poetenladen    poet    web

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Teil 3 | Nachrufe & Abrechnung

Die Sächsische Autobiographie, in­zwischen ungetarnt offen als authen­tisches Auto­bio­gra­phie-Roman-Fragment – weil unab­geschlos­sen – defi­niert, besteht bis­her aus 99 Folgen (Kapiteln) und 99 Nachworten (Kapiteln). Der Dritte Teil trägt den Titel: Nach­rufe & Ab­rechnung.
  Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philo­sophen nennen das coinci­dentia opposi­torum, d.h. Einheit der Wider­sprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  Nachrufe & Abrechnung 31

Abschied von der letzten Kriegsgeneration?

  »Wer Opfer war, wer das Inferno überstand, kann künftig weder meta­phy­sische noch religiöse Illu­sionen haben; zur ›Bewäl­ti­gung‹ bleibt ihm nur die gehär­tete Ver­nunft.«
Jean Améry



Die DDR ist Vergangenheit geworden. Im siegreichen Westen finden Krisen und Kriege kein Ende. Wahrheit bricht durch: »Wie wir lernten, die Banken zu hassen – Meine Generation leidet an den verheerenden Folgen des Euro – Die Steuerlüge der Großen Koalition – Der Staat als Raubritter – Seelsorger verzweifeln am eigenen Leid – Der nächste Schock kommt bestimmt …« Die Klagen schmücken am 22. Dezember 2013 den FAZ-Wirtschafts­teil. Wagte sich die junge Welt an derart geballte System­kritik, wäre das ein Fall für den Ver­fassungs­schutz. In mit­regie­renden System­zeitungen stößt sich keiner mehr daran. Man ist das gewöhnt wie an den Atom­koffer, der dem obers­ten Russen wie dem obersten Ameri­kaner nach­getragen wird, bewegen die Über­menschen sich fern der heimi­schen Zentrale. Sie sollen jederzeit imstand sein, die Welt in die Luft zu sprengen. Das Publikum weiß Bescheid, es stört nie­manden – mehr ist uns dieser Erdball nicht wert.
  Stell dir Cäsar oder Nero mit Atomwaffen vor. Die Erde wäre längst unbewohn­bar wie der Mond. Als 1974 mein Roman mit diesem Titel erschien, ergaben sich Jahre hindurch heftige, wo nicht irre Diskus­sio­nen über alles Mögliche. Am Titel nahm keiner Anstoß. Die Unbe­wohnbarkeit unserer Erde ist längst lässiger Alltag geworden. Man hat sich im explosiven Abgang wohnlich eingerichtet. Ich nicht. Vielmehr war ich einer der Idioten, die x-mal ihre Haut riskierten, um gegen den Wind zu spucken. Heute, am 3. Januar 2014 beginnt im FAZ-Feuil­leton der große Rück­blick auf die Ur­katastro­phe von 1914. Ein Fotopanorama zeigt angreifende deutsche Soldaten 1916 an der Westfront. Der das Gedenk­jahr begründende Lorenz Jäger kündigt »eine Serie mit unbekannten künst­leri­schen Zeug­nissen aus dem Ersten Weltkrieg« an. Ein braver, wo nicht bravou­röser Vorsatz.1988 erschien mein Antikriegs­buch Soldaten sind Mörder. Im Buch versuchte ich so ehrlich wie tiefen­scharf zu formulieren. Dazu Notizen von damals im Ori­ginal:

Soweit meine Einführung zum Buch von 1988 – was aber hat das mit heute zu schaffen? Schon 1990 wurde infolge Einheit eine zweite Motivation nötig:

