als lächle der alte auch.

„eigentlich ist es gar nicht so kalt“, sagte troge,
„man gewöhnt sich daran. und es ist ja auch nicht für lange.
warten wir.“

Peter Wolter           

Peter Wolter
Lyrik
Prosa