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David Constantine

Etwas für die Geister

Anschauungsunterricht mit Engelsflügeln
Der Empathiker der englischen Poesie David Constantine in einer zweisprachigen Ausgabe

David Constantine | Etwas für die Geister
David Constantine
Etwas für die Geister
Gedichte, zweispr.
Deutsch v. Johanna Dehnerdt
und Hauke Hückstädt
Wallstein 2007
Welche Vielfalt der Schulen und Strömungen in der modernen amerikanischen Lyrik: Black Mountain School, Beat Poets, New York Poets, Confessional Poets; eine Milchstraße von Bewegungen und poetologischen Entwürfen, hell ausgeleuchtet von Fixsternen wie Robert Creeley, Allen Ginsberg oder John Ashbery. In der britischen zeitgenössischen Poesie sucht man diese Vielfalt der Schulen vergebens. Zwar gibt es Ted Hughes, Seamus Heaney und Michael Hamburger, aber sonst ist es doch eher ruhig geblieben um die englische Szene. Diese Unter­belichtung im deutschsprachigen Raum mag damit zu tun haben, daß sich englische Dichter tatsächlich seltener zu Gruppen zusammenschliessen und weit weniger lautstark auf sich aufmerksam machen als ihre amerikanischen Kollegen. Eine gewisse Zurückhaltung dominiert, und für einen wie David Constantine, den Empathiker der englischen Poesie, ist diese Zurückhaltung nahzu Programm.

Der Göttinger Wallstein Verlag legt jetzt eine schöne zweisprachige Ausgabe des in seiner Heimat auch als Essayist, Erzähler und Übersetzer bekannten Autors vor. Ein großer Stiller, von dessen Versen man lernen kann, wie Mitgefühl sich in poetische Energie verwandeln läßt, ohne aufdringlich zu sein.

Man nehme das Gedicht Landschaft mit Freunden aus dem 1987 erschienenen Band Madder. Es beginnt, wie viele von Constantines Gedichten, ruhig, fast bedächtig mit einer Naturschilderung. Sonnenlicht trifft auf einen Berg, auf dem der Waldflaum blüht. Menschlich wird es, als der Sonne plötzlich das Attribut „mitleidig“ zukommt und die sorglosen Köpfe der Betrachter sich recken. „Ich lobe dieses Licht“, heißt es zwei Zeilen später noch, aber dann: „Ich lobe auch den Berg, der etwas / Wesenhaftes hat, aber vielmehr noch lobe ich euch“. Das Lob der Freunde steht hier über dem Lob der Naturerscheinungen, aber ein Gefühl menschlicher Hybris kann gar nicht erst aufkommen, denn die Freunde sind auch „klein genug im weiten Feld dort gegenüber“ – das lyrische Ich winkt ihnen aus der Ferne zu. Landschaft mit Freunden ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich aus zunächst rein ästhetischen Kategorien nach und nach eine Ethik ergeben kann. Und weil das so sanft und unaufdringlich geschieht, können wirs auch glauben.

In einem poetologischen Text in der Literaturzeitschrift Schreibheft Nr. 52 hat David Constantine die Gedicht-Tradition, in welcher er sich situiert, klar umrissen. Der verdienstvolle Übersetzer von Autoren wie Hölderlin, Enzensberger oder Henri Michaux ist der Meinung, daß jedes wahre Gedicht „dem merkantilen, privatisierten und verlogenen Umfeld, in welches es, als Sprache, notwendigerweise ausstrahlt“, widersprechen müsse. Man kann diese Poesie auch mit einem Paar Engelsflügel vergleichen, denn: „So sind die Engel. Sie ähneln uns in vielem, / Sie lesen Zeitung, schauen Nachrichten, / Aber sie vertrauen auf die Flügel der Welt / Auf eine Art, wie es heutzutage keiner von uns tut.“ Diese Verse, ob nun schlicht bezaubernde Definition der wahren Engelsnatur oder doch Setzung eines hohen Ideals?, wenden sich letztlich gegen eine Sprache, die ohne Flügel ist. Doch bleibt das Ideal durchaus auf Tuchfühlung zum Irdischen, denn die Engel wissen, wovon sie reden: sie lesen Zeitung und hören die Nachrichten.

