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Wilhelm Bartsch

Marsyas zeigt noch einmal sein Fell

Ich liebe Gebrauchsspuren, die gut getarnten Undinge lieb ich,
die nicht Hier! rufen und die mit ihrem vertrackten Humor,
den kaum noch einer versteht, das Diesseits als Jenseits bevölkern,
als wär's nichts. Ich liebe den Reichtum der Armut – Sieh nur
den Schiefer! Zwei Kerben! da lief, nicht lang her, Draht durch:
Das war keine Standweide! Ich zeig dir ein fast schon
erloschenes Foto: Der Bauer da – die Seinen – der Sonntagsstaat,
und nach dem Kirchgang, ja eh schon unter den Bergulmen,
da ging's nach Pöllnitz zum Pferdewirt gleich – der Mensch mag
Geleit und Geländer, und wenn's nur kniehoch ist! Du könntest
zu Dutzenden diese Zwiekerber noch finden, man müßte
bloß wissen, wo's lang ging – Ich liebe den Baumstamm
hier über das Flüßchen und wie – zack! – parallel nur ein Ast,
als Handlauf, nur zweimal genagelt, mir nutzt, mich bezirzt,
mich drüber kommen läßt, als wär ich des Naglers Gazelle!
Ich liebe die samtgrün umsinkenden Zäune, besoffene Wellen,
die Standpolonaise! – ja, guck! die Latten tun so wie Pflanzen, so
hauen die ab aus dem Staats– und Privateigentum! Ich liebe
die Steine im Flüßchen, die Einer vor Zeiten der Furt
hinzugefügt hat – auf einem steht „M“, und vielleicht
war's ja Manitou Müller? – ich liebe „Ich liebe Dich!“ oben
im Wald an der entlegenen Buche, werwenwannwo auch.
Ich liebe die mißlungene Birkenbank, die vor Kummer,
ich sah ihn doch jahrelang, schließlich zusammensank
zu einem weißen Hexenherz für die Fliegenpilzglut.
Ich liebe am Teich der Heimat den Gänsezaun sehr:
eine Kopfweidenernte, ein wellendes Flechtwerk, das ist es
um sprießende Stöcke ein Bauwerk für Winzlinge
vom Mars und für Kraut von der Venus – ich hänge da dran,
Marsyas, getarnt, Haut und Haar, unverzehrbar,
ein Stockfisch, bemoost mit Gedichten und also von Nichts,
eins schöner wie's andre, nun komm schon – zieh ab!

 

Wilhelm Bartsch   03.07.2007

Wilhelm Bartsch
Texte | Gedichte