Lino Wirag
Knallt die Bestie endlich ab
Vom Verschwinden der Satire im Literaturbetrieb
»Es ist schwierig, keine Satire zu schreiben.« Juvenal
Gibt es sie noch – Literatur und Satire ... literarische Satire? In Bibliothek oder Buchhandel wird man auf ein bedenklich buntes Regal im Eingangsbereich verwiesen, wo sich Geschenke für Einfallslose und Bücher-zum-Merchandising stapeln. Dort vegetiert die Satire mit dem Humor zur »Humor/Satire« verschmolzen.
Ein Besserwisser könnte anführen, dass mit Humor eigentlich keine Gattung, sondern eine Welthaltung bezeichnet ist; die Satire dagegen ein vielgespaltenes und vielgestaltiges Ding aus Form, Gattung und Attitüde darstellt – in summa: eine Schreibhaltung. »Humor/Satire« ist daher Etikettenschwindel, aber auch nicht überall, wo »Satire« draufsteht, ist auch welche drin: Marketingabteilungen greifen allzu gerne auf die Fertigstempel »mit spitzer Feder« (57.900 Google-Treffer), »Achtung! Satire!« (37.400) oder »bittere Ironie« (23.400) zurück, um ihr Produkt durch etwas zu nobilitieren, das Tiefgründigkeit und Schärfe verspricht. Die Ironie darf auch gerne »böse« (3.410), »bissig« (1.910), »beißend« (908) oder halt gleich »bitterböse« (1.280) sein. Reicht das? Ja. Das reicht.
Die literarische Satire
Dabei firmierte der Begriff Satire jahrhundertelang als Gattungs-Bezeichnung für eine durchaus ernst zu nehmende Literatur – Brants Narrenschiff (1494), Swifts Gulliver's Travels (1726), Heines Atta Troll (1843), Heinrich Manns Untertan (1919). Heute ist der Begriff dort zu finden, wo Bücher aus Sparten zusammengebracht werden, die mit der tradierten Form wenig gemein haben. Amazon labelt »Satire« kurzerhand als Subkategorie von »Mundart & Humor« und bietet unter den knapp 500 Treffern als »beste Ergebnisse« Bücher von Comedians (Dieter Nuhr), Entertainern (Helge Schneider), Late-Night-Talkern (Harald Schmidt) und Humoristen (Ephraim Kishon) an. Auf Platz 13 und 14 folgen dann Bücher von Männern (immer sind es Männer!), die man der Schreibart Satire zurechnen zu können glaubt: Wiglaf Droste und Max Goldt. Doch während sich Max Goldt in Mind-boggling schroff von der Satire (»Fucking Opa Shit!«) verabschiedet, wird Wiglaf Droste erst gar nicht als »Satiriker«, sondern als »Journalist, Polemiker, Schriftsteller und Sänger« geführt. Als literarische Form glänzt die Satire also durch Abwesenheit, Ablehnung oder Falschetikettierung.
Aber ist Satire wirklich nunmehr, wie Max Goldt es pointiert, »toter Kram mit dem Beigeschmack von Tanzkapelle, Handkuss und Sanella«?
Abwanderung in den Zeitschriftenmarkt
Um es vorwegzunehmen: Für den in Halbjahresschritten planenden Buchmarkt ist die Satire tatsächlich nicht mehr schnell genug, um angemessen die Zeitläufte festzunageln. Deshalb hat sich der Terminus verbraucht. Dafür existieren in einer ökologisch-komischen Nische drei Monatsmagazine, die sich als »satirische« Publikationen verstehen. Sie werden von Menschen gefüllt und gestaltet, die sich nicht »Satiriker« nennen. Es sind »Redakteure«, »Autoren« (wenn sie schreiben) oder »Zeichner« (wenn sie zeichnen). Von außen gesehen werden sie als »Spaßguerilleros« (Spiegel) oder als Leute bezeichnet, »die vor dem leben aufgegeben haben und nun versuchen, ihrem zorn irgend ein ventil zu geben« (Gulliver Assi, webstories.cc).
Ein wandelhaftes Grüppchen. Und ein ebenso gespaltenes Grüppchen. »Drei Brüder sind's, auf Straßen zu Roß in blankem Stahl,« sagt Adalbert von Chamisso. Die deutsch-deutsche Satirelandschaft teilt sich in drei Kapazitäten, die den Markt mit unterschiedlichen Schwerpunkten beliefern. Das westdeutsche Flaggschiff der Satire ist die Zeitschrift Titanic, der ostdeutsche Marktführer die Zeitschrift Eulenspiegel. Und der satirische »Zombie«, die Zeitschrift pardon, die im Jahr 2002 nach 14 Jahren Pause wiederauferstanden ist und seither in wechselnden Formaten und Verlagen erscheint.
