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Wiederstedter Elegien

9

Dieser kindische Wunsch, daß ich dir wichtiger wäre
Als dein Leben, und meine Gedanken, ich liebte dich stärker
Als mich selbst. – Sag, wünsche ich wirklich, daß du mein Begehren
Deines durchleuchteten Körpers nicht überlebst, wenn ich weg bin?
Müßte es mir nicht egal sein, verfaulend unter den Hügeln,
Was du treibst? Und schmerzte es nicht, dich unfrei zu wissen?
Vögeln kommt doch von Vogel, also von Freisein im Himmel! –
Sie versprach mir, sich in die eigenen Finger zu stürzen
Wie in das Meer, das ich bin, bevor mich die Hügel umspülen.


10

Deine geschliffene Schönheit vermisse ich morgens am meisten,
     Deinen gebogenen Hals, zum Zerbrechen gedacht,
Wie ein gesichertes Fragezeichen, als wären wir wirklich
     Nützliche Tiere zu zweit, wühlend im Kraushaar des Gotts. –
Wozu die Nägel verschneiden, die Haare kämmen wozu noch?
     Da im Spiegel mein Bild hat kein Geschlecht, keine Hand,
Die mich über den unverletzlichen Punkt heben könnte,
     Wenn wir in Wahrheit getaucht, keuchend nicht tiefer mehr falln
Und für Zehntelsekunden das Blut stockt, gefangen im Blick
     Dieser Gattung, der wir ganz gehören vorm Schluß:
Menschen, rückwärts gestoßen in funkelnde Scherben, in Pfützen
     Spiegelnd zerbrochen: kein Teil unter den Teilen der Welt. –
Deshalb, von Mal zu Mal schwebt der Geist verwunderter über
     Unseren Leibern, verstört, einem taumelnden Paar
Nüchtern zuzusehen, nur in Bestürzung darüber,
     Daß er nicht scheiden kann hier, was seine Blicke zertrennt.


11

Horden von Rosen biegen die Köpfe schwer in die Schritte:
     Naß, aus Erde und Luft saugst du das Leben heraus.
Vieles atmet heftiger, wo du gehst, und die Äste
     Knarren, Gras beißt sich hinauf. Hummeln bevölkern die Luft.
Mit deiner Hand werd ich trauriger werden und sehnen
     Den verdunkelten Wald in meine Augen zurück.
Meine finsterste Zeit fällt mir ein. Ich wollte nicht leben,
     Saß auf der Parkbank und sah eine Schwalbe im Flug,
Sprachlos, daß sie leicht ist und fliegt. Mich rührten die Augen
     Dunkel im Federgesicht, das niemals alt wird und steht
Nirgends im Spiegel. Nur in den Büchern, am Abend zerblättert,
     Las ich von Isis zum Trost, wie sie als Schwalbe den jetzt
Ganz zerstückelten und in die Winde verstreuten Osiris
     Wieder zusammengesetzt zu einem Einzelnen hat.


12

Nachts, kurz vor drei, in die Hose steigen, die steif ist vom Vortag,
     Du ziehst dein Kleid übern Kopf, eine Sekunde als Tier,
Daß wir noch Alkohol kriegen im Café, die Körper, von innen
     Angefeuert, schrein. Besser, die Schreie zu stilln
Ehe die Vögel toben, als wachzuliegen so unter
     Lärmendem Mond, der im Raum tastet mit silbernem Blick.
Katze, bleib liegen, wir kommen zurück und bringen dir endlich
     Einen Namen, vielleicht. Niemals hat eine Frau
Länger als du in meinen Zimmern das Leben verschlafen,
     Aber Namen hatten die viel, reichlich für sich und für mich.


13

Lallend Versprechen unter den Wimpern, das leiseste Lispeln
     Offenbart deinem Gang, was deine Lippen verschließt.
Angelehnt deine Nacktheit an die verschlossene Kleidung,
     Aber von innen, das ist: Blühen bei schwindendem Licht.
Wirf in die Menge das Geld, das du bist, und die Menge will ich sein.
     Wirf dich dagegen. Vielleicht ankert dein Wurf in der Zeit.
Das ist der Abend, und das ist das Licht – so hörte ich sagen –
     Das sind die Schatten dazu. Bist du jetzt fertig? Ich seh,
Wie du die Nägel nachziehst, mit Rot, um sie zu verlängern.
     Hingehalten der Nacht, trocknen sie schneller als Blut.


