Bigos
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© Michael Blümel |
Adam – der Kleine, der immer das Kino macht bei den
Polnischen Versagern – drehte sich mal zu mir um, wies mit dem Finger auf mich und meinte mit bedeutendem Augenaufschlag, es sei mir doch hoffentlich bewußt, daß Bigos ursprünglich von deutscher Natur sei und eigentlich, also vor Urzeiten, so etwa kurz nach der Völkerwanderung, der Ursuppe des germanischen Jägereintopfs entwachsen. Ich habe sehr gelacht. Dann hab ich mit meinem Finger auf ihn gewiesen und gedroht: du, paß auf, ich sag das meiner Oma. Er war dann ganz still. Mir ist das wurscht, auf wessen Kohlkopffeld ein Weißkohl sich von hoffentlich alternativer Energie hat bestrahlen lassen: solange der in meinem Topf landet, ist das ein polnischer Bigos, keine Diskussion. Wer das anders sieht, ab in die Ursuppe. Aber das mit der Oma kam an, immerhin. Restverstand hat er noch, der Junge. Na, hab ich etwa Unrecht? Wenn ich irgendwo so um Ostern herum anklopfe und mir wird ein Bigos vorgesetzt, dann wird an der Haustür nicht Schmidt oder Meier gestanden haben. Dann werde ich wohl sonstwo unterwegs gewesen sein, wo sie Kowalczyk oder Kucharz heißen, egal, ob in Kreuzberg oder hinter der Oder, was denn. Und wenn der Kohl im Topf in Spanien gewachsen ist, dann kann Kucharz doch nichts dafür, deswegen ist das dann noch lange keine Paella. Oder Minestrone. Oder soll ich meinen Bigos nächstes Mal streng ansehen, nur weil seine Vorfahren glaubten, ihr Kohl sei besser als Nachbars Kohl? Muß ich dem jetzt etwa seine indogermanischen Wurzelstränge abschneiden, wenn ich wieder Ostern feiern will?
Oma würde prusten.
So, wie sie prustet, wenn sie über den Bigos von Nachbarin Frau Pohodyla herzieht. Genauso prusten würde sie. Bigos heißt das! Und die Pochodyla hat keinen Funken Ahnung, wieviel Pfeffer reingehört: also Kind, schau ...
Ach, ja.
Wenn man durch das Kochen eines gelungenen Bigos ein wenig mehr Polin wird, wie lange hält das dann vor? Bis zwei Tage nach Ostern? Und wenn nicht, wenn man dadurch nur noch jägertöpfischer wird, dann auf wie lange, bis der falsche Bigos verdaut ist? Ich sagte ja, weiß nicht, ob ich den jetzt scheel angucken soll, meinen Kochtopf, wer weiß. – Aber nein, der scheint unverändert. Macht ganz gewöhnliche Blasen auf Stufe drei, keine Sprachschwierigkeiten. Ich setz den Deckel wieder auf.
Kurzes Zwischenspiel, vor dem Fenster von der Oma von Adam. Ein gesegnet summiger sommerlicher Nachmittag, von weither dringen ein paar dünne Stimmen heran, Chorgesang, die Kirche ist nur wenige verschlafene Straßen entfernt. Die Stimmen verstummen, in die Stille dringt unverhofft ein Kreischen: "Pah, ach was! Ich-Erzähler, nicht Ich-Erzähler, was heißt hier fiktiv? Mein Adam zeigt nicht mit den Fingern auf Leute, wer hat das behauptet?! Und Bigos soll deutsch sein? Das soll mein Adam gesagt haben?! Na warte, wer ... Jaaa-neek! Gib mir doch mal schnell das Telefon! Wir haben doch die Nummer von Frau Pochodyla?!!"
Zweites Zwischenspiel viel später. Berichtigung. Frau Pochodyla ist nicht Frau Pochodyla und schon gar nicht die Nachbarin meiner Oma. Etwaige Ähnlichkeiten undsoweiter. Außerdem wissen wenn jemand, dann Oma – und Frau Pochodyla – am besten, wie man einen Bigos pfeffert. Außerdem und vor allem brauchte Bigos damals einen neuen Paß. Da sei das doch verständlich, daß sich in Rezepten das eine oder andere durcheinandergerührt hat ... Außerdem wie könne man an alten Geschichten so lange herumkleben, man müßte doch endlich ... Etwaige Ähnlichkeiten undsoweiter. Bigosens Oma soll Jägersuppe geheißen haben, offiziell und eine Zeit lang, zumindest bis zum Stempel, ich soll bloß still sein. –
Drittes Zwischenspiel, noch ein Jahr später. Jetzt sind wir in der EU. Bigos war schon immer zentraleuropäisch, wußten Sie das nicht? Früher haben sie Stierfleisch reingemacht. – Wie? – Doch, doch: Stier. Europa. Sie verstehen. Wie, das waren Bisons? Bigos, Bison, das höre man doch, da hätte sich nur ein Buchstabe – – Also zwei. Zwei Buchstaben. – Noch anders? – Eine Kreuzung von französischem Stier und polnischen ... eine Herde, soll Napoleon mitgebracht haben? Nun ist aber gut. Wo ist das Geschirr? Es stehen ja noch immer keine Teller aufm Tisch! Wo ist ... weiß hier jemand, wo der Pfeffer geblieben ist? Pfeffer ist alle!
Freiheitskampfmythen, Gemüsenationalitäten ... Am Ende ist es Kohl, heißes Wasser, Gewürze, Pilze. Steinpilz oder Pfifferling, das ist dem Bigos eher eine Frage wert als links oder rechts der Oder gewachsen. Auch beim Wasser heißt es heiß oder nicht heiß. Ich sehe meinen Paß an und frage mich, wann ich zuletzt meinen Mickiewicz aufgeblättert habe, den Tuwim, oder eine polnische Zeitung. Wie ist die Halbwertzeit von prädikat polnisch? In Abhängigkeit vom Bigos bräuchte sie sich nicht zu verstecken: so ein Bigos hält viel aus. Zwischendurch kurz aufgekocht, ist eine Woche kein Problem für ihn. Wenn er allerdings ein verkappter Jägereintopf ist, altgermanisch und von den Polen doch wieder nur geklaut, wird das mit uns zukünftig schwieriger, sage ich halblaut zu dem vor sich hin köchelnden Topf. Aber ich hebe den Deckel und das gute alte vertraute eindeutig polnische Zischeln macht mich wieder ruhig und ich blicke ein wenig vertrauensvoller in die Zukunft der nächsten kohligen, pilzigen Osterfeste.
Anna Panek