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Christian Kreis
Schön, daß Sie das gleich so offen ansprechen
Die Bushaltestelle ist fünf Minuten entfernt. Früher war hier Acker. Wir laufen auf die opake Front der Glasfassade zu. Zwischen den Fugen des Gehwegs sprießt noch kein Gras. Weiträumig um das Gebäude herum wurde ein Grüngürtel angelegt aus Wiese, kleinblättrigen Büschen und Bäumen. Unter den Bäumen liegt Rindenmulch. Auf der Wiese stehen Schilder, die ein Verbot aussprechen, das zu brechen wir keine Zeit haben. Im Aufzug informieren neben den numerierten Tasten angebrachte Edel­stahl­schildchen, welche GmbH auf welcher Etage zu finden ist. Wir stecken ein Plastik­schild­chen mit unserem Namen und Bild an Bluse und Hemd. Auf dem Gang begrüßen wir jeden, der uns ent­gegen­kommt. Wir kennen nur wenige von uns, denn viele bleiben nicht länger. Eine Reihe nach der andern sitzen wir hinter Trennwänden und reden. Satz­fetzen sirren über den Gang. Wenn auch alles gleich aussieht, verlaufen können wir uns nicht. Es gibt nur diesen Hauptgang, der rechtwinklig durch die Büroetage führt, bis zum Aufzug zurück. Die getönten Scheiben lassen sich nicht öffnen, Decken­strahler geben gleichmäßiges Licht, die Klima­anlage gibt gleichmäßige Temperatur. Im Vorbei­gehen lesen wir an den Wänden: „Was du schaffen willst, schaffst du“. In einer Viertel­stunde beginnt die Schicht und wir müssen es schaffen. Unsere Teamchefin begrüßt uns lächelnd mit unseren Vornamen oder mit der Vernied­lichung unseres Nachnamens. Wir sind alle per Du miteinander. Wir lächeln uns an. Wir schalten die Computer ein. Vorher probt sie mit den Neuen von uns noch mal die Einwand­behand­lung. Wir rollen mit unseren Bürostühlen in die Mitte des Seitenganges, dann hält sie farbige Papp­schildchen hoch. Darauf stehen Sätze wie, „Ich habe kein Interesse“, oder, „Das ist mir zu teuer“, und wir antworten mit Sätzen wie, „Schön, daß Sie das gleich so offen ansprechen. Kennen Sie unseren Service schon?“ Das haben wir geübt, und können es jetzt anwenden, die nächsten vier Stunden. Wir setzen die Headsets auf unsere Köpfe und justieren die Mikros vor unseren Mündern. Wir wählen uns ins System ein mit Codeworten, die sich alle vierzehn Tage ändern. Wir lesen einen Text vom Bildschirm ab, der sich je nach Marktlage ändert. Auf unseren Kopfhörern tönt das Klingelzeichen, jeden Moment werden wir die Stimme eines Kunden hören, seinen Namen und seine Adresse auf dem Bildschirm sehen. Wir sagen Guten Tag. Wir sagen unseren Namen und sagen den Namen unseres Kunden­services und bitten, die Person sprechen zu dürfen, deren Namen auf unserem Bildschirm steht. Wir sagen ihr, daß wir uns darüber freuen, daß wir sie erreicht haben. Wir sagen ihr, daß es darum geht, Geld einzusparen. Wir sagen ihr, daß wir einen kostenlosen Service zur Verfügung stellen. Wir sagen ihr, daß sie keine zusätzlichen Kosten hat. Wir sagen ihr, daß das eine schöne Sache ist. Nach fünfzig Minuten des Sagens zu fünfzehn Personen haben wir fünf Minuten Zeit, um unsere Sicherheitswassertasse aufzufüllen, um zu rauchen, um was zu essen, um auf Toilette zu gehen. Wir gehen zurück auf unsere Plätze. Wir trinken aus unseren Tassen. Wir sehen zur Uhr. Wir versuchen zu lächeln. Wir lächeln.

Ab und an bittet unsere Teamchefin einen von uns in den Supervisorroom und sagt ihm, ob er sich denn wirklich gut mit dem Job gefühlt hat, daß sie sich persönlich sehr gut mit ihm verstanden hat, daß er, von der fallenden Quote abgesehen, ein guter Mitarbeiter gewesen ist. Und er sagt, daß es schön ist, daß sie es gleich so offen angesprochen hat. Nach dem Gespräch gehört er nicht mehr zu uns. Er geht zum Aufzug. Er nimmt das Plastikschildchen mit seinem Bild und Namen vom Hemd. Er geht an der Wiese entlang. Er hätte Zeit, das Verbot auf den Schildern zu brechen. Er steigt in den Bus.

 

Christian Kreis       02.09.2007    

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