14

Bist zu jedermann freundlich und hißt deine Haare im Fenster,
     Frisch gewaschen ins Licht. Bist gecremt und geduscht.
Augen, verborgen hinter den schwärzesten Brillen, und Lippen,
     Fest geschlossen, den Vers des Augustinus im Zorn:
„Siehst du, das alles geschieht dir, weil dich die Angst hat: du weißt es!“
     Vor dem gezügelten Tag hast du mein Sperma gerollt
Wie einen Löffel voll Honig auf deiner Zunge und hinter
     Zähnen hat es geknirscht, laut wie Gedanken bei Schnee.


15

Dein Gesicht und dein Geschlecht zusammen zu schauen,
     Zwischen dir ruhiger der Duft, deine Gedanken im Ohr.
Endlich hatte ich dich in der Falle u n d die Entspannung,
     Traurig und glücklich zugleich, tupfte ich ab meinen Schwanz.


16

Meine Gestalt spricht mich aus und befiehlt mir, wohin die Schritte
     Meine Blicke hinführn, welcher Ausschnitt es schafft,
Sich in den fleischlichen Spiegel zu wandeln für Samen.
     Überquillend fällt Schnee auf den gesuchtesten Leib.
Das sieht meine Gestalt und während die Fremde sich spiegelt.
     Pfützen auf ihrer Haut, komisch, erinnern ans Meer.


17

Dir ja trau ich sogar, halbstündlich unter dem Laken,
     Alles zu wie auch mir. Dich erkenn ich, verkehrt
Nur die Seiten im Spiegel: die leichte Enttäuschung beim Kommen,
     Nichts ist neu unterm Mond, was die Geschlechter entfacht.
Also auch du träumst davon, nur das zu sein, was du vorgibst,
     Und erfindest dich neu, glänzend vor Nacktheit im Bett
Eines noch nicht eroberten Spiegels, wie eine Münze,
     Blank, und zwischen Gefühl und den Gedanken in dir
Tobt eine Schlacht, wenn die Körper gestillt sind. Fühlen und denken,
     Denkend fühlen, das ist: was du willst, was du fliehst.


18

Zweifelnd vergißt sich die Scheu vor dem Morgen danach schließlich auch noch
     In dem stammelnden Mund, der von der Nacht übrigbleibt.
Ausgeleert wie die Gläser, die Aschenbecher gefüllter
     Als die Blicke, verschwitzt: alles, die Augen, das Hemd,
Trittst du den Heimweg an und ohne die Augen zu sehen
     Der beatmeten Frau, deren Schritte du zählst,
Während du neben ihr trabst, ein Pferd, in Kriegen vergessen,
     Welche Geschlechter vor dir führen mußten für dich,
Daß du so herläufst neben der Frau und sie neben deiner
     Angehäuften Gestalt, ein Spiegel noch immer und fremd.


19

Rote Johannisbeeren, leuchtende Tropfen, die bluten,
Und auch die weißen glühen – durch ihre gläsernen Häute
Sehen die Kerne aus wie ungeborene Kinder.
Eine Tüte voll sammeln wir ein, geflohn in die Gärten,
Die vor der Stadt an den Bahndämmen rauschen, die Hände wie Hüte
Schützend vor Sonne in die braunen Stirnen geschoben.
All das, sagst du, nehmen wir mit in die kühleren Zimmer:
Diesen süßsauren Glanz auf den Zungen, die Blätter,
Zwei Drittel Bläue im Blick, das heiße Metall dieser Landschaft!
Angekommen, schütten wir in eine Schale die Früchte.
Plötzlich Ameisen, drei, und kriegerisch ihre Zangen
Ausgestreckt, als hätten sie sich besprochen, verteilen
Sich auf den Rändern der gläsernen Schüssel. Mondschöner Abend,
Zugebracht, wie wir die Gäste beruhigen und in die Gärten
Wiederbringen. In einer Streichholzschachtel ihr Klopfen
Stiftet die Möbel an. Sie sehnen sich rückwärts zu Bäumen.

Ralf Meyer        25.04.2006          

Ralf Meyer
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