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Sabine Göttel
Sandgruben

Wir kämpfen mit frühreifen Bäumen um die paar Schritte, die wir weiter gehen als sie. Da bleibst du plötzlich stehen. Zartes Laub windet sich dir um die Füße. Soll ich es mit meinem Atem aufwirbeln? Es wird keine Erleichterung bringen, denn wir haben noch keine Mahlzeit bekommen. Du redest und hast dich fast in den Blättern aufgelöst, da erkläre ich deine Augen zu riesigen Sandgruben.
 
 
Granatäpfel

Nicht ein einziger Baum wird eigens für uns gefällt werden. Nicht ein einziges deiner neu erfundenen Gebete wird helfen. Adam und Eva hielten sich die Zweige der Granatäpfel vors Geschlecht; das können wir nachahmen. Du glaubst doch nicht etwa, dadurch kehrten die Früchtchen ihre Stacheln hervor? Kein einziger Baum darf für uns gefällt werden.
 
 
Wunder

Die Regenrohre rauschen unermesslich. Darin geht die Sonne unter. Wenn es wieder hell wird, berufen wir uns besser auf das, was hinter uns liegt. Die Wartezeit ist lang. Auf keinen Fall dürfen wir die Götter um Hilfe anrufen. Das käme einem Verrat gleich. Bevor die Sonne die Wälder endgültig besetzt hat, ist kein Bedauern möglich.
 
 
Wände

Ab und zu scheint die Sonne stärker durch die Zweige. Dann beginnt die Lampe über dem Tisch leise zu pendeln. Wir überhören das leicht; wir sind mit unserem schmerzenden Nacken beschäftigt. Es käme darauf an, den Fensterscheiben ein einziges Mal ihr Recht zu lassen. Wir könnten uns ihrem Summen hingeben, und das verblassende Licht bewegte die Wände.
 
 
Platanenblüten

Wenn wir abends das Unterholz verlassen, zieht sich dein Lächeln in Mauerritzen zurück. Niemand wundert sich über seinen Verbleib. Nur die Platanen tragen keine Blüten mehr. Die Stadt atmet weiter, denn Platanenblüten gehören längst der Vergangenheit an. Von nun an beschleunigt nur noch die Mittagshitze das Leben in den Straßen.


Geflüster

Deine stechenden Augen in den Zweigen der Blutbuche. Es gelüstet mich nach mehr. Auch die Blätter sind zittrig. Geflüster in Blütenkelchen und Astlöchern lässt meinen Atem schneller werden. Dich scheint das nicht zu beunruhigen. Doch ich bleibe standhaft. Mein Herz rinnt mir an den Beinen entlang.
 
 
Hinter deiner Stirn

Du redest von Seelenbalsam. Hinter die Augäpfel reichen die Hände nicht. Was soll ich also herauskehren aus dir? Die Sonne, die immer noch in tintige Teiche fällt? Glaube nicht, dass gestohlene Steine jemals zurück gebracht werden. Nur wenige werden bereit sein, die Zeiten zu durchqueren und im letzten Winkel nach entlaubten Bäumen zu suchen. Doch es muss sie gegeben haben. Ich spüre sie ganz deutlich hinter deiner Stirn.
 
 
Schweiß

An den Ärmelaufschlägen schweiß von vor fünfzig Jahren. Im Wald suche ich vergeblich nach gleichfarbigem Laub. Auch die Reinigung kann mir nicht weiterhelfen. Wenn du also in der Stadt einem Einzelnen begegnest, versuche, ihm nicht aus dem Weg zu gehen. Es könnte sein, dass gerade in diesem Augenblick der Herbst beginnt.
 
 
Musik

Der Wind fegt durchs Laub. Wir lösen die Hände voneinander und schützen uns vor der dröhnenden Musik. Von nun an überfällt mich regelmäßig dein zurückgenommenes Lächeln. Mein Haar lichtet sich. Während du deine Unschuld beteuerst, tropft Tauwasser an den Stämmen entlang.
 
 
Nebel

Es ist offensichtlich, dass kein Fuß mehr vor den anderen gehört und dass die Schmerzen, klein gemacht, auch diesen Tag in den Wäldern überdauern werden. Du solltest meinen Körper zum Leuchten bringen. Leben floss in Strömen durch mich durch. Doch du hältst dir die Hand vor die Augen. Niemals liegen Blicke auf dem Weg, um aufgehoben zu werden.
 
 
Regen

Die Maler streichen den Regen in die Bilder ein. Meine Augen tropfen an der Leinwand herab. Der Himmel ist grau über den Wipfeln. An den Ausgängen wird es schon heller, doch mein Leben bleibt an den Farben hängen. Von oben hältst du mir vergeblich die Hände entgegen, als seien es Flügel.
 
 
Haut

Die Adern der kranken Blätter durchwachsen mein Fleisch und machen mich verwundbar. Deine Gedanken haben längst nicht die Farbe, für die sie gemacht sind. Ich ziehe einfach Haut darüber. Trotzdem stechen sie durch. Das macht deine Umarmungen tödlich.
 
 
Wind

Der Wind schleicht über die Baumwurzeln, in die ich zu versinken drohe. Ich klammere mich am Rauschen der Blätter fest. Die Sonne kommt und lässt keine Ahnungen entstehen vom Winter, der das Ufer überfällt.
 
 
Versprechen

Ich trinke dich in rostigen Schlucken. Kurz vor Ende des Winters kommt mein Herz zum Stehen und der Himmel dringt ein. Das gibt Frühlingsstürme in meinem Kopf: Du hast dein Versprechen nicht gehalten. Von deiner letzten Reise in die Wälder hast du mir keinen Fallschirm mitgebracht. So kann ich mich für viele Winde öffnen.
 
 
Zu keiner Zeit

Zu keiner Zeit wird für uns ein Baum blühen, in dem wir uns gefiedert begegnen. Äste erreichen immer die Erde. Manchmal ist in den Blättern die Sonne sichtbar, so dass wir nicht verzweifeln müssen. Ihr Licht in das Licht aller Tage gegossen, können auch wir unserer Haut wieder einen Glanz abgewinnen, den wir lange vermisst haben. Bedenke aber, dass weitgespannten Flügeln nichts gleichkommt.

Sabine Göttel  2006       

 

 
Sabine Göttel
Lyrik
Prosa
Kritik