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TITEL – Magazin für Literatur und mehr 

Bloch. Eine Bildmonographie

»Umso schlimmer für die Tatsachen«
von Wolfram Schütte

Eine Bildmonographie und Essays: Ernst Bloch zum (Wieder-) Entdecken

Vor dreißig Jahren starb im Alter von 92 Jahren Ernst Bloch. Er hat die Utopie – als Impulsgeber eines individuellen und gesellschaftlichen „Träumens ins Voraus” – in der philosophischen Literatur rehabilitiert. Zwei jüngste Bücher können Anlass sein, sich erneut mit dem großen Schriftsteller, der er auch war, zu beschäftigen.
 

Bloch. Eine Bildmonographie
Bloch
Eine Bildmonographie
Suhrkamp 2007
Ob Peter Handke noch weiß, warum er seinen Tormann, der Angst vorm Elfmeter hat, Bloch nannte? „Bloch” heißt jedenfalls „Eine Bildmonographie” in Handkes Verlag – Suhrkamp, versteht sich –, und die Zahl derer, die eine Bilder-Serie von gehaltenen Elfmetern davon erwarten, dürfte gleich Null sein. Bloch genügt, um im Ernst an den gleichnamigen Philosophen zu denken, mit dem sich der Frankfurter Verlag in seiner Hochzeit (und vielen seiner Leser) ein intellektuelles Glanzlicht aufsetzte – neben „Teddie” Adorno (dem Dunklen, Hermetischen) nämlich das am hellsten strahlende.

Damit man gleich erkennt, worum es sich bei der Neuerscheinung handelt, ist der schöne Umschlag (von Hermann Michel und Regina Göllner) ganz ähnlich gestaltet wie die 2004 erschienene „Adorno Bildmonographie” – nämlich als Prospekt von auratischen Gegenständen auf weißem Grund. Hier ist es: eine Brille, ein Aschenbecher mit zwei Pfeifen, ein Teddy (!?)-Bär plus ein Teddybärchen, ein Ausweis, laut dem „Prof. Ernst Bloch berechtigt ist, die Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus 1933-1945 zu tragen” und ein Foto einer schönen, jungen Frau mit (nicht-islamischem) Kopftuch.

Herausgegeben vom Ernst-Bloch-Zentrum in dessen Geburtstadt Ludwigshafen, bearbeitet von Karlheinz Weigand, ist es die zeitgemäße (d.h. mit zahlreichen Abbildungen & Faksimiles versehene und glücklich bestückte) Anmutung dessen, was im 19. Jahrhundert ein „Florilegium” genannt wurde: die Blütenlese schöner Stellen aus dem Œuvre eines Großen Mannes. Hier: eine sparsam, aber hinreichend kommentierte Auswahl von Eigen- & Fremdzitaten und –zeugnissen, die Leben & Werk des 1885 geborenen und 92jährig 1977 in Tübingen erblindet gestorbenen Pfeifenrauchers chronologisch aufblättern, der als Philosoph Karl May & Georg Wilhelm Hegel, Wilhelm Hauff & Karl Marx, G. K. Chesterton und Thomas Münzer gleichermaßen schätzte – von vielen anderen schönen, absonderlichen, aber ungemein produktiven Ungereimtheiten in der Gemengelage der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen” seines Denkens, Spekulierens und Schreibens ganz zu schweigen, in denen er sich souverän bewegte & mit denen er spekulativ umging, bis sie ihm den Blick frei gaben, auf das an ihnen „Unabgegoltene“. Dessen enthusiastischer Fürsprecher war der hoffnungsfrohe und ins Gelingen verliebte Apokalyptiker, dem als Autor der Name seines welthistorischen Entwurfs & voluminös-enzyklopädischen Hauptwerks „Das Prinzip Hoffnung” von den hohlköpfigen Phrasendreschern des alltäglichen Polit-Gewäschs so nachhal(l)tig gestohlen wurde, dass man es fast nicht mehr hören möchte.

Das „gnostische Grundgefühl” oder Raus aus der eingeborenen Enge

Dabei weiß oder wusste gewiss keiner, der mit „dem Prinzip Hoffnung” heute hausieren geht & dumme Kopfnicker erwarten darf, dass der schutzlose Begriff von dem eschatologischen Philosophen Ernst Bloch stammt und was er wollte – nämlich zumindest gewiss keinen, der mit diesen Worten seine ideologische Borniertheit zu bekränzen versucht.

