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Dorota Masłowska

Die Reiherkönigin

Der große Auswurf

Dorota Maslowska | Die Reiherkönigin
Dorota Masłowska
Die Reiherkönigin
Ein Rap
Übersetzung aus dem Polnischen
von Olaf Kühl
Kiepenheuer & Witsch 2007

Junge Mutter, Medienstar und Rampenlichtopfer in Personalunion. Britney Spears reagiert auf diese Situation mit Piece of me, Dorota Masłowska mit Paw królowejDie Reiherkönigin. Sie ergeht sich angesichts des Medienhypes um ihre Person nicht in Selbstmitleid, sondern bedient sich hemmungslos der branchenüblichen Sprache und gibt dem Affen kräftig Zucker bis, ja, bis das große Reihern auch den Leser überkommt.

War bei Masłowskas sensationellem Debüt Schneeweiß und Russenrot nur der übersetzte Titel doppelbödig, trifft dies nun auch auf das Original zu. In Paw królowej (wörtlich „Der Pfau der Königin“) flattert für den polnischsprachigen Leser nicht nur paź królowej, der Schwalbenschwanz, durch den Assoziationsraum, deutlich schwingt auch die Wendung „puścić pawia“ (kotzen; wörtlich: „den Pfau rauslassen“) mit.

In Schneeweiß und Russenrot durfte die Sadomaso Gothic Nutte Angela Brocken kotzen, in der Reiherkönigin wird der Auswurf zum Text. Abgeschmackter Medienslang, ausgelutschte Politikerphrasen und durchgekaute Klassikerzitate fließen zu einer ätzenden Brühe zusammen und lassen sich bisweilen auch noch als unverdaute Happen identifizieren. Doch handelt es sich hier nicht um ein beliebig zusammengekleistertes Konglomerat mit Ekelfaktor, sondern um eine faszinierende Konstruktion aus rhythmisierter, gereimter und durchorganisierter Sprache. Die Autorin macht sich mühevoll zu eigen, was sie umgibt und findet so zu ihrem unverwechselbaren Ton. Mit der Gattungsbezeichnung Ein Rap, die für die deutsche Ausgabe aufs Cover gesetzt wurde, kann sie sich nicht anfreunden. Die Geschichte von MC Dorota, von der unvergleichlich hässlichen Patricia Pitz, vom unaufhaltsamen Niedergang des Stanislaw Retro und seines Managers Szymon Rybaczko wird nicht einfach gerappt, die Sprache der polnischen Ghettokids nicht kopiert:

„Auf die Plätze, fertig, los, ja schau, wie er sich an sie heranmacht, wie möglichst augenschonend er's versucht, was da für ausrangierte Worte fallen, Ramschware, alte Zuckerwatte, klebriges Lallen, als hätte er den Erfolg längst gebucht. Die sagst du dir am besten selbst, meine Worte sind für diesen Ausverkauf zu schade, fade Leidenschaft aus lauen Christbaumlämpchen, für ein Mädchen, das blind ist vor Begehren, second hand love love love, frei übersetzt: ich liebe liebe liebe. Dabei demontiert er schon ihre Hose, sag, ist das vielleicht fair, die Wunden anderer egoistisch zu verhöhnen, in einer Jungfrau blutiger Rose die Kippen der eigenen Begierden auszudrücken?“

Masłowskas Übersetzer, der auch in der Danksagung als Dr. Olaf Kühl Translation Supersystems verewigt ist, hat sich dem Sog ihrer Sprache hingegeben, Reime, Rhythmus und Referenzen auch dem deutschen Leser nahegebracht. Er ist nicht der Versuchung erlegen, die Hässlichkeiten, Risse und Brüche des Textes zu wegzuretuschieren, auch auf Deutsch klingt Dorota Masłowskas Sprache gekonnt nichtgewollt. An dieser Holprigkeit, die letztlich den Rhythmus bewirkt, muss sich der Leser abarbeiten. Die Reiherkönigin liest sich nicht einfach weg, sie will laut gelesen sein. Erst dann wird man Ohr, erheischt man Reime und Parallelitäten und erkennt die Kunstfertigkeit von Autorin und Übersetzer.

Erfreulich ist, dass Masłowskas deutscher Verlag die tristen, passgenauen Illustrationen von Maciej Sieńczyk, wenn auch nicht für das Cover, so doch zwischen den Buchdeckeln übernommen hat. Wenn der Rezensent sich hier über den Inhalt der Reiherkönigin weitgehend ausschweigt, so liegt das zum einen am Primat der Sprache, zum anderen an der verwirrenden Kreisstruktur, in der die Geschichte angelegt ist. Leser, mach dir selbst ein Bild, Vagi noch mal!

„Dieses Lied entstand aus Mitteln der EU. Lesen kannst du es mit Hilfe der Lettern des Alphabets. Die Seiten musst du umblättern. Muster der einzelnen Buchstaben lädst du dir runter unter www.jugendliest.de oder bestellst sie ohne Stress per SMS.“

Dorota Masłowska, geboren 1983, schrieb ihren ersten Roman Schneeweiß und Russenrot mit 18 Jahren. Das Buch wurde in mehr als zehn Sprachen übersetzt und in Polen als literarische Sensation gefeiert. Mit Die Reiherkönigin gewann Dorota Masłowska 2006 den NIKE-Preis, die höchste literarische Auszeichnung Polens. Sie lebt mit ihrer Tochter in Warschau

Die Autorin im KIWI-Extrabklatt  externer Link

Thomas Weiler     13.11.2007   Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht   Seite empfehlen  empfehlen

Thomas Weiler