Sex beantragen
Kirsten Fuchs – Die Titanic und Herr Berg. Roman
Mein Herz ist nur ein Herz, es denkt „BummBumm“ wie ein Tekknokloppi. Es pumpt, und die Herzklappen gehen auf und zu, zuverlässig, und ich bin auch dankbar, aber was leistet es sonst schon? Es schlägt für mich, toll, toll aber auch. Herzen schlagen nie für andere, erst nach der Organspende. (...) Ein Traktor ist größer als ein Herz. Ein Chicorée schmeckt besser als ein Herz, und in einen Leinensack passt mehr rein. Ein Herz findet nicht mal einen Lichtschalter im Dunkeln.
Darf ich vorstellen: die Gedankenwelt des Herrn Berg. Ein Mann, der von sich selbst sagt, sein einziger Muskel sei der Zynikus. Hört sich frustriert an? Stimmt, das ist er, und dazu hat er seiner Meinung nach auch genügend Gründe, denn Herr Berg ist Sachbearbeiter beim Sozialamt – nicht gerade ein Traumjob –, dazu zweimal geschieden, zwei Kinder. Eine Beziehung will er nie wieder eingehen, doch hat er dabei die Rechnung ohne Tanja gemacht, eine junge Sozialhilfeempfängerin, die in ihm den Mann ihres Lebens sieht.
Auf den knapp 300 Seiten des Debüt-Romans Die Titanic und Herr Berg von Kirsten Fuchs erzählen Tanja und Herr Berg in einander abwechselnden Monologen, wie sie ihre Begegnungen wahrnehmen. Die beiden Erzählperspektiven sind durch unterschiedliche Schrifttypen kenntlich gemacht. Durch den Ton lassen sie sich nicht sofort unterscheiden – man benötigt ein paar Seiten, um zu verstehen, wer gerade erzählt.
Immerhin, die 1977 in Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, geborene Autorin Kirsten Fuchs hat schon diverse literarische Aktivitäten und Erfolge vorzuweisen. Die ausgebildete Tischlerin schreibt für die taz, veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien, ist Mitglied der Berliner Lesebühnen Marabühne, Erfolgsschriftsteller im Schacht und O-Ton-Ute und erhielt Preise wie den des 11. Open Mike in Berlin.
Doch zur Handlung: Für Tanja, in deren Leben nicht wenige Männer eine Rolle spielen, die jetzt aber nur noch Herrn Berg will, ist die Sache ganz einfach: „Er hat ein Meerschweinchen, und ich hab keins. Wir passen gut zueinander.“ Deshalb ist sie zu ihm ins „Sozialamt gegangen, um Sex zu beantragen, mit Kino vorher und Essen gehen vorher und beieinander übernachten nachher, alles.“
Sex ist ein zentrales Thema des Buches. Was die beiden miteinander machen, was sie sich vorstellen und wünschen und auch wie sie es sich selbst machen, wird ausführlich beschrieben. Das kommt teilweise recht umgangssprachlich und ordinär rüber, beispielsweise wenn Herr Berg nach dem Sex denkt, wie gut es ihm gehe: „Ich bin zufrieden wie ein schwuler Strauß, der von dem riesigen Objektiv eines Dokumentarfilmers tief in den Arsch gefickt wurde, während er den Kopf in den Sand steckt.“
Der Ton aber ist Geschmackssache. Einige Rezensenten freuen sich über genau solche Stellen und eine Autorin, die über Sex schreiben könne. Ihrer Meinung nach sei der Roman auf schamlose und nette Weise obszön, ohne je pornografisch zu werden. Zu dieser Schlußfolgerung komme man, da zum Obszönen im Gegensatz zum Pornografischen die Verbindung aus Drastik und Komik gehöre, was Kirsten Fuchs einwandfrei beherrsche. Für manchen ist die Obszönität an sich aber – Komik und Drastik hin oder her – einfach zu platt und aufdringlich.
Was wirklich auffällt ist, dass Kirsten Fuchs' Sätze gute Wortspielereien sind. Gedankenketten, die in der ihr eigenen patzigen Tonart daherkommen und vor Witz und Originalität sprühen. Damit überzeugen sie, auf die Dauer jedoch strengt es an, ihnen zu folgen, und man fragt sich, wie die Autorin das irre Tempo durchhalten will. Ab Mitte des Romans lässt es auch merklich nach, der Plot wird langsamer und ernster erzählt. Diese Ernsthaftigkeit, zum Ende hin auch inhaltlicher Art, ist nicht wirklich schlüssig. Da der Zusammenhang nicht logisch ist, entsteht ein Bruch, der vieles offen und ungeklärt lässt – eine leichte Unzufriedenheit bleibt. Auf einmal fragt man sich nach dem Who is Who unter den Männern in Tanjas Leben. Man versteht nicht mehr so recht, wer da was gemacht hat und was das Ende dem Leser sagen soll.
Wenn die Stimmen der Rezensionen von Die Titanic und Herr Berg breit gemischt sind, auf der einen Seite von einem der erstaunlichsten und gewagtesten Debüts dieses Herbstes gesprochen wird, auf der anderen die Idee hinter der Geschichte als wenig überzeugend erkannt wird, so kann man jedoch dem Argument zustimmen, dass die Autorin „ihren unnachahmlichen Sound entwickelt hat“. Er ist es, der das Buch lesenswert macht. Sätze wie die folgenden muss man einfach mögen: „Ich habe auch Freundinnen. Die sehen sich nicht ähnlich. Ina sieht nicht aus wie Gesine, und Gesine sieht nicht aus wie Katrin, mit der ich auch nicht befreundet bin, weil sie meine Schwester ist. Ich sehe Katrin nie, nur etwas ähnlich.“ Und samstags sinniert der Sozialamtsangestellte Herr Berg: „Heute gibt's kein Geld für Kohle und keine Kohle für Sanitärbedarf. Am Wochenende sollen sich die Armen selbst beschäftigen.“ Da muss man einfach lachen, auch wenn einem das Lachen im Halse stecken bleibt, weil das, was er denkt, leider wahr ist.
Kirsten Fuchs
Die Titanic und Herr Berg
Roman
Rowohlt Berlin 2005
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© 03.02.2006 Rebecca Maria Salentin