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Ulf Großmann / Axel Helbig (Hg.)
Skeptische Zärtlichkeit. Junge deutschsprachige Lyrik

Die Lyrik geht ihren ureigenen Weg
Kritik
  Ulf Großmann, Axel Helbig (Hg.)
Skeptische Zärtlichkeit
Junge deutschsprachige Lyrik
Leipziger Literaturverlag 2009

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Mit „Skeptische Zärtlichkeit. Junge deutschsprachige Lyrik“ legen Ulf Groß­mann und Axel Helbig als Herausgeber (gleichzeitig auch Redakteure der Zeitschrift für Literatur und Kunst, Ostragehege) einen Band vor, der an einen Versuch anknüpft, die aktuelle Lyrik­szene zu beleuchten. Es handelt sich um Kurt Drawerts Sammlung „Lagebesprechung“, einen kleinen, vor acht Jahren bei Suhrkamp erschienenen Band. Beide, Drawerts wie die neue im Leipziger Literaturverlag edierte Publikation: ein Unterfangen, mutig gegen den Mainstream gestellt. Denn: Wie im Vorwort zum 29 Beispiele umfassenden Material vermerkt, besteht eine Diskrepanz in der großen Zahl von ernsthaft um eigene Lyrik bemühter Autoren (sie belaufe sich auf ca. 50 000) und den ca. 500 Lesern, die einen Lyrikband käuflich tatsächlich erwerben, und zwar auch nur den besten eines betreffenden Jahrgangs. Die durchaus ironisch angelegte Nützlich­keits­these kenn­zeichnet die Außen­seiter-Situation von Poesie in gleichem Maße: „… neben den Literatur­forschern dürften zumindest noch die Verhaltens­for­scher und Soziologen ihr Brot mit der Lyrik verdienen können.“ – Folgerichtig: das Motto zur vor­lie­genden Publi­kation: „Den unent­wegten Lesern deutscher Lyrik“.

In Deutschland führt Lyrik ein Dasein im Schatten des heiß umkämpften Nimbus um den Best­seller-Platz, der in aller Regel Romanen und Mono­graphien zukommt. Wie der im neuen Band vertretene Udo Grashoff sagt, ist Poesie „etwas, das ich nicht definieren kann“, ganz im Sinne Gerhart Falkners, der das Phänomen wie folgt expliziert: „Wir wissen nichts vom Gedicht.“ Denn es ist mit der urei­genen Erfah­rungs­welt eines Ichs verbunden. Mit seinem poetischen Text legt es doch nur immer einen Blitz seiner Innenschau frei.

So sind es neben Kurt Drawert einige Kennerinnen und Kenner der Szene, die die junge deutschsprachige Lyrik in den Fokus der Betrachtung (Auto­rinnen und Autoren mit dem Geburtsjahr von 1951 bis 1983) rücken: Brigitte Oleschinski, Jan Wagner, Björn Kuhligk, Ron Winkler, Hendrik Jackson und Helwig Brunner, zumeist selbst ausge­wiesene Dichter. Eröffnet wird der Zyklus mit dem Beispiel Dorothea Grünzweigs. Eine gute Entscheidung. Interes­santer­weise ist diese Autorin neben dem deutschen auch mit dem finnischen Thema befasst. Ihr Devise: „Früher gab es zwei Sprachen. Die Aller­welts­sprache – und die heilige Sprache. Die Aller­weltssprache … war vielfältig, würzig, Übermut auslösend und fass­lich. … Die Worte der heiligen Sprache waren Berge“. Mit Grünzweig wird der Leit­gedanke von sacrum und profanum in die Debatte geworfen. Eine Größe, um die man sich sicher in Zukunft stärker zu kümmern hat. Denn in diesem Bezirk wohnen die Lebens­geister, die – letztlich – zu den verbor­genen, indessen tatsächlich wichtigen Boten zählen.

Zu studieren sind nun die Texte junger Begabungen, ob nun als kassi­berhafte fachsprachen Ulf Stolter­fohts oder als Gedichte „im Unter­schied zu allem bisher Produ­zierten“, wie René Hamann es apo­strophiert. Mit Marcus Poettler sind es Verse, orientiert am Vogelsang, mit Uljana Wolf sagen sie, „was ich nicht zu sagen habe …, was nicht ich zu sagen habe“. Nora Bossong spricht von einer Hilfs­konstruktion, „die das Ich davor bewahrt, in sich zusammen zu stürzen“.

Am Ende nimmt sich Ron Winkler der Autorin Sonja Harter an. Mit dem Blick auf die Art ihres Dichtens, benennt er, was gleichsam für alle gilt: „… kühle, menagerie, manege / der möglichkeit auf mindestens / etwas // das kurze auf­leuchten, auf­flüstern / von präsenz“ („Über mit S. H.“). Die Lyrik geht ihren ureigenen Weg. Mit den Worten von Jayne-Ann Igel in der Nach­bemerkung: „… endgültig vorbei scheint die Zeit klarer und chrono­logisch sich fort­schrei­bender Tra­ditions­linien und An­knüpfungs­punkte.“

Ins­gesamt trifft der Leser auf Texte, die einen gewichtigen Teil der Situation demon­strieren, auf das Myzel eines Ingeniums, das form- und sinn­bildend wirkt, Zeug­nisse für Kon­zen­tration und Leich­tig­keit, die sich am Zungen- und Begriffs­grund formen und über die das große Getümmel des Buch­marktes ohne langes Verweilen hinweg steigt. Insofern gebührt den Editoren An­erken­nung und Dank.
Peter Gehrisch   12.02.2010    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht    Seite empfehlen  Diese Seite weiterempfehlen
Peter Gehrisch