poetenladen    poet    verlag

●  Sächsische AutobiographieEine Serie von
Gerhard Zwerenz

●  Lyrik-KonferenzDieter M. Gräf und
Alessandro De Francesco

●  UmkreisungenJan Kuhlbrodt und
Jürgen Brôcan (Hg.)

●  Stelen – lyrische GedenksteineHerausgegeben
von Hans Thill

●  Americana – Lyrik aus den USAHrsg. von Annette Kühn
& Christian Lux

●  ZeitschriftenleseMichael Braun und Michael Buselmeier

●  SitemapÜberblick über
alle Seiten

●  Buchladenpoetenladen Bücher
Magazin poet ordern

●  ForumForum

●  poetenladen et ceteraBeitrag in der Presse (wechselnd)

 

Nora Gomringer

Gespräch mit Franziska Wotzinger für den poetenladen
Ohne Körper keine Stimme
  Gespräch
Literatur und Wasserglas – so das Gesprächsthema der aktuellen Ausgabe. Es betrifft Lesende, Veranstalter und Zuhörer gleichermaßen. Bei aller Vielfalt der Erfahrungen gilt: Niemand muss Angst vor dem Wasserglas haben – und dennoch gehört zu einer gelungenen Lesung mehr als das Ablesen eines Textes.  |  poet nr. 24, Frühjahr 2018   externer Link
,Nora Gomringer, Jahrgang 1980, ist Schweizerin und Deutsche und lebt in Bamberg. Sie schreibt, vertont, erklärt, souffliert und liebt Gedichte. Alle Mündlichkeit kommt bei ihr aus dem Schriftlichen und dem Erlauschten. Sie fördert im Auftrag des Frei­staates Bayern Künstle­rinnen und Künstler inter­nationaler Herkunft. Dies tut sie im Inter­nationalen Künstler­haus Villa Concordia. Und mit Hingabe. Aus­gezeichnet wurde sie u.a.mit dem Ringel­natz-Preis, dem August-Graf-von-Platen-Lyrik­preis und dem Bachman­npreis. Zuletzt ver­öffent­lichte sie: Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren sowie Peng Peng Peng (mit Philipp Scholz), beide bei Voland & Quist, 2015 bzw. 2017.
Website: Nora Gomringer

 

Franziska Wotzinger: Nora Gomringer, Sie sind jetzt schon seit Jahren nicht mehr wegzudenken aus der deutschen Lyrikszene und (Per-)Formerin unzähliger Worte. Was wiegt Ihrer Meinung nach eigentlich schwerer in den Köpfen der Menschen? Das gesprochen-performte oder das geschriebene Wort?

 

Nora Gomringer: Performt hat Sprache mehr Kraft im Kontext von Veranstaltungen. Schon kleine Gesten, der Blick ins Publikum hilft dem Text über die Schwelle. Das vor allem, weil das Publikum ja nicht mit­lesen kann. Jeder Mensch, der einem anderen zuhört, wünscht sich ja einen engagierten Vortragenden. Es wiegt schwer in den Köpfen der Menschen, wenn sie nicht amüsiert, angeregt, ernst genommen werden. Publikum ist wichtig. Auch ich bin oft Publikum. Diese Erfahrungen nehme ich bewusst mit auf die Bühne.

 

F. Wotzinger: Dem Text über die Schwelle helfen, das gelingt sicherlich nicht immer. Schon die eigene kann kritisch werden. Wenn man etwas nicht richtig über die Lippen bringt, wie dann erst in die Köpfe der Zuhörer? Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Körper bei dieser Vermittlung von Sprache? Instrument der Lauterzeugung? Oberfläche?

 

N. Gomringer: Ohne Körper keine Stimme. Körper sind Inszenierungsbasis und Bühnen, Aufenthaltsorte, Maschinen und Wunderkammern. Vortrag aber, der ausschließlich auf den Körper konzentriert ist, langweilt. Selbst im Tanz nehmen wir die Choreographie bewusster wahr, die eine semantische Grundlage bietet, eine Geschichte erzählt, verbindlich und verbindend ist. Der Körper, die Stimme sind die Instrumente, das Aussehen die Stimmung, das Spiel, der Vortrag die Interpretation.

 

F. Wotzinger: Reden wir über den weiblichen Körper. Wird Ihnen bei Lesungen mit einer anderen Erwartungshaltung begegnet, als dies bei männlichen Kollegen der Fall wäre?

