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Der Wald war ein weißer Streifen damals

Der Wald war ein weißer Streifen damals. Ich lief Kreise im Schnee. Auf das Feld streute Vater Heu. Ein Hase beschnüffelte die Halme. Er rannte davon, stolperte und fiel auf den Rücken. Da lachte ich.
Ich fragte Vater, warum ich nicht mehr zur Schule ginge. „Du hast kräftige Hände und jammerst nicht bei der Arbeit. Schreiben und rechnen kannst du. Das muss reichen. Wir sind Bauern.“ Ich drehte mich um und weinte. Dann lief ich wieder im Schnee.
Als meine Füße schmerzten, setzte ich mich und betrachtete sie. Die Zehen hatten Blasen, die Haut Schnitte. Rissig waren die Nägel.
Vater kam auf mich zu: „Was sitzt du da mit deinen nackten Füßen, Mädchen? Zeit nach Hause zu gehen.“ Auf seinem Rücken trug er mich. Ich legte meine Arme um Vaters Hals. Seine Holzschuhe krachten im Schnee.
So erzählt Großmutter.
Sie sagt: „Ich ziehe die Spangen aus dem Knoten. Dein Haar fällt herunter. Ich streichle und flechte es. Es ist lang und hell. Es ist wie das Haar meiner Mutter, nur ohne Locken.“

Die Wiese trägt Kuhfladen. Zwischen dem Gras wachsen Pilze. Ich pflücke drei, schließlich sieben. Sie werde ich braten, abends. Wenn die Kühe wieder im Stall sind.
Von Großmutter habe ich Brot. Zwischen den Kühen sitze ich und mache Hausaufgaben. Die Äste der Bäume hängen. Kein Wind knickt die Blätter im Heft. Aber die Luft ist trocken, es könnte noch regnen heute.
Ich klappe das Heft zu und berühre eine kauende Kuh. Unter dem glatten Fell spüre ich ihren Schädel. Die Kuh schüttelt den Kopf. Auf ihren Ohren schrecken die Fliegen auf.

Großvaters Finger sind krumm, ihre Kuppen dunkel vom Rauchen. Ich sitze neben ihm. Im Mund hält er eine Zigarette. Er starrt vor sich hin. Die Asche bricht ab und brennt sich in seinen Schlafanzug. Hastig öffnet Großmutter das Fenster. Sie nimmt den Stummel aus Großvaters Mund und drückt ihn aus im Aschenbecher. Dann zieht sie Großvater um. Er schweigt. Kaum redet er noch. Großmutter wäscht sein Gesicht, seine Hände. Sie kämmt ihn und schlägt eine Decke um seine Beine. Dabei sagt sie mehrmals: „Ich muss für Jósef sorgen wie für ein Kind.“

Ich will nicht mehr wach liegen und ziehe mich an. Draußen im Hof sehe ich hinter den Zaun. Da ist das Feld, hinter dem Feld ist der Wald.
Die Tür knallt. Großmutter nickt mir zu: „Morgen.“ Ich folge ihr in den Stall. Als sie die Schweine füttert, erzähle ich ihr. Wie die Uni aussieht, dass ich Angst habe vor der Stadt, dass ich hier bleiben will, bei ihr. „So ein Quatsch“, murmelt sie und: „Was soll das?“ Sie stellt den Eimer ab. Sie drückt meine Schultern: „Tu was, nur für dich. Hab keine Angst. Es wird klappen.“
Ich gehe aus dem Stall. An der kalten Hauswand lehne ich und schaue zum Misthaufen. Zwischen dem Stroh liegen Eierschalen, verdorbene Kartoffeln, eine Tüte. Hinter dem Zaun wird der Himmel gelb. In vollem Licht stehen die Bäume jetzt. „Sie hat Recht“, denke ich, „es wird klappen.“

Magdalena Jagelke      27.06.2006
Auszug aus einem Prosamanuskript

Magdalena Jagelke
Prosa