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Esther Strauß
Paul und ihr a
Du, wir sitzen im nusskern. neben allen und warten darauf, gepresst zu werden. voll ist der nusskern, ohne dass irgendeiner da wäre und mit uns sitzt und darauf wartet. warten – wenn ich Dich jeden tag frage bist Du hier? und Du immer nur ja sagst und mich nicht anschaust, bis ich unsere namen vergesse und nicht weiterdenke.
irgendwann hat mir jemand einen namen gegeben und manchmal hinterhergesagt. das Paula ist mir verloren gegangen, und im nusskern sitzend bin ich jeden tag manchmal. um nicht alleine zu sein, habe ich Dich vielleicht getauft, und jetzt sitzt Du neben mir und bist vielleicht da oder vielleicht ganz woanders, vielleicht nicht einmal in unserem kern, in dem wir sitzen und nicht wissen, wie nuss schmeckt oder riecht, wie nuss fühlt, und trotzdem werden wir einmal öl werden, in eine flasche eingekorkt – in einer bauchigen – und dort schwimmen, wie wir hier sitzen im nusskern und warten.

ich wäre gern erzähler geworden. manchmal da habe ich mich in eine nusskernecke gekringelt und laut gesprochen, vom nusskern und seinen bewohnern, und weil die nicht auf ihre ohren hören, habe ich nur mit ihm – dem nusskern – geredet. ich habe ihm erzählt, wie ich aufwache, jeden morgen auf seiner haut, auf der ich ausrutschen könnte, wenn ich nur wollte, wie ich in seine runzeln falle, mich in ihnen eingrabe, die nase zuhalte und dabei vergesse, dass ich im wartezimmer sitze, dass irgendwann einer kommt und presst, einkorkt, auf salate träufelt, wir im regal stehen, ein ettikett am bauch – das feinste nussöl! –, aus kernen gepresst, bis dahin vergessen, dass ich im wartezimmer sitze, vor einer tür, die sicher aufgeht, auf einem stuhl, der mich nicht ein leben lang tragen will, in einem zimmer, das braun ist und vor einem knauf, den irgendwann jemand dreht, um ins wartezimmer zu rufen manchmal, und ich aufstehe und durch die tür ins auspressen gehe.

ich bin aber kein erzähler geworden und so sitze ich hin und wieder in mir und denke mir nusskerngeschichten und vielleicht – Du hast mir ja zugehört, denke ich dann.

Du, lebst Du? haben sie mich gefragt, als ich schon im nusskern war, und als ich aus den ohren, die alle anderen wegschmissen, ketten gebastelt habe, haben sie mich gefragt, was ich bin – und ich konnte meinen mund nicht finden, um ihnen zu sagen, dass ich Paula in meine hosentasche gesteckt habe, dass sie dort sitzt, mit verschränkten beinen, und keinen mund mehr aufmacht.
und ich frage zurück: lebst Du oder bist Du nur manchmal? und es wird still, und die stille fällt zu, in den nusskern hinein, auf den boden und zerquetscht die frage.

wenn jeder tag ein neuer ist, kann ich jeden tag wieder ins wartezimmer gehen. ich kann in der früh aus mir aufstehen und losgehen, bis ich wieder dort bin, im wartezimmer, mich auf den stuhl setze, der mich jeden neuen tag wieder kein leben lang tragen will, in zeitschriften lese, die leer sind und nicht erklären, wieso ich hier sitze – im wartezimmer –, vor einer tür, die wahrscheinlich aufgehen wird.
sie wird sicher aufgehen, sagt der knauf und ich nicke und sitze weiter und denke an Paula, aus der etwas hätte werden können, etwas und viel mehr, als sie noch mit regelmäßiger Einkunft in einem zimmer wohnte, aus ziegeln und mit bodenhölzern.

weil Paula, die war ein mädchen und zuallererst Paul, bis ein jemand kam und ihr ein a dazugeschenkt hat. Paul hat ihr a in den schrank unter die socken gelegt und nach dem fussballspielen herausgeholt, in die dreckigen hände und unter die rotzige nase genommen, hat den duft tief eingeschnauft und durch ihren kopf schwimmen lassen, in die eine ecke und rund herum.