Ist ein kleiner Schriftsteller ohne Einfluss und Macht einfach naiv, wenn er sich so unge­schützt zu erklä­ren versucht? Als kurz darauf die Debatten um die Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht losbrachen, zeigte sich, die Ur­kata­strophe von 1914 – 18 setzte sich 1939 – 45 fort ohne damit zu enden. Oft saß ich in Talk im Turm, in den Runden von NDR, WDR, auch im damaligen Hessen 3 sowie Bayern 3 und ver­spürte den alten idiotischen Drang statt zu reden zu schießen. Aufklärung und Vernunft sind selten vor Kamera und Mikro­phon an­zutreffen. Wo blieben die Mit­streiter? Ein General fauchte mich an, ich solle leiser reden. Ich hätte aber mit den Stimmen von dreißig­tausend zum Tode ver­urteilten deutschen Deser­teuren spre­chen müssen. Übri­gens traute sich kein Verlag, die Hard­cover-Aus­gabe von Sol­daten sind Mörder als preis­wertes Ta­schen­buch heraus­zubringen. In diesen Jahren befanden sich fast fünf­zig meiner Titel als TB-Editionen auf dem Markt.



(Soldaten sind Mörder, München 1988)

Die Konflikte um die Wehrmachtaus­stel­lung reichten über die achtziger Jahre hin­aus. Das strit­tige Thema Wehrmacht – Bundes­wehr – Natio­nale Volks­armee erhielt mit der Vereinigung Zuwachs. Als ich die DDR wieder betre­ten durf­te ging ich zuerst in die gute alte Gast­stätte Kaffee­baum, histo­risch Coffee Baum und fand an dem Tisch Platz, wo wir oft ge­sessen hatten. Die Schmalseite zur Wand hin und der Ein­zel­stuhl illu­sio­nierten mir den 1977 ver­storbenen Ernst Bloch ganz leben­dig vor Augen. Es ging nicht um Erich Loests Hass-Objekt Paul Fröhlich, zum Teufel mit dem Schrecken von ges­tern, es ging um Sören Kierkegaard. Nachzulesen in »Denk­fa­brik am Pleißen­strand«, Folge 61 vom 14.12.2008, Zitat Seite 7: »Kierke­gaard zählte zum theo­re­tischen Inven­tar einer Linken um Brecht, Walter Benjamin, Bloch, Günter Anders, Hannah Arendt.« Das ist gegen Hei­degger ge­richtet. Führt in die dreißiger Jahre zurück und ist bis heute akut. Gefor­dert wird unge­heurer Ernst, sub­jektives und zugleich ein­grei­fendes Denken. In Ingrids Nach­schriften von Blochs Vorlesung über Kierke­gaard am 22.10.1956 ist es exakter auf­gezeichnet als in meinen kurzen Notizen vom 13.4.1954.

Innovativ nach­zuforschen ist über Privates und Unendliches … so ent­steht Stil … hoher beißender Galgen­humor … Ver­koppelt mit Ewigkeit … Mein dank­barer Kommen­tar dazu in Folge 61: »Ernst Bloch fühlte sich in Leip­zig dem Dänen beson­ders ver­bunden in Vita­lität, wider­spens­tigem Elan und den Reflexionen über Erotik, bei der es Bloch allerdings, anders als Kierke­gaard, nicht an Praxis man­gelte. Ich nahm mir damals vor, das Karl-May-Land Sachsen Richtung Ernst-Bloch-Land vor­an­zutreiben. Bloch mochte May. Ich mochte May und Bloch. Also galt es, die individuelle Revolte zur humoris­ti­schen Revo­lution an beiden Ufern der Pleiße reifen zu lassen. Zu fragen ist, wie sich Bloch als gleichsam wieder­geborener Exis­ten­tia­list Kier­ke­gaard in der pseu­do­marxis­tischen DDR-Diktatur des Prole­tariats, alias Polit­büro zwölf Jahre lang halten konnte. Ich selbst als verkappter Trotz­kist unter Hitler, Stalin, Ulbricht, später Ade­nauer und an­schlie­ßenden Obrig­keiten schaff­te das nur mit Hilfe meiner realen wie taktischen Harm­losigkeit als Humorist unter Assis­tenz von Gert Gablenz sowie weiteren Pseudo­nymen.«
Zitat von Winfried Maaß
stern 09.03.1989

