poetenladen    poet    verlag

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Adrian Kasnitz
Sag Bonjour aus Prinzip

Gegen das Meer getürmter Granit, die Wracks gezählt


  Kritik
  Adrian Kasnitz
Sag Bonjour aus Prinzip
Gedichte mit Grafiken von Sibylle Schwarz
Corvinus Presse, 2013
32 Seiten, Buchdruck, japanische Bindung,
vom Autor nummeriert und signiert
20,00 Euro
ISBN: 978-3-942280-25-9


Aus dem Urlaub kann man die unterschiedlichsten Dinge mitbringen: Devotionalien wie Muscheln, getrocknete Seesterne und form­schönes Strandgut, verwahrloste Katzen, die eine oder andere Ge­schlechts­krank­heit, leicht modifi­zierte Diesel-Shirts, auf denen der India­ner ein Stirnband trägt, sowie geschmack­lose Souvenirs für die bucklige Verwandt­schaft.

Auch der in Köln lebende Schrift­steller (Lyrik, Roman und kurze Prosa) und He­raus­geber (Parasiten­pres­se) Adrian Kasnitz ist von Zeit zu Zeit im Urlaub. Im Sommer 2010 bereiste er für 14 Tage die Bretagne (mit kleinen Ab­stechern in die südliche Basse-Normandie), und auch er hat damals etwas mitgebracht: Skizzen und bereits fertige Gedichte, die im September 2013 unter dem Titel Sag Bonjour aus Prinzip bei der Corvinus Presse erschienen sind.

Wer schon viele Reise­gedichte gelesen hat, den wird dabei eventuell das Gefühl des Murmeltier­tags beschlichen haben. Genau wie Touristen, die Jahr um Jahr die immer gleichen Fotos schießen (X vor dem Eingang der Kirche, Y beim Schnor­cheln im küsten­nahen Wasser, X und Y gemein­sam auf einer Bank am Hafen mit einem Fisch­brötchen im Gesicht), wiederholen sich oftmals auch die lyrischen Motive. Neben der Schilderung land­schaft­licher Beson­der­heiten, unter­ge­hender Sonnen und funkelnder Sterne tendieren Reise­gedichte nicht selten dazu, die alten Schlagwörter zu reani­mieren, mit denen Freddy Quinn bereits in den 1950er-Jahren Fernweh bzw. (bei Matrosen auf hoher See) Heimweh herauf­beschwor. Das von Körper und Geist empfun­dene, im Alltags­trott verschütt­gegangene Gefühl der Freiheit, der auf den weiten Horizont geheftete Blick.

Auch Adrian Kasnitz kommt bei der lyrischen Fixierung eines Urlaubs an der Bretagneküste nicht ohne eben die Wörter aus, die einem natur­gemäß als erstes in den Sinn kommen; auch bei ihm kommen die typischen Sujets zum Tragen: das Meer und der Strand, der Wind und die Kneipe, die Felsen und die Schiffe. Auf dieser verständ­lich bebilderten Basis jedoch gelingt es ihm, den Blick von der Ober­fläche zu nehmen und mit einer persön­lichen Ebene zu ver­quicken, die über die pure Beschreibung reise­führer­kompa­tibler Szenarien hinaus­geht. Wenn er mit dem Phare d'Eckmühl einen der höchsten Leucht­türme Europas beschreibt, dann gilt sein Interesse nicht dessen primärer Aufgabe, die Schiffe in sicherer Route zu leiten, sondern deutlich genug dem eigenen Gefühls­leben, dem versinnbildlichten Wechsel von Dunkelheit und Licht. Bei seinem Gedicht über die felsige, einen guten Kilometer vor der Küste gelegene Insel Mont-Saint-Michel, deren Benedik­tiner­kloster tag­täg­lich von Touristen­strömen heimgesucht wird, geht es ihm nicht um Kloster oder Insel selbst, sondern um die Schilderung von Beständig­keit und die stoische Geduld der Steine, um Ausdauer und Beharr­lichk­eit. Und auch das Wetter dient in Kasnitz' Gedichten in erster Linie als Synonym zur Bestimmung schwankender Gefühle, nicht der Wahl der sinn­volls­ten Kleidung.

Einundzwanzig prosaisch daher­kommende Gedichte sind es letzt­endlich geworden, die dem Reise­verlauf chronologisch folgen, vom Tag der Ankunft bis zum Tag der Abreise. Einund­zwanzig Gedichte, zumeist getragen von der Sehnsucht nach einem frem­den und doch so ver­trau­ten Körper, von der Sehn­sucht nach End­gültig­keit im positiven Sinne:

Fouesnant

Im Wald gefällt mir dein Kleid besonders
aber ich sage nichts aus Takt und Gefühl
sondern streiche nur Crème mit Vorsicht
auf deine Schultern deine samtige Haut
blicke verstohlen zur Bucht und wünsche
alle Schiffe hier sollten ruhig havarieren
dann zählte ich die Wracks bis du ja sagst

Und das Buch selbst, der Korpus? Wunder­bare Haptik, Buchdruck mit japanischer Bindung, hergestellt in 180 nummerierten und vom Autor signierten Exem­plaren; mehr muss über das Er­schei­nungs­bild eines Buches der Corvinus Presse wohl nicht gesagt werden – seit gut 25 Jahren gibt Hendrik Liersch Bücher heraus, die es zu lesen und zu sammeln lohnt.

Sag Bonjour aus Prinzip enthält (in der regu­lären Ausgabe) fünf Grafiken der Künstle­rin Sibylle Schwarz, darunter zwei grobe Schnitte. Dass alle Zeich­nungen und Schnitte, wenn ich es denn richtig erkenne, mensch­liche Körper darstellen, hat dazu geführt, dass ich die Illus­trationen beim ersten Blättern als nicht unbedingt zu den Gedich­ten passend empfand. Irgend­wie wirkten sie für mich fehl am Platze. Ge­dichte einer Reise, und immer nur Körper und Ge­sichter? Und wie leicht ist es mir schluss­end­lich gefallen, diesen Eindruck zu revidieren, mich selbst zu korri­gieren: Geht es in den Gedich­ten dieses Bandes doch in erster Linie um die Menschen. Um Menschen in einer Land­schaft, ja, um Menschen auf Reisen, ja, aber eben um Menschen.
Stefan Heuer    24.05.2014   

 

 
Stefan Heuer
Lyrik
honig im mund
galle im herzen