In einem geistlosen, assimilierten jüdischen Beamtenhaushalt der bayrischen Enklave Ludwigshafen am Rhein, gegenüber dem barocken Mannheim, geboren – „einer der ersten Seestädte auf dem Lande, am Meer einer durchaus unstatischen Zukunft gelegen“ (Bloch), konstatierte der alte Philosoph im Rückblick: „Ich musste heraus aus dieser Welt, in die ich nicht gehörte: das ist gnostisches Grundgefühl, das sich schon im Jungen begründete” und ihn fortan geistig „auf Trebe” schickte und in alle Wissensbereiche und Künste von früh an ausschwärmen ließ, wo er Physik und Musik, Literatur, Malerei und Architektur samt „dem ganzen spekulativen Farbenbogen der Philosophie“ von Grund auf durchmaß und mit Hegel und Schelling „Wissenschaft des Weltgedankens und der Gedankenwelt” sich zueigen machte.

Von Ernst Blochs „Werden & Wirken”, Leben & Denken, Forschen und Exemplifizieren des „Weltprozesses” erzählt mosaikartig diese Monographie, die sich nicht nur aus dem bereits andernorts Vorliegenden auffüttert, sondern auch in bislang noch nicht vorgestellten Materialien des Bloch-Archivs und -Nachlasses fündig wird, um uns eine „Jahrhundertgestalt” vor Augen zu führen, die den „Geist der Utopie” (wie sein erstes Hauptwerk von 1919 hieß) als Movens der menschlichen Geschichte und Kultur in der Philosophie etablierte und als metaphysisch-religiöse Antriebskraft der revolutionären Gesellschaftsveränderung in seinem zweiten Chef d´ Œuvre des „Prinzips Hoffnung” materialistisch exponierte.

Blochs Leben ist nicht weniger „bunt” als die Welt seiner Gegenstände, wenn oft auch grauer, ärmlicher als er sich das wünschte, nachdem er – stolz, arrogant, sprich: selbstbewusst – als Student in München, Berlin, Heidelberg mit den Großen seiner Zeit wie Georg Simmel oder Max Weber umging, mit gleichartigen Feuerköpfen wie Georg Lukács oder Otto Klemperer eng befreundet war und in der baltischen Bildhauerin Else von Stritzky 1913 das weibliche Glück seines Lebens gefunden hatte. „Dieses lustig raffinierte, maßlos gute, intensive und vor allem unerhört intuitive Mädchen“ kam auch noch aus reichem Haus, so dass der Habenichts „mit dem Makkabäergesicht und den Makkabäergesten” (Béla Balázs) ebenso inspiriert wie in Muße den „Geist der Utopie” in seiner unverkennbar eigenen Diktion aufflammen lassen konnte. Es war ein, wegen der Krankheit der „geliebten Frau”, nur kurzes Glück, das mit dem Tod der Vierzigjährigen 1921 endete – nicht aber Blochs mystische Liebe zu Else, deren Andenken er noch eines seiner letzten Bücher widmete (und deren Bild die Assemblage des Buchumschlags ziert).

Von Else zu Carola: die beflügelnden Frauen

Was danach an Lebensstoff von ihm zu durchmessen war, belegt die „Bildmonographie” ausführlich: Die ökonomisch unsichere Weimarer Republik, in der Bloch als Essayist auf der Linken reüssierte und vielerorts präsent war. Die prekäre Emigration (Schweiz, Österreich, Frankreich und Tschechoslowakei) durchstand er an der Seite seiner zweiten Lebensgefährtin Carola, die dem im Alltag „weltfremden” Privatgelehrten, dessen eigenwilliges politisch-geistiges Oszillieren zwischen den innerlinken Fraktionen ihn isolierte, vor allem während der gerade noch gelungenen Flucht in die USA den notdürftigsten Lebensunterhalt durch ihre eigene Arbeit verschaffte. Denn er selbst, wegen seiner publizistischen Verteidigung der „Schauprozesse” des Stalinismus, von Horkheimer ed al. geschnitten, hatte keine materiellen Verdienstmöglichkeiten. Bloch nutzte aber die Möglichkeit, im Verborgenen zu überleben, fleißigst und produktiv dazu, nicht nur das „Prinzip Hoffnung”, sondern auch noch zahlreiche andere großflächig-intensive Arbeiten (wie die Hegel-Studien oder seine „Rechtsphilosophie“), „auf Vorrat” anzulegen & auszuarbeiten.