 

N. Gomringer: Manchmal hört man ja Stimmen aus dem Publikum, bevor man auftritt. Oft höre ich dann, dass es Menschen interessiert, wie ich »heute Abend wieder aussehe«. Das amüsiert mich und freut mich auch. Es ist mir wichtig, konzentriert auf die Sache, aber »eigen« aus­zusehen. Mein Auftritt und der Inhalt meiner Auftritte werden in der Regel sehr freundlich rezipiert. Die, die sagen, ich sei überschätzt, murmeln das aber natürlich auch, und es wird auf Blogs ge-shared. Manchmal falle ich in solche Moore der schlechten Laune und lese mich in cognito hindurch. Sehr humorlos, sehr misogyn, sehr schlechte Grammatik – das zeichnet so generell gesprochen meine Hater aus. Wie das bei den ­Männern aussieht, weiß ich nicht. Ich kenne aber viele Männer, die sich offen dazu aussprechen, sich »zu kurz gekommen« zu fühlen. Die machen schnell den jüngeren Frauen den Vorwurf bzw. den Jurys, sich von Jugend, Novitätsfaktor und nicht von Qualitäten leiten zu ­lassen.

 

F. Wotzinger: Gibt es denn auch etwas »eigen Weibliches« an Ihren Lesungen?

 

N. Gomringer: Ja. Ich sitze beim Lesen, man sieht meinen Oberkörper. Ich merke, ich berühre mich selbst beim Sprechen. Zeichne bestimmte Worte, Inhalte quasi auf meine Kleidung oder Haut. Das sehe ich bei Männern kaum. Vielleicht ist diese Rückbezüglichkeit weiblich. Ich versuche, meine Gesten auf der Bühne nicht mit »selbst-entschuldigend« als Gedanke zu füllen, sondern mit »ich – that’s me – no reservations«. Außerdem rede ich gerne mit dem Publikum und bin im Gespräch sehr rezeptiv. Das wärmt so manches Herz und ich kriege die Rückmeldung, ich sei »eine gute Seele«. Das schmeichelt mir und ist das schönste ­Kompliment. Ich bin nämlich auch rau und ungeduldig manchmal. Eine fordernde, fördernde, im Ganzen glaube ich, bei aller »Bühnenlüge« sehr echte Person.

 

F. Wotzinger: Bleiben wir bei dem Stichwort »Rückbezüglichkeit«. Derzeit lässt sich ja gerade im Bereich der Lyrik ein Trend zur Intermedialität und zu Kunstform-Kombinationen (Musik, Videoinstallationen, etc.) feststellen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Hat das bloße Wort ­seinen »Rückbezug« bzw. seine Kraft alleine zu stehen verloren? Auch im geschützten Raum einer Lesung?

 

N. Gomringer: Alle Künstler, die ich gut kenne, arbeiten so lange oder fast so lange wie ich im Literaturzirkus. Das sorgt schon mal dafür, dass man sich für andere Sensibilitäten interessiert, mal wieder das eigene Instrumentarium schulen, um-schulen und verfeinern möchte. Auch Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern (anderer Sparten) sind reizvoll, Autoren sind einsam. Dass Veranstalter mehr und mehr auf diese Veranstaltungsformen fliegen ist gut, gibt dem Publikum mehr zu sehen und zu hören, aber auch mehr zu denken, wenn es gut ist. Schwierig ist, dass viele Veranstalter nur langsam darauf eingestellt sind, dass sie zu Tisch, Wasserglas und Leselampe und Mikro noch eine Monitorbox, einen Techniker und ggf. eine Lichtchoreographie meistern müssen. Darauf ist die Literaturbranche nicht wirklich eingestellt, auch in ihren budgetierten Honoraren nicht. Die Autoren hingegen müssen sich wesentlich mehr professionalisieren. Das können sie von den Musikern lernen. Eigene, gut gepflegte Webpages, Social-Media-Contenterstellung, neue Fotos in regelmäßigen Abständen, Investieren und klar und zielführend Kommunizieren ist wichtig.

 

F. Wotzinger: Gerade im Social-Media-Bereich sind Sichtbarkeit und Resonanz wesentlich geworden. Durch die Möglichkeit zur Öffentlichkeit schießen unverblümte Meinungsäußerungen überall aus den gesellschaftlichen Böden. Wie geschützt ist also so ein Raum einer Lesung für den einsamen Autor noch? Welche Erfahrungen haben Sie mit der direkten Resonanz des Publikums, mit Störmomenten und unliebsamen Feedback gemacht?