Als Jean Amery in Jenseits von Schuld und Sühne ganz behutsam und distan­ziert bleiben wollte und die gute Absicht plötz­lich unmöglich fand, rettete er sich in den Satz: »Wo das ICH durch­aus hätte vermieden werden sollen, erwies es sich als der einzig brauchbare Ansatzpunkt.« Mir scheint, das erste Wiedersehen nach Jahr­zehnten mit dem Tisch im Kaffee­baum war der zuge­geben etwas romantische Grund, dass ich mich dazu durchrang, es noch einmal mit der Politik zu ver­suchen. Ein Schritt, den mir Erich Loest nicht verzeihen konnte. Unsere ICH's begrif­fen sich bis dahin als WIR. Tatsäch­lich be­kamen wir beide den Krieg nicht aus den Knochen. Doch jeder blieb von jetzt an für sich. Es ist wie beim Schreiben eines Gedichts, das ist, wenn kein bloßes Geplapper, radikale ICH-Bestim­mung. Wo stehe ich? Wie existiere ich? Expe­riment. Selbst­erfor­schung. Blick nach innen und draußen.


Spiegel-Rezension (1966) von Gerhard Zwerenz: Wo steht im Westen das lyrische Ich?
Artikel per Klick (Zoom)

Als Peter Hamm 1966 einen Über­blick zur deutsch­sprachigen Lyrik her­aus­gab und der Spiegel bei mir wegen einer Rezen­sion anfragte, sagte ich voller Neugier zu. Wo steht im Westen das lyrische ICH? Neun Jahre zuvor war mir im Osten ein Gedicht partei­staatlich schwer verübelt worden. Wie weit reichte die ver­kündete Freiheit im Westen? Verbale Raub­ritter und mediale Stoß­truppen stehen stets bereit. Als Partisan auf dem 3. Weg kannst du auf keiner Seite mit Bundes­genos­sen rechnen. Was also tun? Setz doch, du armes Schwein, auf deine letzten Tage. Werde absolut. Es gibt keinen Gott, so Erich Loest ein- wie mehrdeutig am Ende der letzten tv-Doku­men­ta­tion über sein Leben. Genosse Hiob in Konse­quenz, aufrecht fechtend beim Rück­zug ins Schlachthaus der Kanni­balen. Maja­kowski setzte in jungen Jahren den Schluss­punkt mit Blei. Loest im Alter mit Fenster­sturz. Der Abgang mit Stil adelt die Bio­graphie.
  Von Richard Albrecht, Aufklärer an vielen Fronten, wir zitierten ihn oft und gern, ist gerade dieser Kurzkommentar online unter duckhome.de erschienen:
  »Mit den Zwergen und den Schatten ist das auch so 'ne Sach, mein alter Freund Gerhard hat die mich über­zeugende Metapher VER­ZWERGTE ÜBER­MENSCHEN zu diesen Supermedienpromis von Schmidt bis Habermas ausgeprägt. Zwerenz, inzwi­schen hoch­betagt, grum­melt als Ost ´56er immer noch 14tägig öffentlich im poetenladen, zu­letzt heute: Die Urkastastrophenmacher. Und auch das ist nur gut so ...«

Wir ausgetriebenen Ost-56er standen 1989/90 vor der Frage, wohin mit dem Revo­lutions-Kadaver? Reisen von Rostock bis Zittau, Lesun­gen, Vor­träge, Dis­kus­sionen. Lässt 1989 sich an 1956 an­schließen? Freund­schaft! Der Ostgruß bedarf linker Freiheits­hil­fe, wenn schwarze Frei­heits­gaukler gaucken. Sei's drum. Mir wuchsen sie alle ans Herz bis zum fälligen Infarkt. Loest ver­zwei­felt und verfeindet sich selbst mit Freunden, ich hisste die Hoffnungs­fahne, unter uns Hoff­manns­fahne genannt – Ingrid hieß Hoffmann, bevor sie als Zwerenz das Team vervoll­ständigte, zu dessen Vor­sitzenden wir unse­ren Chow Lord Billy er­nannten.

