Anna Ditges
Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin
Ein Dokumentarfilm | Sendung zum 100. Geburtstag
Filmkritik
|
|
Anna Ditges
Ich will dich –
Begegnungen mit Hilde Domin
|
Am 27. Juli wäre Hilde Domin 100 Jahre alt geworden. Zum runden Geburtstag strahlen WDR, SWR, 3sat und RBB derzeit einen Dokumentarfilm aus, der die bei Drehbeginn 95jährige auf poetische, sehr persönliche und unkonventionelle Weise näher bringt. Gezeigt wird ein sensibles Portrait auf Augenhöhe, das sich von der Bedeutung der großen Dichterin berühren, nicht aber zu vordergründiger Verneigung verführen lässt. Gedreht wurde es von Anna Ditges, einer 1978 geborenen Filmemacherin, die in den Jahren 2004 bis 2007 an dem Projekt gearbeitet hat. Dies zunächst aus eigenem Antrieb und ohne technische oder finanzielle Unterstützung durch Fernsehanstalten. Anna Ditges sei, wie man auf der informativen Film-Homepage erfährt, in einer Buchhandlung zufällig auf Domins Gedichtband „Nur eine Rose als Stütze“ gestoßen. Dieser habe so nachhaltig auf sie gewirkt, dass der Entschluss gereift sei, Kontakt mit der Dichterin aufzunehmen, um diese in ihrer Heidelberger Wohnung für Filmaufnahmen zu besuchen. Die, laut Pressemappe, von Journalisten als unzugänglich und arrogant gefürchtete Grande Dame der deutschen Nachkriegsliteratur, sei der unbekannten Filmschaffenden schon beim ersten Kennenlernen neugierig, vertrauensvoll und mit großem Wohlwollen begegnet. Über einen Zeitraum von zwei Jahren sei während regelmäßiger Aufenthalte in Heidelberg sowie gemeinsamer Urlaubs- und Lesereisen, etwa 130 Stunden Filmmaterial belichtet worden. Dieses spiegele das 20. Jahrhundert in den Lebenserinnerungen der Dichterin wieder und konserviere gleichzeitig deren Alltag der letzten Jahre authentisch und ohne Weichzeichner: Es fehlen die üblichen glättenden Bilder. Anna Ditges hat einen sehr eigenwilligen Blick, eine ausgeprägte dramaturgische Intuition, und sie hat sich auf das beschränkt, worauf es ihr ankommt: die Domin. Da gibt es keine Ablenkung, keine harmonisierenden Zwischenschnitte. Der Film ist gewissermaßen jenseits aller Regeln entstanden“, kommentiert Felix Kuballa, selbst Autor zahlreicher TV- Dokumentationen und dreifacher Grimme-Preisträger, die Arbeit der jungen Kollegin. Er hat die Filmentstehung als federführender WDR-Redakteur in der letzten Phase des Projektes begleitet.
Intensität und Wirklichkeit
Ich will dich ist ein Film, der durch seine sensitive, familiäre Sichtweise fasziniert. Wahrscheinlich hätte auch eine Enkelin oder Urenkelin Hilde Domin in atmosphärisch ähnlichen Bildern festgehalten. Enkelkinder gibt es jedoch nicht, da die Dichterin und ihr 1988 verstorbener Ehemann Erwin Walter Palm kinderlos blieben. Die Gründe hierfür erfährt man im Film. Ebenso die Antwort auf die, zunächst respektlos erscheinende Frage, ob Palm ein guter Liebhaber gewesen sei. Sie ist Ausdruck und Beleg für das besondere Vertrauensverhältnis, das während der Dreharbeiten zwischen Hilde Domin und Anna Ditges gewachsen ist. Dies war möglich, weil Ditges alleine gearbeitet hat und bei Ihren Besuchen in Heidelberg wie eine Familienangehörige in der Wohnung der Dichterin lebte. Nichts wurde arrangiert oder für ein perfektes Bild geschönt. Selbst kleine Missgeschicke, die andernorts der Schere zum Opfer gefallen wären, blieben erhalten und stehen so für Intensität und Wirklichkeit. Die entstandene Bindung zwischen Domin und Ditges war allerdings, das spürt man im Filmverlauf immer wieder, auch deshalb möglich, weil selbst eine so angesehene Schriftstellerin wie Hilde Domin, seit dem Tod ihres Ehemannes und mit fortschreitendem Alter, immer einsamer wurde. Die junge Filmemacherin war eine erfrischende Abwechslung, in den ansonsten von Einsamkeit bestimmten letzten Lebensjahren. Die Besuche von Ditges, so scheint es, waren für Hilde Domin wie Besuche eines lange vermissten Enkelkindes. Für dessen Anwesenheit nahm die Literatin auch die gelegentlich als aufdringlich empfundene Beobachtung durch die Kamera auf sich. Hilde Domin hat Anna Ditges vermutlich unbewusst als Quasi-Enkelin gesehen. Die Dreharbeiten fanden dadurch in einer Atmosphäre statt, die Spannung aus Offenheit und Anspannung aus Differenzen bezieht, die sich zuweilen aus Offenheit ergeben. Stille Melancholie durchzieht den Film dabei ebenso, wie die in der Wohnung der Dichterin allgegenwärtigen Rosen. Hilde Domin, die am 22. Februar 2006 starb, geht in dieser beeindruckenden Dokumentation auch als Mensch unter die Haut.
Sendetermine:
30.7.2009, 23:45 Uhr im SWR
30.7.2009, 22:50 Uhr im RBB
|
Andreas Noga
Lyrik
|