16. Open Mike der Berliner Literaturwerkstatt 2008
Goldene Zitronen
Der 16. Open Mike mündet in ein Plädoyer fürs Experiment.
Nur Preise gibt's dafür keine
Ein Bericht von Daniel Graf
Preisträger:
Sonia Petner (Prosa)
Svealena Kutschke (Prosa)
Thien Tran (Lyrik)
Johanna Wack (Publikumspreis)
Bemühen wir einen Moment lang und obwohl die Gattung beim Open Mike gar nicht vertreten ist die Vokabel »dramatisch«. Sonntag gegen 16.45 Uhr, das zweitägige Wettlesen am Punkt der größten anzunehmenden Anspannung. Die dreiköpfige Jury, bis eben noch ausgeschwärmt zur finalen Beratung, ist zurück in der »Wabe«, das Schicksal in der Handtasche führend. Noch gilt für die Juroren das Schweigegelübde. Zeit fürs retardierende Moment. Moderation. Auskosten. Da draußen, die Glücklichen in der Erstverwertung der Pressemitteilung: sie wissen schon.
Drinnen: Warten. Das hat, wer wollte das bestreiten, etwas, nun ja: Dramatisches. Und wie es sich fürs klassische Drama gehört, gibt es die Lösung erst nach einer letzten Peripetie. Monika Rinck spricht im Namen der Jury; zuvor Julia Graf stellvertretend für die sechs Lektoren, die aus den 650 Einsendungen 22 Wettbewerbsteilnehmer ausgewählt haben: Plädoyer fürs sprachliche Wagnis, den aufgerauten, widerborstigen Text und das Experiment. »15 Minuten« kommt einem in den Sinn, der Prosa-Beitrag von Florian Wiesner. Hohes Tempo, zahllose Meta-Ebenen, Assoziation statt Narration, Hemmungslosigkeit im Kalauern. Natürlich umgeht Wiesner mit dieser selbstironischen Form von Wettbewerbsprosa die Herausforderung, eine »richtige« Geschichte zu erzählen. Aber das ist ja nun nicht verboten und wenn Literatur das Einfangen von Jetztzeit mit sprachlichen Mitteln ist, dann beeindruckt an der Als-ob-Welt aus Fake und Zitat, die Wiesner aufbaut, wie viel sie von heutigen Lebens(un)wirklichkeiten erzählt, ohne wirklich zu erzählen.
Rückwärts-Assoziation zum Stichwort Sprach-Wagnis. Lino Wirag betreibt »kleinbürgerliche kunstausübung«, also Lyrik. Schlägt Haken, Kapriolen, Schaum. Kann sich »am klang langhangln bis / sinn sich intrinsisch s kinn bricht«: Schreibt Verse wie »ein dings ein arsch ein zwirn ein fick ein scheiß ein stuhl ein hitmodul«, mitunter auch in sechshebigen Terzinen. Klingt nach Effekthascherei? Isses auch. Aber verdammt gut gemacht. Und mit dem doppelten Wissen, dass es das vollkommen Neue in der Lyrik heute vermutlich nicht mehr geben kann, das aber kein Grund ist, auf die Suche zu verzichten.
Doch wie gesagt: Peripetie. Als die Siegertexte gekürt werden, sind die gewagten und experimentellen nicht dabei (jedenfalls nach herkömmlichem Verständnis von Wagnis und Experiment). Man kann das auch deshalb bedauern, weil das Ergebnis, im Ganzen genommen, aus dem Spektrum der gehörten Sprechweisen nur einen sehr kleinen Ausschnitt wiedergibt. Genauso schade wäre es allerdings, wenn die irritierende Diskrepanz zwischen Abschluss-Reden und Preisverleihung den Blick auf die Qualitäten der Siegertexte verstellen würde. Monika Rinck, Feridun Zaimoglu und Thomas Glavinic mögen eine bestimmte Machart von Texten bevorzugt haben (was nicht nur legitim, sondern irgendwie ja auch Aufgabe einer Jury ist). Dass sie aber unverdiente Gewinner gekürt hätten, kann man nun wirklich nicht behaupten.
»Zitronen«, der Siegertext von Sonia Petner (Preisgeld 3500 Euro), malt mit einfachen, aber ungeheuer kräftigen Bildern eine bäuerliche Welt zwischen Hefeteig und Hackebeilchen, durch die von Beginn an ein beißender Todesgeruch weht. Erzählt ist das Ganze in kurzen Parataxen, deren Lakonik einen seltsamen Rest von Wärme enthält. »Schmerzlächeln« heißt es an einer Stelle. Und wenn am Ende die jugendliche Erzählfigur »auf einem unsichtbaren Strich« die polnische Provinz verlässt, tritt sie, wenn man so will, auch aus dem engen und trotzdem fast unsichtbar verknüpften Motivnetz der Erzählung.
Um Enge geht es auch in Svealena Kutschkes großartigem Text »Rückspiegel«, der Platz 2 (2500 Euro) einbrachte. Es geht um eine Liebe und deren Ersticken. Auf thematische Neuerung also dürfte es Kutschke kaum angekommen sein. Aber was sie ihrem Sujet noch an eindringlichen Bildern und vor allem an unerhört guten Dialogen abgewinnt – das hätte man selbst gerne geschrieben. Eine »große Kühle« und die Härte einer »kalkulierten Abweisung« hat die Jury dem Text attestiert. Absolut richtig. Aber da ist noch ein unterschwelliger Gegenimpuls, beinahe ein Pathos des Unsentimentalen. Auch wenn das Ende gerade deshalb so raffiniert ist, weil die Erzählung dem darin enthaltenen Hoffnungsmoment bereits jede Grundlage entzogen hat.
Platz 3 ging an Thien Tran, dessen Name in der Lyrikszene zuletzt häufiger als (gar nicht mehr so geheimer) Geheimtipp zu hören war. Seine Texte darf man ganz unmetaphorisch Versuchsanordnungen nennen: Vermessungen irgendwo zwischen Neurobiologie und Quantenchemie und die Frage nach den »Emotionspartikeln«, die die chemischen Reaktionen womöglich freisetzen. Die eigene Gefühlskurve hat Tran übrigens in einer recht kleinen Amplitude gehalten. Sympathisch bescheiden seine Reaktion auf das vorgesehene Zeremoniell: »Ich möchte nicht aus meinen Gedichten lesen, sondern Gutenberg danken.« Überraschter Moderatoren-Blick, vielleicht auch weil man den Satz als ästhetisches Statement auffassen kann und als solchen nicht recht unterkriegt. Dann, mit Blick aufs Rampenlicht: »Ich würd jetzt gerne zurücktreten.«
Dorthin also, wo Johanna Wack bereits stand, auch sie soeben ausgezeichnet. Ihr Text »Punkte«, der ein schwieriges Thema mutig und mit reichlich schwarzem Humor angeht, hatte den taz-Preis der Publikumsjury erhalten. Böse Zungen meinten, das sei die einzig mutige Jury-Entscheidung gewesen.
News 16. Open Mike
Daniel Graf 17.11.2008
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