Drei Brüder
Alle drei Magazine versuchen, naklar!, ihre Einzigartigkeit herauszustellen. Eulenspiegel nennt sich »Das Satiremagazin«, pardon »Deutschlands führende Satirezeitschrift« und Titanic »Das endgültige Satiremagazin«.
Titanic (Auflage: 98.000) ist nach Oliver M. Schmitt sogar die »verbotenste Zeitschrift Deutschlands«. Ein Zehntel der Ausgaben wurden zensiert. Das hat mit der Spielart von Komik zu tun hat, die die Blattmacher pflegen. Bereits in den 70ern hatten die Titanic-Gründungsväter – die Vertreter der »Neuen Frankfurter Schule« – erkannt, dass mit der klassischen, belehrenden Moralsatire kein Staat mehr zu machen war. Schon gar nicht war damit ein Staat zu verändern.
Also hat man sich neu ausgerichtet: Titanic reagiert auf sinkenden Reizschwellen und die Totschlagzeilen der Bild mit dem Ausloten des straffrei Sagbaren. Tagespolitik gilt als Auslöser, als Plattform für verbale Intellektuellenkomik. Diese Form von negativer Satire, die nicht mehr belehrt, sondern schmäht, schmutzt und zeiht, ist nur dem Komischen verpflichtet: Und was das ist, obliegt Titanic. Im Heft findet sich kaum ein Satz, der »eigentlich«, in seiner wörtlichen Bedeutung, gelesen werden dürfte. Das ist Metakomik, der Witz über Witze, der Versuch, die Erwartung, in seiner Erwartung enttäuscht zu werden, zu enttäuschen. Spartenhumor. Deshalb richtet sich die Zeitschrift an eine feste Lesergruppe. Sie ist zu 85% männlich, westdeutsch, urban und akademisch gebildet. Die Redakteure und fast alle Mitarbeiter gehören dazu. Auf diese Weise kultiviert das Blatt eine Komikkultur, die sich vornehmlich an Geistesverwandte richtet. Im Blick hat sie eine Leserschaft, der durch bestimmte Feindbilder, Witzmuster und Running Gags die Freude des Wiedererkennens und Dazugehörens bereitet wird.
Pardon ist als Gegenentwurf zu Titanic zu verstehen. Wenig verwunderlich, wenn man sich vor Augen hält, dass der Chefredakteur Bernd Zeller (der auch schon beim Eulenspiegel tätig war) einen Monat in der dortigen Redaktion gearbeitet hat, bevor er das Narrenschiff wegen interner Differenzen wieder verlassen musste.
Pardon betreibt, was man »kritische Satire« nennen könnte: Kritik an öffentlichen Machtinstanzen, Kulturbeobachtung, Vorhalten von Dummheiten und Ahnungslosigkeiten: Zielscheiben der aktuellen Ausgabe sind Terrorismus, die Bundesagentur für Arbeit, Handy-TV, Wal-Mart und Boulevardjournalismus. In Formaten wie One-linern, Zeitungsparodien, Essays und schnellen Cartoons wird Meinung gemacht.
Das ist der entscheidende Unterschied zwischen pardon und Titanic: Metahumor und Selbstreferenzialität werden dem feindlichen Luxusliner als lecke Stellen angekreidet, Nonsenssatire als Haltlosigkeit. Ob ihr Konzept aufgeht, muss Pardon noch beweisen. Schrieben für die erste Ausgabe nach dem Relaunch noch Götz Alsmann, Roger Willemsen, Doris Dörrie und Wiglaf Droste, so ist die Auflage von damals 90.000 inzwischen auf 15.000 Exemplare gesunken.
Damit ist sie weit entfernt vom Eulenspiegel, von dem 120.000 Stück pro Monat an den Kiosk gehen. Die »Eule«, wie sie von ihren Anhängern genannt wird, erscheint seit über 50 Jahren und ist damit die älteste Satirepublikation am Markt.
In wenigen Bereichen ist die deutsche Teilung so augenfällig wie in der Satire: Titanic wird in vielen ostdeutschen Städten überhaupt nicht verkauft, der Eulenspiegel setzt im Westen wenig um. Er demonstriert, was Satire auch sein kann: Beständigkeit trotz Wandel. Viele Redakteure und Zeichner arbeiten schon seit Jahrzehnten für das Heft. Das Publikum schätzt die verlässliche Mischung aus Politikerschmäh und Gesellschaftskritik. Hier »geißeln« »scharfe Federn« »menschliche Missstände«, Aufklärer nehmen »kein Blatt vor den Mund«. Alte Schule also.
