Frank Norten
UNDERGROUND I
(nach Wladimir Makanin „Underground
oder ein Held unserer Zeit“, Moskau 1998)
Wohnblocks aus den Fünfzigern
Tantchen Trostlos wischt den Flur
Mischa hat neuerdings einen Direkteinspritzer
In seiner Küche zwei Strassenkinder
Das Künstlerkollektiv trifft sich
Die alkoholisierte Dichterin N. (sie wird gedruckt!)
lässt den Kopf hängen
„Los, nehmt sie mit!
Zu Haus ist niemand.
Ihr Mann weilt im sonnigen Süden.“
In diesen Blocks werden nur Zigeuner
bleiben oder solche wie wir
Tantchen, mit deiner Hilfe stürzten wir an
einem Nachmittag das Sowjetregime
Der Reporter aus der Neuen Welt
schüttelt den Kopf
Postkommunismus hätte er sich finsterer vorgestellt
Frage den Juden aus Dneprpetrowsk,
Kollege
Meine erwachsene tote Tochter grinst
„Setz dich, Liebes,
am Katalytofen ist noch Platz.
Iss was!“
Alltagspoesie
Underground
Fressen, Saufen und Vögeln
Die Internationale Dreieinigkeit
Die Heilige Russische Literatur
„Ihr Hunde, sie lebt!“
Rosselenker, Denker der Subkultur
(zum Beipiel der selten nüchterne Petrowitsch, also ich)
Gegen Mittag heisstīs energisch:
„Kleine, mach die Flocke!“
Sonst gibtīs im Haus noch jede Menge
pensionierte Parteifunktionäre
visionär, demokratisch,
auf der Höhe der Zeit
Die Poesie verbirgt nichts
Dahinter steckt gar nichts
Der UGler spuckt aus
Held mit repariertem Butankühlschrank
graphoman
Anm.: „UG“=Underground
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Frank Norten
Lyrik
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