Bei Thomas Mann habe ich etwas läuten hören von der „verstohlene(n) und zehrende(n) Sehnsucht nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit“. Davon kann man in den Wannen einiges erleben, wenngleich sie sich für Schicksalsschläge, auch für Mordanschläge besonders gut eignen. In der Badewanne, so stelle ich es mir vor, ist der Mensch einerseits harmlos, eher freundlich und eins mit sich. Andererseits ist er aber in der Wanne nicht wehrhaft; er ist arglos und immobil. Die Wanne wird zum Schauplatz außergewöhnlicher Dramatik. Das letzte Bad des Jean Paul Marat heißt einer der Texte von Lisa Fritsch. Marat hatte seine Mörderin im Badezimmer empfangen. Gequält von einem Juckreiz, mit aufgekratzter Haut am Oberkörper, saß er in der Wanne: Zitrone im Badewasser mildert Entzündungen! Artikel für sein Journal schrieb er – mit Essigwickel auf der Stirn – im Bad. „Zum Wohl des Volkes“, schreibt Fritsch, „ist auch Todbringendes darunter.“ Das waren revolutionäre Zeiten, in denen es immer unsicher ist, wen der Tod zuerst ereilt. Beau-Rivage 317. So lautet die Zimmernummer und der Name des Genfer Hotels, in dessen Badezimmer Uwe Barschel zu Tode kam: „Das Einzelzimmer 317 mit dem Blick auf die Seepromenade soll im Laufe der folgenden Jahre Besucher angelockt haben, die das Todeszimmer für einen Erlebnisurlaub mieten wollten.“ Das ging den Besitzern des Hotels zu weit, sie bauten 317 und 318 zu einer Suite um. Den Umbau beschließt Fritsch mit der lakonischen Bemerkung: „Bauarbeiter entsorgten die berüchtigte Badewanne.“ Die allgemeine Todesgefahr, die beim Revolutionär Marat speziell vor der Badezimmertür lauerte, erscheint in der Demokratie als Neugier auf den „mysteriösen“ Tod, den ein Politiker erlitt. Der Voyeurismus hat den Aktivismus abgelöst, und das ist so obszön, dass Hoteliers lieber ihrem Geschäft schaden, als davon zu profitieren. Die Autorin rückt mit den Badewannen etwas Nebensächliches ins Zentrum der Geschichten, und zwar so, dass dabei das Verrückte hervorsticht, das das übliche Erzählen zudeckt. Zuerst erschienen in der ZEIT Nr.14, 2010
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Franz Schuh
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