Manche von Constantines Gedichtes sind Epiphanien. So das wunderbare Ausschau nach Delphinen, in dem das Erwarten der Meerestiere zum Gemeinschaftserlebnis wird, aus dem ein Moment reiner Schönheit entstehen kann, denn über die Wartenden und Ausschauhaltenden heißt es: „Und jede andere Begierde, / Sah man, fiel ab von ihnen“.

Ja, in diesen Gedichten sind Empathie und Zurückhaltung aufs glänzendste vereint. Da sind die Naturgedichte, in die fast unbemerkt anderes mit einflutet. Mond heißt ein Gedicht, aber es geht nicht um den Mond, sondern um zwei Menschen, zwei schlaflos Verliebte im Streit. „Komm rein und schlaf jetzt, wir werden / Unser Dasein sonst noch in Asche, Eis und Stein verwandeln“, heißt es fast beschwörend. Die Natur wird zum Medium eines ganz und gar menschlichen Zorns, wenn der Spiegel eines Sees „wimmert“ und das Eis „schluchzt“.

Constantine nennt als Dichter, die ihn in seinem Schreiben beeinflußt haben, nicht zufällig D.H.Lawrence und Keats, aber auch den schnörkellosen Thomas Hardy. Bei dem einen mag ihn die Reinheit der Sprache, bei dem anderen dessen bei aller Skepsis empathischer Grundton überzeugt haben. Zeilen wie diese aus dem Gedicht Das schiere Nichts kann man sich auch von Hardy vorstellen: „So wie wir sind, spät dran / Brauchen wir vor allem Zugang zueinander, / Hilfe und das Teilen der verbliebenen Quellen.“

David Constantine hat das Bild von den „konzentrischen Kreisen“ gewählt, um das Wechselspiel von Subjektivität und humanistischer Idee in seinem Werk auszudrücken. Ein Zuviel an Empathie bereite ihm auch Unwohlsein, sagt er einschränkend. „Ich muß mich an die Nähe halten, oder ich werde unsicher. Ich habe einen Horror vor Kunstfertigkeit.“ Das merkt man diesen Versen, die leicht und kunstvoll zugleich sind, kaum an.

Eines der schönsten Gedichte des Bandes ist ein maskiertes Liebesgedicht, es heißt Labe mich mit Äpfeln. Constantine adaptiert darin eine Geschichte des britischen Reiseschriftstellers und Phantasten Mandeville. Die Rede ist von einem Volk ohne Münder zum Küssen, dessen Bewohner „vom Duft der Äpfel lebten, / Und zwar nur davon.“ Sublimierung versagter Liebe. Es ist ein trauriger Text, und nachdenklich blättern wir vor auf Seite 131, wo das Gedicht Akt steht: „Du wirst sagen, es ist nur ein Bild, mal wieder ein Akt. / Aber ich meine, es war tatsächlich einmal so einfach: / Krug, Becken, Waschtisch, Handtuch, Stuhl, / ... und eine Frau ebendort, / Wo warmes Sonnenlicht und liebende Bewunderung sich treffen. / Und sie fühlt sich in beiden wohl.“
David Constantine wurde 1944 in Salford, Großbritannien, geboren. Er studierte moderne Sprachen und promovierte über die Lyrik Hölderlins. Als Lektor für Deutsch arbeitete er an der Durham University und als Dozent am Queen's College. Er veröffentlichte seit 1980 sechs Gedichtbände und gibt die Zeitschrift Modern Poetry in Translation heraus.

Modern Poetry in Translation  externer Link
Website des Autors | British Council  externer Link

Volker Sielaff     31.05.2007    

Volker Sielaff
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