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Ludvík Kundera

el do Ra Da (da)   |   Poesielabum 281

Sommerbuch der kleinen Wünsche

Surrealist ohne Manifest: Poesie und Prosa des tschechischen Dichters Ludvík Kundera

Kritik
  Ludvík Kundera
el do Ra Da (da)
Arco Verlag, Wuppertal 2008
412 S. | 26 Euro


Schon auf dem Deckblatt stehen, als Name und Buchtitel, zwei Verse: „Ludvík Kundera / el do Ra Da (da)“. Sein Name dürfte auch wenig er­fahrenen Lyriklesern ein Begriff sein, denn Kundera zählt heute zu den bekanntesten tschechischen Dichtern der Gegenwart, und vielmaschig ist inzwischen das Netz der Korrespondenzen zwischen ihm, dem 1920 im böhmischen Litomerice geborenen Poeten, und seinen (lebenden und toten) deutschen Freunden und Kollegen, die er fast alle auch ins Tschechische übersetzt hat: Peter Huchel, Franz Fühmann, Günter Kunert, Heinz Czechowski, Erich Arendt, Hanns Cibulka und viele andere.

Aber was, um himmelswillen, bedeutet „el do Ra Da (da)“? Klar, daß es irgendwas mit Dada zu tun haben muß, und tatsächlich lernte Kundera den von ihm hochgeschätzten dadaistischen Künstler Hans Arp 1946 in Paris anläßlich einer Ausstellung zufällig-unzufällig kennen: „Ich war von der Gesetzmäßigkeit dieses surrealistischen Zufalls überzeugt“, schreibt er später über diese denkwürdige Begegnung. Weniger als das Dada im Titel dürfte aber das kleine Wörtchen „Ra“ zu entschlüsseln sein, denn hier verästelt sich der europäische Surrealismus schon sehr ins Spezielle hinein.

Zwar ist allgemein bekannt, daß der Surrealismus kein aus­schließlich franzö­si­sches, sondern ein euro­päisches Phänomen war; es gäbe sonst bei­spielsweise einen Dichter wie den Rumänen Gellu Naum nicht, dessen Werk inzwischen in einer profunden Ausgabe im Verlag Urs Engeler Editor auch auf Deutsch vorliegt. In Tschechien waren es dann aber zunächst die Dichter Nezval und Teige, die 1922, „an einem Herbstabend“, der Avantgarde einen Grundstein legten, indem sie eine Bewegung namens „Poetismus“ erfanden. Eine tschechische surralistische Gruppe um Nezval gründete sich erst im Jahr 1934; und in dieser Linie muß man auch die Künstler­gruppe Ra sehen, der sich, neben anderen Malern und Schrift­stellern, bald eben auch Kundera anschloß.

Ra war eine typische Nach­kriegs­gründung, deren gemein­samer Ausgangs­punkt der Surrealismus der Vorkriegs­zeit blieb, auch wenn man sich später gegen die „reine Lehre“, etwa eines Andre Breton, abzugrenzen begann. Manifeste und Mit­glieder­listen gab es bei Ra nicht. Man dachte und schrieb innerhalb der Gruppe wohl surrealistisch, und auch an Kunderas Gedichten aus dieser Zeit ist das nicht spurlos vorübergegangen: „Du sagst kompaß / und das ist / als segle ankerlos der mund“. Aber Kundera ein Surrealist? Ja und Nein.

Denn man kann diesen Dichter nicht verstehen, ohne vom Surrealismus zu sprechen – und doch greift es viel zu kurz, in Ludvik Kundera einen Surrealisten reinsten Wassers zu sehen. Das war er nie und ist er heute weniger denn je. Spätestens seit den 80er Jahren ist sein Ton mehr ironisch-lakonisch als irgendwie surrealistisch. Und die Etiketten wirken verbraucht.