Vorsatzblatt mit Zueignung für Ingrid Zwerenz (links)
Billy als Vorsitzender mit Gerhard Zwerenz und Ingri Zwerenz (rechts)


So firmierten wir als Teil der letzten Kriegs­gene­ration – genauer Anti­kriegs­gene­ra­tion, nennt es wie ihr wollt: Vortrupp, Nach­trupp, Späh­trupp, Stoß­trupp. In Jenseits von Schuld und Sühne von Jean Améry fand ich das Wort Feind­heimat. Es betraf mich wie ein ent­schlüs­seltes Geheimnis. Von der Bücher­ver­bren­nung 1933 an war die Lek­türe meiner Kind­heit und Jugend illegal, wir ver­steckten die Bände. Schule, Lehrzeit, Wehr­macht wurden für mich Feindheimat, ich sprach getarnt, also anders als ich dachte, das hat Folgen – du lebst als Zwilling, der eine steht aktiv auf Wache, der andere gibt sich wie befoh­len. So stieß ich zur Lite­ratur, in der sich beides mit List und Lust vereinen lässt. Falls aber nicht, hilft der Ausbruch, die Deser­tion aus der Feind­heimat. An der Grenze lauert schon Stanislaw Lec auf dich: End­lich bist du mit dem Kopf durch die Wand und was fängst du nun an in der Nachbar­zelle? Das Ende der DDR bot die Mög­lich­keit offenen Widerspruchs. Mit dem DDR-Finale fiel die SED weg, was die PDS als Über­gangs­partei her­vor­rief. Man strich Stalin, so blieben Marx-Engels-Lenin übrig. Man strich Lenin und stand perplex wie früher die SPD vor Marx-Engels. Was nun – was tun? »Die partei­förmi­ge und plurale Linke braucht ein neues strate­gisches Konzept …« Mit diesen polit­ik­förmi­gen Worten auf Samt­pfoten ver­abschiedet neues deutsch­land am 30. De­zem­ber 2013 das alte Jahr. Formu­liert von Michael Brie und Dieter Klein, zwei hellen Köpfen aus DDR-Nachlass. Und was sagt die Basis dazu? Von der stärks­ten der Parteien über heftig um­strit­tene Parteireformen zur bloßen Förmigkeit. Wo bleibt die Revo­lution? Wie der Gott der übrigen Par­teien im Himmel. Keine Angst Genossen, die anderen Parteien ver­fallen ebenso in Rat­losig­keiten. Die Wen­digsten ver­ab­schieden sich noch blitzgeschwind mit Merkels Segen auf lukra­tive Wirt­schafts­posten. Wer bleibt, betet zu seinen über­irdi­schen Instan­zen hoch. Doch die Höhe wird inzwi­schen vom Gottes­roboter Drohne beherrscht. So vollendet sich die friedliche Revo­lution unserer tapferen Bürger­recht­ler, die nach dem Sieg über die Sowjetunion mit der NATO zum Sieg über die Russen rüsten. Sicher­heits­halber vermied Buprä Gauck bisher seinen längst fälligen An­tritts­besuch im Kreml. Die Wehrmacht hatte es ja auch nicht bis dorthin geschafft. Hin und wieder trifft man in der Presse auf solche liebens­würdigen Äuße­rungen:»Von Gauck wollte einer wis­sen, wie er mit einem Besucher vom Schlage Wladimir Putins umgehen würde. Das ist die schlimms­te Frage, die Sie mir stellen konnten", soll er geant­wortet haben.«
  Die Kriegsgeneration tritt ab. Bald wird es keinen einzigen Überlebenden mehr geben. Schicht­wechsel zu den nach­fol­genden Jahr­gängen. Unbe­troffen bleibt nie­mand von der neuen Teilungs­epoche, die für uns 1945 begann. Der Wehr­macht folgten Bundes­wehr und Natio­nale Volks­armee nach. Es gibt vier Be­satzungs­zonen, dann BRD und DDR, bis die Deut­schen sich ver­einigen und die Russen von der Elbe ver­treiben, sodass die Ost­grenze wieder hinter Weichsel und Bug ver­läuft, von der Wolga nicht zu reden, die vorerst wie die Ukraine strit­tig bleibt. Der dem Generalis­simus Josef Wissariono­witsch gewid­mete Ort wurde zu Wolgograd ent­stali­ni­siert, den Titel Heldenstadt erhielt Leipzig, obzwar es dort nicht wie in Sta­lin­grad eine halbe Million Tote gab, sondern gar keine, was erfreulich ist, sich aber immer noch ändern kann.
  1989/90 Deutsche Vereinheitlichung. Das ist gut. Die Grenze steht auch für uns offen. Das ist für mich der Ernstfall. Wir wollten in Leipzig leben und mussten gehen. In Köln, München, Frank­furt ergaben sich andere und zugleich ähnliche Situa­tio­nen. Feinde stell­ten sich ein, und viel mehr Freunde. Und nun zurück nach Leipzig? So reiste ich bald als partei­loser PDS-Sympa­thisant und MdB in die neu eröff­neten Land­schaften und Orte. Die Hauptfrage für mich war, was sich in Leipzig noch von Ernst Bloch vorfand. Sie hatten in dieser Stadt sogar mal Johann Sebastian Bach vergessen. Bald zeigte sich, EB war vergessen gemacht worden.
Postkarte
von Arno Schmidt
an Gerhard Zwerenz
Heute, Sonnabend 11. Januar 2014 im FAZ-Feuilleton Arno Schmidt kategorisch mit Brille die erste Seite be­herrschend, Dietmar Dath befragt ihn, der am 18.1. hundert Jahre alt gewor­den wäre. Dath nennt es Befra­gung und merkt spitze Distanzen an. Mir gespens­tert Arno ins Gedächt­nis, gestern Suche im Archiv, eine Postkarte fällt zu Boden, Absender Arno Schmidt, Worte kurz und bündig, bringen sich selbst ins Toten­gespräch ein. Daths Überschrift zum Schmidt-Ar­tikel; »Ein deutscher Not­fall«.
  Die abtretende Kriegsgeneration ein Heer von Notfällen. Die Nachfolger erblich vorbelastet oder noch offen.

