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Francisca Ricinski
Als käme noch jemand
Das Randständige poetisch ins Recht gesetzt
Zu Francisca Ricinskis Band Als käme noch jemand
Kritik |
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Francisca Ricinski
Als käme noch jemand
Lyrische Prosa und Erzählcollagen
Pop-Verlag 2013
ISBN: 978-3-86356-074-4
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Dass ein Übermaß an Saturiertheit jedwedem künstlerischen Gelingen im Wege steht, ist nicht erst seit gestern bekannt. Vor diesem Hintergrund erscheint es als geradezu überfällig, wenn die Feuilletons unserer Tage ihr Augenmerk vermehrt auf jene Autorinnen und Autoren zu richten beginnen, denen solche Saturiertheit schon aufgrund der eigenen Lebensgeschichte oftmals verwehrt ist, weil sie aus anderen Sprach- und Kulturräumen stammen und erst im Laufe ihres – nicht selten auch gesellschaftlich sehr bewegten – Lebens im deutschsprachigen Raum heimisch geworden sind. Das illustre Werk der aus Rumänien stammenden, seit 1980 in der Bundesrepublik lebenden Francisca Ricinski ist ein leuchtendes Beispiel dafür, zu welcher Sprach- und Gestaltungskraft solche Literatur fähig ist, die ursprünglich in der Erfahrung des Fremdseins gründet und vielleicht gerade deshalb die deutschsprachige Literatur so sehr bereichern kann.
Der jüngst erschienene Band mit dem Titel „Als käme noch jemand“, der lyrische Prosa und Erzähl-Collagen vereinigt, zeigt Francisca Ricinski auf der Höhe ihrer poetischen Darstellungskraft. Wie der im Titel verwendete und in bester Tradition der literarischen Moderne stehende Konjunktiv bereits andeutet, verweigern sich die Texte Ricinskis einem allzu vordergründigen Realismus. Trotzdem – oder vielleicht eher: gerade deshalb – gereifen die insgesamt sechsundfünfzig Texte, im Umfang changierend zwischen Aphorismus, poetischem Fragment, Kurz- und Kürzestgeschichte bis hin zum komplexen Erzählentwurf – zu einem bemerkenswerten Kompendium gegenwärtiger Wirklichkeitserfahrung.
Die Themen dieser Prosa zu skizzieren, hieße bereits, sie auf leichtfertige Weise zu verkürzen. Zweifellos sind diese Texte von der Erfahrung der Fremde und der Suche nach Orientierung im Raum des Disparaten grundiert – aber sie erschöpfen sich eben nicht darin. Erfahrungen der Kindheit gelangen in dieser Prosa ebenso zur Sprache wie das Bewusstsein einer unaufhaltsam verrinnenden Zeit; die Autorin lotet Wirklichkeiten aus zwischen Anfang und Ende, Schmerz und Erfüllung. Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie Francisca Ricinski diese universalen Themen aufgreift und gestaltet.
Das Buch lädt ein zur Begegnung mit einer Autorin, deren Sprache nachhaltig geschult ist an der Literatur der Moderne – etwa an Mallarmé, Apollinaire, Breton – und der doch ein ganz eigenständiger, unvergleichlicher Ton gelingt. Die Grundierung ist vom Surrealen geprägt, ohne doch ganz darin aufzugehen. So gelingt immer wieder ein müheloser, erstaunlich leichter und fast unmerklicher Übergang zwischen erzählhafter Darbietung und reflektierenden Passagen. Traumerzählung, Imagination und Reflexion fließen ineinander, als sei dies das Natürlichste der Welt. Dabei sind diese Übergänge kein manieriertes Spiel, sondern Ergebnis einer poetischen Epiphanie, die das Ungestüme, das Naturhafte – gegen die Undurchdringlichkeit der Wirklichkeit – mutig ist Recht setzt. Immer wieder ist vom Wind die Rede, von den Vögeln und den Vogelgesichtern, die sich trotzig behaupten in dieser Welt der Undurchdringlichkeit.
Manche Passagen lassen in ihrer erzählerischen Tiefendimension leise Anklänge erkennen an die Tagebücher Franz Kafkas. In anderen Passagen verschmelzen träumerische Imagination und vehemente Gesellschaftsanalyse so eindringlich, dass es erscheint, als hätten hier so unterschiedliche Poetiken wie die einer Ilse Aichinger und die eines Peter Handke zusammengefunden. Dabei eignet diesen Texten nirgends etwas Epigonales; es ist vielmehr die ureigene poetische Kraft dieser einen poetischen Stimme, die diese Welt des Disparaten zusammenhält. Unablässig widmet sich diese Stimme immer wieder den Randständigen, jenen Menschen, die am Rande und an der Grenze leben, den Kindern, den Vagabunden, den Umherziehenden, aber auch den Alternden, ja: jenen Menschen, denen der Tod bereits vors Auge tritt.
Francisca Ricinski ist, wie dieser Band zeigt, eine literarische Anwältin aller Randständigkeit. Dass ihre Apologie gelingt, hat einen tieferen Grund darin, dass es jenseits aller fehlenden Saturiertheit offenbar etwas gibt, das Heimat zumindest verspricht, auch wenn es stets neu errungen werden muss: nämlich die Sprache.
In der Tat eignet diesem Band eine außerordentliche, unbändige Lust an der Sprache. Die poetischen Bilder, die Metaphern und Neologismen, die Francisca Ricinski entwirft, bilden einen reichen Vorrat, mit dem sich lange leben lässt. Weil sie sich nicht zufriedengeben mit der Welt, wie sie – angeblich – ist, sagen die Prosatexte dieser Autorin mehr aus über unsere Wirklichkeit als so mancher Regalmeter vorgeblich realistischer Erzählliteratur.
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Christoph Leisten
Portrait
Lyrik
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