POETENLADEN - neue Literatur im Netz - Home
 
 
 
 
 
 
 

Ludwig Steinherr

Kometenjagd

Ein Lichtstrahl von Arkadien nach Elysium

Kritik
  Ludwig Steinherr
Kometenjagd
Gedichte
Lyrikedition 2000, 2009


Am Anfang war das Wort. Falsch. Am Anfang der Kometenjagd steht die „selbstvergessene Schöpfung“. Das Wort dagegen führt bei Steinherr zur Auftrennung in Geist und Materie, weil es den unbenennbaren geistigen Rest nicht tragen kann. Nur das Licht, die absolute Erhellung legt das verborgene Göttliche frei, das in Kometenjagd jedes noch so kleine Fitzelchen durch­drungen hat. Immer und immer wieder blitzt es hervor in den beiläu­figen Situationen, die in Steinherrs Gedichten die Hauptrolle spielen; jenes Licht, das der Autor im Laufe der sechs Kapitel von Kometenjagd fortlaufend sucht und erblickt und ertastet und letztendlich durchbricht.

Was beginnt mit dem Erschauen der selbstvergessenen Natur, währt allerdings nicht lange, weil die Schöpfung nicht lange unberührt bleibt. Im Verlauf der Kometenjagd erscheint sie mehr und mehr befrachtet mit Wissen und Kultur, mit bildender Kunst, mit Architektur und Naturwissenschaften. Die Kulturgravur trug dabei Schicht für Schicht Entgrenzungserfahrungen auf, die das unschuldige, lichte weiß der Transzendenz überlagern. Zwar bleiben immer noch Restbestände wie der Apfelbaum („Beim Sündenfall / war er nur Requisit – / der Blitz der Erkenntnis / hat ihn nicht gespalten – / Ein Ahnungsloser / der noch immer glaubt / dieser Kosmos sei ein Garten“), die Verblendung spitzt sich aber immer mehr zu; bis sich die Schöpfung gegenseitig an den Kragen will. Als das Licht schon für ewig zerschnitten scheint, tritt in die „Stille des Nichts“ ein „erstes Rauschen / einer neuen Schöpfung“. Wenn im September die „Metro / [...] ans Licht fährt“, kann sie nur noch durch den „geschächteten Himmel“ fahren; aber immerhin, sie fährt und erreicht es.

Im letzten Kapitel kann das Licht aber dann nicht mehr das unschuldige Licht sein; es ist ein dionysisches Licht, das sich als Droge entkleidet, und seine Wirkung überdosiert einsetzt. „Meine Netzhaut / ausgesetzt / wehrlos / gegen die überbelichtete / Schöpfung // die grundlose / Ekstase // die Klinge / aus Licht“. Das Licht setzt sein Inferno, es rast im „Heiligen Gewaltrauch“, um die letzte Metamorphose zu bringen, um die Welt ins Freie zu setzen. Die Welt wird in Dante lesend auf einer Zugfahrt auf direktem Weg von Dantes Hölle in den Kristallhimmel gewuchtet; und sogar der scheint noch durchstoßen zu werden. Wenn schon nicht zu Beginn der Kometenjagd, dann müsste doch wenigstens am Ende das Wort stehen. Wieder Falsch. Am Ende bleibt scheinbar nur der Schatten der Worte; genau jener unbenennbare Rest, der zu Beginn zur Trennung des Geistlichen und des Physischen führte. Doch sogar der Schatten der Wörter zerstiebt noch. Alles, was bleibt, sind die gereinigten, unbelasteten Wesen in der „Morgendämmerung“.

Der 1962 in München geborene Lyriker legt mit seinem zwölften Gedichtband nicht nur ein durchkomponiertes Buch vor, das nur so strotzt vor philosophischen Ansätzen und kulturellen Einflüssen, vorrangig aus der Malerei; sondern Steinherrs Gedichte strahlen in einer knisternde Trans­zenden­tal­erotik, die sich im Zusammenklang von Metaphysik und Profaneität, von Göttlichkeit und geblendeter Abgöttlichkeit innerhalb des Gedichtes auflädt und am Ende häufig in einer Pointe entlädt. Dabei gibt es für den Dichter keinen Gott, der sich in seine Innerlichkeit zurückgezogen hat, sondern alles ist eingelagert in exemplarischen Alltagssituationen, die der Dichter selbstgenügsam beschaut: „Verträumt – doch ohne großen Traum –“. Die Natur ist sogar noch „zu wohlerzogen / die Welt zu belästigen / durch eine Klage“.

Trotz aller Zurückhaltung wird zu oft die Aussage religiös überfrachtet und zu eng geschnürt. Steinherrs unaffektiertes Verfahren, die häufig auftretenden christlichen Figurationen in Bilder oder Plastiken erscheinen zu lassen wie „die bestialischen / Posaunen / von Breugels / Engels- / sturz“, wird nicht immer durchgehalten. Da stehen dann auf einmal „Erzengel“ aus dem Nichts im Gedicht herum, da wird im Fitness-Studio „Diese Sucht / vor Spiegeln zu bestehn“ zur Prüfung vor dem „letzten Spiegel [...] Am Jüngsten Tag“, und klar kommt auf der Bühne deus ex machina. Das wirkt vielleicht im Einzelgedicht, aber im gesamten Band beschwert die Über­akzentuierung die Leichtigkeit der Gedichte Steinherrs. Da bleibt ein leicht fader Nach­geschmack wie von den 82 Engels- und Heiligenfiguren auf einer Fünf-Minuten-Strecke durch die Bamberger Altstadt.
Walter Fabian Schmid     09.08.2009  
Walter Fabian
Schmid
Bachmannpreis
Gespräch
Bericht