Die Entwicklung dieses Dichters von den frühen dada­istischen Expe­ri­menten, über den Sur­realismus, bis hin zu jenem verknappten, ironisch-entspannten Stil seiner jüngeren Texte, ist an dieser von Eduard Schreiber vorzüglich besorgten Auswahl, die auch Erst­abdrucke wieder­auf­gefundener Texte Kunderas enthält, ebenso nachzuvollziehen, wie dessen Ringen um eine eigene Sprache in den Zeiten des Protektorats, als der damals gerade einmal Dreiundzwanzigjährige als Fremdarbeiter nach Berlin-Spandau geschickt wurde. Dort schrieb Kundera zwar an einem Manuskript mit dem lakonischen Titel „Roman“, doch mag es kein Zufall sein, daß der Text bislang im Tschechischen nicht veröffentlicht ist, denn ein Romancier ist aus Kundera nie geworden.

So finden sich denn auch in „el do a Da (da)“ nur wenige Prosatexte, die umso stärker sind, je privater sie daherkommen. Etwa als Erinnerungen an Freunde. Dem in märkischer Abgeschiedenheit lebenden Peter Huchel ist ein schöner Text gewidmet, dem großen tschechischen Dichter Jan Skacel, der wie Kundera eine zeitlang als Zeitungsredakteur arbeitete, ein anderer. Oder den beiden hierzulande viel zu wenig bekannten Lyrikern Emil Julis und Frantisek Listopad, die es auf Deutsch gar nicht oder, im Falle Julis', nur in kleinen Editionen gibt.

Viele Texte der Sammlung, die zuvor nur in Zeitschriften erschienen sind, hat Herausgeber Eduard Schreiber selbst übersetzt. Als eine Perle in dem opulenten Band darf Reiner Kunzes Nachdichtung von „Grummetwunsch“, einem Gedicht aus Kunderas „Sommerbuch der Wünsche und Be­schwer­den“ aus dem Jahr 1962, betrachtet werden.

Zu Ehren kam Ludvík Kundera spät. 2002 wurde ihm auf der Leipziger Buchmesse der renommierte Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen, was nicht darüber hinwegtäuschen sollte, daß dieser Dichter zwischen 1948 und 1961 fast nichts und ab 1970 überhaupt nichts mehr veröffentlichen durfte. Da galt es für ihn schlicht, zu „Über­wintern“, wie es die Titel einer ganzen Serie von Gedichten, deren Motiv alljährlich wieder­auf­genom­men wurde, empfehlen: „ich deklinierte Bitterkeit mir wiederholt und mit Gefallen / Voll Furcht schlug ich ein paar berühmte Nummern auf / Mit diesem Volk, so rein, so klar? / (das Fragezeichen ist von mir)“, heißt es in „Überwintern 1975“, und nur Wassertonne, Nußbäume und Holunder erweisen sich über die Jahre hin als einigermaßen beständig.

Ein besonderen Platz im Werk Kunderas nehmen seit je, anknüpfend an Nezvals Äußerung, daß das „dichterische Werk im Grunde genommen die Struktur des Traums“ habe, die Träume ein. 1979 wird ein ganzes Buch daraus, „Sny“, Träume. In späteren Träumen – 1995 erscheint ein „Sny tez“ (Auch Träume) betitelter Band – erscheinen ihm immer öfter Gestalten aus einer untergegangenen Welt, wie die Baronin Dubska alias Marie von Ebner – Eschenbach oder der österreichische Erzähler Ferdinand von Saar.

Das der leidenschaftliche Teetrinker und Weinkenner Ludvík Kundera stets für Überraschungen gut ist und sich in Bezug auf diesen Autor jegliche Ismen als untauglich erweisen, zeigen nicht zuletzt die erst 2003 im Band XI seiner tschechischen Werkausgabe erschienenen dreizeiligen „Teeporträts“, die mit der Form des japanischen Haiku spielen und manchmal in einer Frage enden: „Am Paß blieb stecken ein Karren. / Vergeblich knallt der Knabe die Peitsche. / Naht Sturm oder will uns nur Dämmerung narren?“ (Darjeeling).
  Poesiealbum 281
Ludvik Kundera
Ausgewählt und nachgedichtet von Eduard Schreiber
Märkischer Verlag, Wilhelmshorst 2008
31 Seiten, 4 Euro.

Zur Reihe Poesiealbum

Beitrag erschien zuerst im Tagesspiegel 

Volker Sielaff     25.05.2009       
Volker Sielaff
Prosa
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