Lutz Steinbrück
Urbane Fotostrecke
(I)
Sie ritten bäuchlings
durch die Fledermauslounge
und summten ihr
waghalsiges Schweigen,
in einem Tonfall
souverän getarnter
Skepsis zogen sie die
Spuren ihrer Grenzen
im Raum: Vorsicht!
wer ihnen folgt, findet
ein Netz engmaschiger
Blickkontakte und sieht
im Anschlag: die Pupillen,
geweitet
(II)
Überwältigt vom Klang
der Worte, die sie nicht
verstehen ... sie sind
Schauspieler, getarnt
als Helden
für ein Foto am Checkpoint Charlie
allzeit bereit für ein Lächeln aus der Fremde
irgendeiner Erinnerung, in der ein Held mehr ist als
ein aus Zitaten gespeister Verkäufer, mehr
als ein im Affekt unerwartet Suchender
Wohin bloß mit all dem diffusen
Licht aus verwischten Trümmerwolken,
wenn sie heimlich abregnen,
zerfließt die Positur,
schlagartig entschleunigt sich
das Bild
(III)
Stunden am Sonntag zersingen
zwischen Döner und
Benzingeruch in Gedanken
auf dem Bahnsteig, letzte Nacht
aus sicherer Entfernung
mit dem Stinkefinger,
sie haben es nicht gesehen,
sie, nacktes Gebrüll in der S-Bahn:
„Fenerbahce, Galatasaray –
wir hassen die Türkei!“
Einer mit dem Schwanz an der Fensterscheibe,
S 8 Richtung Blankenburg, Bahnhof
Schönhauser Allee, viertel nach Eins
wessen Söhne, wessen Erben und
was, wenn Du am Fenster sitzt, eingefügt in dieses Bild?
schweigst wohl dein Echo an die Wand und hoffst
worauf? (froh, nicht dabei zu sein)
Einen Schluck noch, dann in die andere Richtung,
zum Glück und neben dir
ein alter Mann, der sich selbst genug ist
jetzt ist Sonntag, der Spuk hallt nach
zwischen Döner und Benzingeruch
Aus: Fluchtpunkt-Perspektiven. Lunardi Verlag, Frühjahr 2008
Lutz Steinbrück 09.01.2008
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Lyrik
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