Dass dieses Konzept aufgeht, ist verständlich, gab es bis zum Fall der Mauer im Eulenspiegel doch keine politische Satire. Partei und Regierung durften nicht Gegenstand der Autoren sein. Dafür gingen eine halbe Million Exemplare an die DDR-Bürger. Pro Woche. »Im Mittelpunkt standen die Randerscheinungen« heißt es in der Festschrift zum 50. Geburtstag, den man im Kreise der Lieben 2004 gefeiert hat. Einen Rest dieser Zurückhaltung hat sich die »Eule« bewahrt: Die Witze bewegen sich in traditionellen, mitunter kabarettistischen Bahnen, Zielscheiben werden genannt, Missstände überzeichnet, die Bürokratie wie in alten Zeiten zum Hauptfeind des »gesunden Menschenverstands« erklärt: Satire für den kleinen Mann und die breite Masse, wie der Eulenspiegel selbst sagt.
Am 20.10.06 verkündete die taz dann das »Satirewunder«: »In fast allen Tageszeitungen gibt es eine satirische Ecke, ursprünglich mal als Ausgleich und Ausklang zu den harten aktuellen Meldungen gedacht, mittlerweile mehr oder weniger gediegen und entwickelt.« Doch nicht nur das. Zwar schimpfte Jenni Zylka über den unkomischen »satirischen Monatsrückblick Ultimo« auf n-tv, pries dann aber die Sendung Extra 3 (NDR) und die Rubrik Toll! in Frontal 21 (ZDF) als herzeigbare Formate – unerwähnt blieben die Beiträge von Polylux (ARD).
Satirisches Fernsehen arbeitet mit den gleichen Mitteln wie die Printverwandtschaft – Übertreibung, Verzerrung, Umkehrung etc. –, vor allem aber mit dem Kontrast zwischen Bild- und Tonebene. Entweder setzt ein mokanter Off-Sprecher die gezeigten Bilder in einen neuen Zusammenhang, oder die Fernsehauftritte von Politikern werden neu »synchronisiert«. Auch die »Zuschauerverarsche« aus Verstehen Sie Spaß?-Zeiten erlebt neue Formen: In Polylux traktiert Carsten van Ryssen arglose Berliner mit kaum richtig zu beantwortenden Fragen (»Gehören Sie auch zum Prekariat?«).
Oder wechselt das Medium?
Und auch das Internet entdeckt die Satire: Bereits legendär ist das Magazin ZYN! (1992-2006), das mit der Spiegel-Online-Parodie Spiggl für einigen Wirbel gesorgt hat. Ein fiktives Interview mit Ex-Bundeskanzler Schröder über deutsche Atomwaffenpläne wurde von der iranischen Regierung für bare Münze genommen; Friedrich Merz blamierte sich 2006, weil er unbedingt einen leicht abgewandelten ZYN!-Artikel bei einer Karnevalsrede als Eigenkreation ausgeben wollte. Shit happens.
Inzwischen betreiben Titanic, pardon und Eulenspiegel tagesaktuelle Webauftritte; im September 2006 kam Die Welt mit einer eigenen Online-Satirerubrik dazu. Im November folgte Martin Sonneborn, Ex-Chefredakteur der Titanic, mit Satire auf Spiegel Online. Sein Ziel war, »komisch wie die Zeit, seriös wie Focus-TV, aktuell wie der Winterfahrplan der Deutschen Bahn« zu sein.
Mediale Auferstehung oder Gnadenschuß?
Die Vermischung der Medienformen im frischgehypten Web 2.0 nimmt also zu. Der alte Wein aus neuen Schläuchen gilt aber immer noch. Mag sich die Satire dem Literaturbetrieb und vielleicht auch bald der Zeitschriftenlandschaft abgewandt haben, mag sie sich inzwischen den technischen Möglichkeiten des Internets mit all seinen Audiofiles, Flashanimationen, Videos bedienen – Robert Gernhardt, der auch schon gegangen, aber doch geblieben ist, hat es auf den Punkt gebracht:
»Die Satire bedient sich seit Jahrtausenden der gleichen Methoden, um ihre seit Jahrtausenden unveränderte Botschaft halbwegs an den Mann zu bringen. Immer nämlich ist die Satire dagegen, und immer schon stand sie vor dem Problem, diesen kaum überraschenden Befund dem selten überraschten Leser oder Zuhörer schmackhaft zu machen.«
Lino Wirag 21.06.2007
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Prosa
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