Debütpreis für Johanna Straub, Dezember 2005
Prosa: Evolution
Johanna Straub hat eine einfache Geschichte über ein kompliziertes Verhältnis geschrieben. Das Raffinierte daran – die Person, um die sich alles dreht, der Vater, ist abwesend. „Er lebt jetzt auf dem Meer“, lesen wir zu Anfang. Und die Tochter, die Ich-Erzählerin, macht sich ihre Gedanken über den abwesenden Vater und über die Mutter, deren Lieblingsvorwurf an sie lautet: Du bist wie dein Vater.
Aber wie ist – wie war – ihr Vater? Ihre Mutter verweigert jede Aussage über ihn. Selbst ein Foto wird der Tochter nicht gestattet. Doch eins ist gewiss, ihre Körpergröße hat sie von ihm, dem Unbekannten. Erst am Ende der Geschichte kommt es zu einer kurzen Begegnung und es scheint damit klar, wo der Vater steckte. Aber das mag der Leser selbst herausfinden.
Johanna Straub gelingt es, die Rolle der Erzählerin sprachlich glaubhaft zu machen. Trotz einer bewusst einfachen Sprache läuft die Autorin nie Gefahr, mit der eingeengten Perspektive lediglich bekannte Muster zu erfüllen. Vielmehr gewinnt sie dem Schüler- und Tochterblick erstaunliche Originalität ab, indem sie, anstatt auszuschmücken, ausspart.
Auch diese Geschichte wäre ein Beweis dafür, dass man heute im besten Sinne erzählen kann – wenn man es kann. Und Johanna Straub kann es.
Jury „Debütpreis online“ über Johanna Straubs Prosa