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Reste vom Vortag
Er ist kleiner als sie. Aber man merkt es nur, wenn sie sich ganz gerade aufrichtet. Dann kann sie über seinen Kopf hinweg sehen. Und wenn sie ihn küsst, muss sie sich immer etwas zu ihm herunter beugen. Er hat einen dicken Mund und meint, es sei ein richtiger Trompetermund und schiebt ihn dann wie zum Beweis mit den Fingern nach vorn.

Sie sitzen vor dem kleinen Café um die Ecke und ziehen die Schultern ein wenig hoch, denn es ist schon merklich kühl geworden. Laub liegt auf der Straße.
„Ich würde den Kontakt zu dir abbrechen, wenn du jemanden hättest“, hat er gerade gesagt und das macht ihr Angst und deshalb redet sie jetzt schnell weiter. Dabei schaut sie ihn nicht an sondern lässt den Blick über die Straße schweifen. Es ist wenig Verkehr, denn es ist Sonntagmittag. Sie sind gerade erst aufgestanden. Ein paar Leute gehen vorbei, während sie weiter redet schaut sie ihnen nach. Er versteht ihre Aufmerksamkeit nicht und rührt weiter in dem schon fast kalten Kaffee. Ihm ist schlecht, eigentlich mag er gar keinen. Am liebsten würde er jetzt ins Auto steigen und bis dahin zurückfahren, wo sie noch nicht so oft vorbei geschaut hat.

Gestern war ein schöner Tag. Gestern waren sie durch die Stadt gefahren und dann weiter hinaus an den Rand. An dem kleinen Badesee hatten sie sich ausgezogen und dabei beeilte sie sich, weil es schon zu lange her gewesen war. Sie hat abgenommen, hatte er gedacht und war ihr schnell ins Wasser gefolgt. Das Wasser war warm und schmeckte süßlich, ganz anders als damals, und sie schwamm weit hinaus, so weit, dass er schon überlegte umzukehren. Seine Arme taten ihm weh.
Dann waren sie um die Wette zurück geschwommen, und sie ließ ihn gewinnen. Sie hätte es nicht ertragen, wenn er langsamer gewesen wäre.

Als sie aufstehen, klingelt ihr Telefon, aber sie nimmt nicht ab. „Ist sowieso nur meine Mutter“, sagt sie, und er macht nur „Aha“ und versteht nicht, warum sie nicht mit ihrer Mutter sprechen will.

Ein Mann mit Hund läuft an ihnen vorbei, und der Hund schnuppert an seinem Hosenbein. Er bleibt stehen, denn er hat Angst vor Hunden. Sie lächelt. „Hast du keine Angst vor Hunden?“ – „Nein.“
„Das glaub ich dir nicht.“ – „Wieso nicht?“
„Du würdest dich doch fürchten, wenn eine riesige Bulldogge mit fletschenden Zähnen auf dich zu rasen würde“, und er ahmt mit seinen Händen die Zähne nach. „So, schau“, und er will sie ihr um den Hals legen, aber sie dreht sich nicht um und geht weiter nach oben. „Das ist doch was anderes“, sagt sie über die Schulter hinweg.

Dann sitzen sie in der kleinen Küche und reden weiter, dabei isst sie die Reste von gestern und er beobachtet sie. Er würde ihr jetzt gern sagen, dass er es eklig findet, wenn sie mit vollem Mund spricht. Aber sie würde nur lachen, mit immer noch vollem Mund. Er will sie nicht mehr ansehen, nicht jetzt, wie sie auf dem Stuhl hockt und seine Spaghetti isst, als sei sie zu Hause.

Sie zündet sich eine Zigarette an und bläst den Rauch ungeschickt an ihm vorbei. Ob es ihn störe, hat sie ihn gefragt und er hat wie immer verneint: „Nein, es stört mich nicht“, nur die Frage vielleicht. Er würde sie gern etwas fragen, etwas was seinen Bauch rumoren lässt, aber er ahnt, dass sie dann nur wieder aus dem Fenster schauen würde.

Um ihr den Rückem zukehren zu können, fängt er an, das Geschirr abzuwaschen. Er lässt Wasser in das Spülbecken laufen und nimmt die Teller vom Tisch.
„Hat gut geschmeckt“, sagt sie und pustet den Qualm nach oben. Er weiß nicht, was er darauf antworten soll. Er hat keine Lust schon wieder ja zu sagen und schweigt.

Dabei stellt er die Teller auf die Ablage, aber nicht richtig, und deshalb kippen sie nach unten und schlagen auf den Boden auf. Sie schreit kurz auf. Er schaut zu ihr und dann wieder auf die kaputten Teller. Es waren seine Lieblingsteller, aber das sagt er nicht, es hört sich blöd an.
Als wäre das gar nicht so schlimm, wirft er sie in den Müll. Die scharfen Kanten schneiden ein Loch in die Plastiktüte. Sie fragt, ob die Teller wertvoll waren, und er dreht sich um und sagt: „Ach halt die Klappe.“

2004

Simone Unger   11.11.2006

Simone Unger
Prosa