Als der große Romanist und Widerstandskämpfer Werner Krauss ihn mit der Aussicht auf eine Professur 1948 nach Leipzig lockte, gab Bloch die „Ausweglosigkeit” seiner Lage im Land der für ihn allseitig begrenzten Möglichkeiten auf und entschloss sich, „mit unverhohlenem Grauen im Lande des Hakenkreuzes a.D. zu leben (...), wo meine Sprache nicht mehr klingt (um mich euphemistisch auszudrücken)”.

Glücklicherweise hatte er sich gerade darin getäuscht: Nichts Klangvolleres gab es als sein grandioses Deutsch, niemand war eindrucksvoller als der Redner Ernst Bloch! Fühlte er sich noch auf der Überfahrt, als er an seiner ersten Vorlesung als Professor schrieb, wie „ein Student, der ins erste Semester zieht”, so zog der imposante akademische Lehrer mit seinen 63 Jahren – als ein rhetorischer Feuerkopf und mit allen Sprachregistern orgelnder Philosoph – sofort die Besten der geistigen Jugend Ostdeutschlands an, mit denen zusammen er (wie sein Freund Hans Mayer neben ihm) eine „humanistische” Deutsche Demokratische Republik befördern wollte, „in deren Zentrum die Abschaffung der Ausbeutung von Menschen durch den Menschen steht”.

Humane Erbschaft wider den Stumpfsinn des Diamat

Als er mit diesen Worten 1958 im „Neuen Deutschland” noch seine Loyalität zum sozialistischen Projekt der DDR bekundete, war Bloch schon seit einem Jahr zwangsemeritiert, seine Schüler verfolgt oder entlassen worden, weil dieser „sozialistische Sokrates” in den Jahren zuvor immer wieder öffentlich gegen die versteinerte Zwangslogik des „Diamat”, der offiziellen Parteidoktrin des „dialektischen und historischen Materialismus” aufgetreten war.

Seine akademisch-politischen Gegner hatten so unrecht nicht, wenn sie befürchteten, „von der Plattform der mystischen Erlösungsphilosophie Ernst Blochs aus (werde der Versuch unternommen), die marxistische Philosophie von innen her zu unterminieren und mit einem entgegengesetzten idealistischen und metaphysischen Inhalt zu erfüllen” – nämlich dem der humanen „Erbschaft”, in deren Namen der Sozialismus einst angetreten ist. Zwar waren dem Emeritus alle Publikationsmöglichkeiten in der DDR verschlossen, aber Reisen konnte er in den Westen, wo die Blochs sich aufhielten, als die Berliner Mauer 1961 gebaut wurde und sie sich entschlossen, in der BRD zu bleiben – womit die letzte große & auch krönende Zeit Ernst Blochs als Gastprofessor an der Tübinger Universität eingeläutet war, mithin die Öffnung seines weitreichendsten Resonanzraums im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands, wachsend zeitgleich mit der kontinuierlichen Edition seines gesamten 16bändigen Œuvres.

Obwohl er vom Ungenügen dessen, was ist, immer ausging, hat er – wie prekär auch immer sich die politischen Zeiten gaben – nicht die Flinte ins Korn der Resignation geworfen oder zur Schwermut geblasen. Ob man „Weltvertrauen” nennen darf, was seinem „Träumen ins Voraus” zur energetischen Basis diente und womöglich in religiöseren Zeiten „Gottvertrauen” hieß? Wunsch & Phantasie nach einem Besseren oder besserem Glück oder besser Geglückten waren dem Atheisten und Metaphysiker jedoch präsenter als Verzweiflung. War er, dem wir soviel Aufmerksamkeit, Liebe, Wahrnehmung des „Übersehenen”, „Verborgenen”, „Nicht-Bedachten” in Landschaft, Musik, Literatur, Alltag verdanken: ein spätester Romantiker – freilich nicht des Vergangenen, sondern des Künftigen und Möglichen, dessen Spuren-Lese sein Lebens-Geschäft gewesen ist?

Wiewohl ja jeder große Philosoph nicht nur seinen Stil des Denkens sondern auch des Schreibens hat – von Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche, Wittgenstein bis zu Heidegger & Adorno –, so besaß Ernst Bloch doch mehr & anders als sie alle: Eine seiner Philosophie hautnah identische Sprache (sprechend & schreibend), deren expressive, erzählerische, seinssetzende Prosaqualitäten ein poetisches Surplus besitzen, was Bloch – nur Alfred Döblin vergleichbar – zu einer solitären Größe in der deutschen Prosa des 20. Jahrhunderts werden ließ, unabhängig vom Rang seiner Philosophie in der Geschichte.

