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In Interzone haben sie den Hahn zugedreht
(Böcklin/ Burroughs/ Babes & Bastards)

Hinter den Landungsbrücken sitzen
Die schwarzen Vögel auf den Stahlmauerskeletten.
Sie tocktocken mit ihren Schnäbeln
An die rostzerfressenen Pfeiler, die schief
Durchs Sonnenuntergangsdämmerlicht säbeln.

Mein Land hat keine Mauern mehr.

Schmutziges Moos hängt von den Trauerweiden,
Alte, gebückte Frauen,
Vertrocknet von den Jahren
Marschieren den Hügel hinauf.
Sie tragen schwarze, abgewetzte Kleider
& unter den Kopftüchern sind kleine flinke Augen,
Die huschen und blitzen
Über narbenzerfurchten, ewigen Gesichtern.
Geschichten in Haut geschrieben,
Von Nachmittagen mit Tee (Hibiskus)
& letzten Stücken Brot, gestreckt mit Sand.
Hände zittern, Tränen rollen Abhänge hinab
Um sich zu treffen,
Unten,
Wo der Schlick kleine Pfützen bildet,
Um miteinander zu weinen – gemeinsam zu sein.

In Hamburg und Berlin, in Lissabon und Paris,
In den Hotels, in denen vom Kokain
Schräg geschossene Dichter
Nach einem Ausweg suchen,
Schauen zwölfjährige Jungen, mit schwitzigen Haaren
Der weiblich aus- & einladenden Barfrau
Unter den Rock und reiben ihren Pint.

Zucken. Zucken. Tock. Tock. Tock!

Spermatorpedos – & viele Jahre später
Halten sie klebrige Gläser in den Händen,
In denen irischer Whiskey von Sonnentagen
& Kühen (Scheiße, wie trivial!) & Wiesen berichtet,
Warm holzig & in der Kehle brennend
& sie lächeln und erzählen von Maria und Janette.

Ich blicke zurück.

Ich blicke herüber.

Die Zeit trägt Schneeflocken im Haar
& einen ziemlich kurzen Rock,
Ihre Beine sind nicht wirklich ansehnlich,
Eben doch schon etwas älter,
Welliger
& manchmal, wenn ich mit meinen Fingern
In ihr Fleisch greife,
Bleiben rote Dellen – wie Spuren
Von Maschinengewehren in Häuserwänden,
Putzbröckelnd, rissig.

In den viel zu vielen grünen Hotels
Liegen die Dirnen mit den viel zu großen Herzen
(sie lächeln für Geld wirklich jeden an!)
Neben den rauschenden Pornofernsehgeräten
Und rollen ihre Strümpfe.
Wie es beliebt: hoch oder runter
Oder sie schnarren Befehle
Oder sie bücken sich
Nach den mit Samen vollgesogenen Taschentüchern.
Manche benutzen Küchenkrepp.
Das macht es jedoch auch nicht besser,
Wenn die Insekten gegen die Fensterscheiben
Tief gelegter Automobile klatschen
& Blutspritzer, umgarnt von gelblichem Resten
Panzerung im Sonnenlicht trocknen.

Hinter den Landungsbrücken ist Schluß mit lustig!

Der Fährmann verlangt seine Kohle
& ich gebe mein letztes her.
Seit Jahren hatte ich es mit mir herumgetragen,

Damals als ich dichten wollte
& damals, als ich hilflos wurde.

Zu viel Reflexion macht einsam!

Jetzt kennt mich niemand mehr – nichts mehr, nur Meer.

Selbst die schwarzen Vögel schlagen
Ihren Takt sinnlos weiter,
Da ist nichts geblieben von mir,
Kein Baum, kein Strauch
& die Marias & Janettes hatten so viele Männer
In ihren Betten,
Daß ich kein Kreuz wert bin in ihrer Bettstatt.

Mein Land hat keine Ufer mehr.

Das Wasser trägt ein kleines Schiff
Aus aknezerkratzten Bohlen.
Da waren rasende Derwische,
Damals,
Wie Farbsprengsel über Hotelzimmerdecken,
Wenn Neonreklamen verwirrende Bilder zeichnen,
Nach ertrunkenen Tagen,
Bis unter die Schädeldecke voll mit Gefühlen.
Da waren klatschende Kinder
& hin & wieder Stille und Dunkelheit,
Fast absolut,
Fast schmerzlich endlos,
Doch nie so wie jetzt...

Mein Meer hat keine Ufer mehr.

Die Aufregungen haben sich gelegt
& die katastrophenschwangeren
Zeitungen sind fertig gelesen.
Manches braucht etwas länger,
Um zu vergehen.
Manches hat sogar eine Dauerkarte
Für die zivilisatorische Sondermüllhalde.

Letzten Endes wird aber auch hier der Deckel zugeklappt.
Ende Gelände, Baby!

& in den Radios ist Rauschen,
So weit, so weit
Wie Meer
WIE MEER!

Volly Tanner      04.07.2006

Volly Tanner
Lyrik