Am Sonntag, dem 18. Januar 2014 ging es bei Günther Jauch in der ARD ums aktuelle Thema Freitod und Sterbehilfe unter dem griffigen Motto Mein Tod gehört mir, vorgebracht von Udo Reiter, seit einem Halbjahrhundert nach Autounfall Roll­stuhl­fahrer. Tapfer verteidigte er gegen den langgedienten SPD-Genossen und tief­gläu­bigen sauer­ländi­schen Katho­liken Franz Münte­fering seine radi­kale Aus­sage pro Frei­tod. Ohne die g­eringste An­deutung des kurz zurück­lie­genden Suizids von Erich Loest in Leipzig, wo Reiter MDR-Inten­dant gewesen ist. Wäre Loests Moti­vation bei dieser Sen­dung so un­passend gewesen? Einen Tag vor dem ARD- Suizid-Diskurs traten beim ZDF ein brüllender Markus Lanz und ein wut­spuckender stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges gegen Sahra Wagen­knecht auf. Die Sendung sollte als Pflicht­fach in Schulen und Hochschulen per Video vorgeführt werden, Thema: Wie gehen 2 Männer mit 1 Frau um, wenn sie sich öffent­lich mal so richtig auskotzen dürfen. Und wie lässt eine gut informierte Oppo­sitio­nelle die Imita­tions-Inqui­sitoren ganz cool ab­stinken statt sich auf deren Mist­haufen-Niveau ein­zu­lassen. Wer die Dis­kussion Satz für Satz auf Wahrheits­gehalt und ideo­logische Luft­blasen hin unter­sucht, sollte mal abzählen, auf wessen Seite sich Argumente finden und wo nur gefuch­telt und ge­blafft wird. Im Übrigen muss es in der stern-Chef­redak­tion zwei Jörges geben, der eine weiß mit­unter, was er sagt und schreibt, der andere talkt gern kopf­los und saulaut und wird auch noch gnaden­los mit­samt dem links­fres­serischen Markus Lanz aufs un­schul­dige Publikum los­gelassen. Über Sahra Wagen­knecht mehr im poetenladen, unter anderem im Nachwort 73: »Die Suche nach dem anderen Marx«.
Gerhard Zwerenz    27.01.2014   