Paula war oft hier, sage ich plötzlich, weil der nusskern zu leise ist und Du mir immer noch keine antwort gibst, war paula oft hier, in ihrem zimmer, wenn sie alle draußen waren und das mädchen mein junge nannten, mit den händen vor den augen und Paula dann sagte: nimm doch die hände herunter, weil du mich ohnehin nicht siehst und sie weiter die finger verschränkt hielten, darunter am tisch die kaffeetassen und darüber gefaltet die sorgen, die längst schon gereinigt vor jeder angst und in genuss getunkt waren wie in heiße schokolade.

und weil niemand die herdplatte ausgedreht hat, nicht zurück auf null und nicht an den anfang, an ein neues gericht, sind sie immer weiter im topf sitzen geblieben, immer mehr weg vom rand zerschmort, an einem gelben morgen zerfallen wie broccolie. und Paula stand am herd und rührte fleißig, goss wasser über ihre köpfe und wunderte sich nicht mehr.

es ist egal, wenn du jetzt schlecht von Paula denkst.
als der ganze broccolie suppe war, hat sie ihr a genommen und fest an das Paul geklebt. sie hat dreimal abrakadabra gesagt und geschworen, dass die welt zum bratapfel würde, würde sie ihr a verlieren. dann ist sie in die enge welt hinaus und selber noch klein, ist ihr kopf nicht an den himmel gestoßen, ist sie spaziert in schwarzen lackschuhen, die klappernd Paulas wege liefen und noch weiter – bis ins wartezimmer, in dem sie mit mir sitzt, in meiner hosentasche und nicht mehr wütend sein kann.

ich bin nie wütend auf Dich.
aber Paula will mir trotzdem nicht weiter erzählen, was sie getan hat. in der welt. in ihren haaren, die früher kurz waren und lebendig, trägt sie noch ein blatt, das auch den mund hält, dass ich nur ahnen kann, wo es herkommt, dass es ihr aufgesprungen sein muss, von einem baum herunter in Paula hinein und sich die ganze zeit an ihr festgehalten hat, und Paula war dankbar dafür, weil du sie nie gefragt hast: woher kommt denn der riss in deinem namen.

hast du einen namen? frage ich Dich, weil Paula weiter schweigt, hast Du einen namen, den Du gerne singst, auf der straße, laut vor Dir her, der aus Deinem mund hinausspringt, wenn Du ihre hände schüttelst, mit der behauptung: ich bin.

wenn Du Paula Deinen namen sagst, dann erzählt sie, wo sie war. vielleicht, sage ich zu Paula im wartezimmer und warte.

würdest Du ihr denn zuhören, wenn sie sagen würde, dass sie in den feldern saß. und Pau laaa gesungen hat, mit ihren lackschuhen im schwarzen chor und dazugesummt hat und gesummt, bis Paula aufstand, in die stadt zurück ging und ihren namen auf postkästen schrieb: PAULA, mit roter kreide, mit krakeliger schrift und ohne rufezeichen und am parkplatz ganz groß in das grau. dann stand sie herum und schaute den autos zu, wie sie nicht über sie fahren konnten, nicht über Paula und immer an ihr vorbei.

alles falsch, sagt Paula und Du sagst, dass Du es ohnehin nicht geglaubt hättest, schon ab dem broccolie nicht mehr, den Paula ja tatsächlich verkocht hat, nur dass es danach ordentlich schläge gab, auf den runden hintern mit einer abwaschfaltigen hand, die den zeigefinger erhob und sagte: dass du mir den broccolie nicht mehr wieder anbrennen lässt.

Paul jedenfalls hat ihr a nicht mehr gefunden. es ist wahrscheinlich in die broccoliesuppe gefallen und wahrscheinlich hat es einer gegessen, der vater vielleicht oder einer von den anderen. Paul hat ihr a trotzdem in der suppe gesucht und nur haare gefunden und schließlich immer nur mehr mit Paul unterschrieben und danach irgendwie die leere versteckt, die da steht, wo eigentlich a stehen sollte.
Paul hat sich nicht wieder gefunden und er ist nie zu uns – in den nusskern – gekommen, wo wir sitzen und warten, auf einem stuhl, mit Paula in der hosentasche, die die beine verschränkt übereinander schlägt.
Paula werde ich manchmal fragen: wo bist du und Paula wird nur vielleicht antworten.

manchmal stimmt ja tatsächlich etwas von dieser geschichte, von Paul und ihrem a, vielleicht bin ich ja doch erzähler geworden.

hast Du mir denn geglaubt?

Esther Strauß    15.01.2007

Esther Strauß
Prosa