Sinnlicher Gedankenkitzel eines „Bedenkers”

Ernst Bloch: Der unbemerkte Augenblick
Ernst Bloch
Der unbemerkte Augenblick
Suhrkamp 2007
Das kann man nun gerade wieder in dem Band „Der unbemerkte Augenblick” an den gesamten „Feuilletons” erfahren, die Bloch zwischen 1916/34 in der „Frankfurter Zeitung” publiziert hat. Obwohl es sich meistens um später von ihm umgeschriebene und in den Gesammelten Werken aufgehobene Denkstücke, Betrachtungen und Reflexionen handelt, die Ralf Becker nun herausgegeben hat, gesteht der Rezensent, sie mit dem gleichen Entzücken und Vergnügen jetzt wiedergelesen zu haben, wie schon einmal vor rund dreißig Jahren in den „Spuren” und andernorts. Dergleichen sinnlichen Gedankenkitzel, Wortwitz & aphoristisches Feuerwerk in heutigen Feuilletons entzündet zu sehen, wäre ein Sprachvergnügen, von dem man aber nicht sicher sein könnte, ob noch ein Verlangen nach derlei Verweilen und „Bedenken” alltäglicher Dinge vorhanden ist.

Manches, an dem sich der Blochsche Gedanke des Eingedenkens festhaken konnte und an dem er seine Aus- & Auffahrten praktizierte – wie z.B. der Jahrmarkt oder das Reisen – hat sich mittlerweile derart verändert, dass Blochs Blickwechsel zwischen seiner Gegenwart und der in ihr noch nachleuchtenden Vergangenheit des 19. Jahrhunderts mittlerweile wie exotische Berichte von & aus einer Ferne zu lesen sind, von der ins Heute nur noch wenige Wege führen, wenn überhaupt.

Wie radikal & unwiderruflich sich unsere individuelle und kollektive Lebenswelt durch die Neuen Medien und ihre Transportleistungen im Vergleich zur Zeit vor dem 2. Weltkrieg geändert haben, wird einem im Kontrast mit diesen herbarischen Momentaufnahmen und historischen Doppelbelichtungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst so recht klar.

Wenn auch „Der unbemerkte Augenblick” durch des Herausgebers fast 60 (!) seitiges, redundantes, gar nicht von Blochs Prosa be- & angerührtes Vorwort eine unglückliche Eingangspforte besitzt – man ignoriere sie am besten und gehe gleich „zu den Haupt-Sachen” –, so wirbt die Sammlung dieser animierten Gelegenheits- & kraftvollen Brotarbeiten des Freien Schriftstellers Ernst Bloch doch dafür, sich wieder (oder noch schöner: zum erstenmal) mit dem originellen Philosophen und brillanten Literaten opulent tafelnd zu Tisch zu setzen und von seinen Mitbringseln, die es in sich haben, märchenhaft reich beschenken zu lassen.

Da ja kaum die Gefahr besteht, offene Türen einzurennen (weil so viele seit geraumer Zeit ins Schloss gefallen sind, also es gälte, sie wieder zu öffnen), mag es sogar noch nicht einmal heute unoriginell sein, daran zu erinnern, dass zumindest Blochs „Spuren” (und seine „Literarischen Aufsätze” auch), deren „Vorschein” von diesen Feuilletons aus der alten „Frankfurter Zeitung” uns entgegenleuchtet, als so etwas wie des Hebelschen „Rheinischen Hausfreunds” fortgesetzte, zeitversetzte letzte Lieferung zurecht angesehen wurden und heute noch (& erst recht heute) auszuloben sind. Unbemerkt sollte dieser Augenblick einer zwiefachen Wiedererscheinung Ernst Blochs nicht an (geistes-)gegenwärtigen Lesern vorbeigehen.
Bloch. Eine Bildmonographie
Herausgegeben vom Ernst-Bloch-Zentrum. Bearbeitet von Karlheinz Weigand
Suhrkamp-Verlag. Frankfurt a. M. 2007.  Zahlr. Abb. 223 Seiten, 39.90 EUR

Ernst Bloch: Der unbemerkte Augenblick
Feuilletons für die Frankfurter Zeitung 1916-1934. Herausgegeben von Ralf Becker
Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a.M. 2007.  399 Seiten, 28 EUR

In Kooperation mit TitelMagazin für Literatur und mehr
Wolfram Schütte         24.05.2007        Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

Wolfram Schütte