 

 
Gerhard Zwerenz
Serie
Zwischenberichte
  1. Zum Jahreswechsel 2012/13
  2. Ins Gelingen oder Misslingen verliebt?
Nachrufe
  1. Es herrscht jetzt Ruhe in Deutschland
  2. Wer löst den Loest-Konflikt?
  3. Wo bleibt die versprochene Reformdebatte?
  4. Wortgefechte zur Linken und zur Rechten
  5. Küsst die Päpste, wo immer ihr sie trefft
  6. Wir Helden auf der immer richtigen Seite
  7. Ein Versuch, Stalingrad zu enträtseln
  8. Der Übermenschen letzter Wille
  9. Hitlers Rückkehr als mediales Opiat
  10. Von Leibniz zum tendenziellen Fall der Profitrate
  11. Vom langen Marsch den 3. Weg entlang
  12. Das Kreuz mit den Kreuzwegen
  13. Gibt es Marxismus ohne Revolution oder ist Marx die Revolution?
  14. Unser Frankfurter Rundschau-Gedenken
  15. Meine Rache ist ein dankbares Lachen
  16. Drei jüdische Linksintellektuelle aus dem Chemnitzer Marx-Kopf
  17. Aufmarsch unserer Kriegs­verteidigungs­minister
  18. Vom Linkstrauma zur asymmetrischen Demokratie
  19. Gauck wurde Präsident. Bloch nicht. Warum?
  20. Vorwärts in den Club der toten Dichter 1
  21. Der Mord an der Philosophie geht weiter
  22. Nie wieder Politik
  23. Abbruch: Erich Loests Fenstersturz
  24. Statt Totenklage Überlebensrede
  25. Philosophie als Revolte mit Kopf und Bauch
  26. Das Ende der Linksintellektuellen (1)
  27. Das Ende der Linksintellektuellen (2)
  28. Leipzig leuchtet, lästert und lacht
  29. Briefwechsel zum Krieg der Poeten
  30. Die Urkatastrophenmacher
  31. Abschied von der letzten Kriegsgeneration?
  32. Konkrete Utopien von Hans Mayer bis Joachim Gaucks Dystopien
  33. Vom Leben in Fremd- und Feindheimaten
  34. Was wäre, wenn alles besser wäre
  35. Von Schwarzen Heften und Löchern
  36. Die unvollendete DDR als Vorläufer
  37. Auf zur allerletzten Schlacht an der Ostfront
  38. »Der Mund des Warners ist mit Erde zugestopft«
  39. Die Internationale der Traumatisierten
  40. Fest-Reich-Ranicki-Schirrmacher – Stirbt das FAZ-Feuilleton aus?
  41. Grenzfälle zwischen Kopf und Krieg
  42. Linke zwischen Hasspredigern und Pazifisten
  43. Wahltag zwischen Orwell und Bloch
  44. Botschaft aus dem Käfig der Papiertiger
  45. Ernst Bloch und die Sklavensprache (1)
  46. »Weltordnung – ein aufs Geratewohl hingeschütteter Kehrichthaufen«
  47. Frankfurter Buchmesse als letztes Echo des Urknalls
  48. Autobiographie als subjektive Geschichtsgeschichten
  49. Die Sprache im Käfig und außerhalb
  50. Tage der Konsequenzen
  51. Oh, du fröhliche Kriegsweihnacht
  52. Merkel, Troika, Akropolis und Platon