 

N. Gomringer: Man wird dickfellig bei aller Schmetterlingsflügeligkeit. Ich mag das sogar. Wenn man an Schulen auftritt und da sitzen drei Typen vor einem, die am liebsten vor Scham (sie geben vor: Langeweile) im Boden versinken möchten. Die dann zu gewinnen, gelingt nicht immer, mir aber meistens und einer lugt schon hin und wieder unter dem Hoodie hervor und sieht mich sehr direkt an. Babys sind hier und da mal in Hörsälen, aber obwohl ich finde, dass sie da nicht hingehören, genieße ich das, wenn das Leben ins Lesen einfällt. Würde ich schreiben müssen und würde gestört, dann ist es etwas anderes, aber in die Performance kann viel »einbrechen« und sie kann trotzdem noch gelingen. In der Regel freut es das Publikum, wenn dann der Faden wieder aufgenommen wird und sie merken, dass sie bei was ganz Einzigartigem dabei waren: einer echten Improvisation. Schlecht sind Geräusche in Cafés und Orte, an denen die Menschen eben nicht eigentlich zum Zwecke des Lauschens eingetroffen sind ... Buchmesse etc.

 

F. Wotzinger: Bei aller Dickfelligkeit, wie leidfähig muss man trotzdem als Lyrikerin sein?

 

N. Gomringer: Manchmal sehr und GERADE als Lyrikerin. Aber das kommt mit der Professionalität. Erschreckend ist, wie viele Menschen einem wehtun wollen, also mit fester Absicht. Die, die unvorsichtiger Weise verletzend sind, sind zwar oft fassungslos-machend, aber die, die wirklich meinen dich erziehen, kleinmachen, beschämen zu müssen, die gibt es eben auch. Ist auch eine Frauenthematik.

 

F. Wotzinger: Was, würden Sie sagen, war Ihre schlimmste Erfahrung bei einer Lesung?

 

N. Gomringer: Es ist mal jemand ohnmächtig geworden und das hat alle mächtig erschreckt. Immer anstrengend: Das DANACH. Nettsein, Essengehen, sich über’s Knie streicheln lassen, bis man aufsteht und sagt: Basta! Und verlangt, dass a) ein Taxi gerufen und b) es bezahlt wird. Dann ist man die Zicke, die Diva (dabei hatte man noch vor sich gewarnt und gesagt, GERNE ins Hotel flugs danach ins Hotel gebracht werden und ohne Abendessen zu Bett – kein Problem, eher besser ...) und wird nicht mehr eingeladen. Noch ärger: Man wird vom Veranstalter schlecht geredet. Das verletzt tief.

 

F. Wotzinger: Und was war ihre schönste?

 

N. Gomringer: Einmal weinten wir alle gemeinsam und oft lacht das Publikum mit mir über einen Text oder meine Moderationen.

 

F. Wotzinger: Für wie wichtig halten Sie trotz mancher »Ungereimtheiten« mit Veranstaltern und schwierigen Publikumssituationen Lesungen, gerade im Lyrik Bereich?

 

N. Gomringer: Unabdingbar, auch weil die Lyrik – viel eher als die Prosa – den musikalischen Gedanken von Konzeptalbum und Gesamtskunstwerk aufgreifen kann. Ich finde es angemessen, der Lyrik und damit den Lyrikern diesen Raum für Erklärungen und Ausdruck zu geben.

 

F. Wotzinger: Welchen Rat würden Sie abschließend einem Newcomer geben? Worauf sollte sie oder er bei Lesungen unbedingt achten?

 

N. Gomringer: Mutig amüsieren. Sich ein paar Mal selbst zuhören. Die eigene Stimme liebgewinnen und nicht zu viel Pathos einsetzen. Sich ­Filmen beim Lesen und Medienpraxis entwickeln, wenn man sie nicht schon hat.

 

F. Wotzinger: Liebe Nora Gomringer, herzlichen Dank für das Gespräch!
  Dieses Gespräch
und weitere Gespräche
zum Thema in poetin nr. 24

poetenladen, Leipzig Frühjar 2018
216 Seiten, 9.80 Euro
ISBN 978-3-940691-91-0

Gesprächsthema:
Literatur & Wasserglas

Portofrei bestellen (Shop 1)  ►
Portofrei bestellen (Shop 2)  ►
poet-Website  ►


Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

 

 
Franziska Wotzinger
  • Zur Person
Gespräch