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Simone Trieder

Barcodes

Rezension von Christian Kreis
mit Einwürfen von Christine Hoba

Kritik
Simone Trieder | Barcodes   Simone Trieder
Barcodes
Hasenverlag 2010
134 Seiten, 19,50 Euro


Simone Trieder hat einen originellen Lyrikband vorgelegt, in dem die Waren und ihre Käufer in ein Verhältnis gesetzt werden. „Barcodes“ heißt er und erscheint beim Halleschen Hasenverlag, nun in einer zweiten Auflage.

Ja, da fängt schon mein erster Einwurf dem Rezensenten gegenüber an. Sind die Texte, die unter dem schönen Titel „Barcodes“ versammelt sind, wirklich Gedichte, oder moderner ausgedrückt Lyrik? Ich möchte sie lieber szenische Monologe nennen, denn das sind sie auch auf jeden Fall. Immer gibt es einen Namen: Ludwig Dorell, Hanno Eisner, Franz Schindler – und dann kommen die in ihrer ganzen Absurdität und Verfremdung vorgeführten Namen den Waren: Ludwig Dorell > Halbfettmargarine „Lätta“ – darauf folgt der Text, nie mehr als eine Seite, oft eine halbe, als würde uns Simone Trie­der führen ins Innere eines Schädels, wie ein stiller Engel/Geist, der durch die Kaufhalle geht, damit wir an ihrer Hand das Aufsummen der endlosen inneren Monologe hören, „Stream of consciousness“ nennt es die Literatur­wissenschaft – unser ständiges inneres Plappern.

Apropos Plappern. Ihre Einwürfe in Ehren. Wenn ich fortfahren dürfte: Die Barcodes sind eine Art Verschlüsselung der Ware. Der konkrete Gegen­stand bekommt ein paar Striche bzw. Balken (engl. bar) und eine Nummer. Dahinter verborgen sind Informationen, keine Ahnung welche genau (mit Metaphern soll es mir ja auch so gehen), aber mit Sicherheit eine Preis­information. Ein optisches Lesegerät an der Kasse entschlüsselt sie, es macht piep, und wir haben zu bezahlen. Wieder mal. „Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.“ So Marx, den ich an dieser Stelle nicht unzitiert lassen konnte. Die Ware ist eben eine ziemliche kapitale Angelegenheit, da ihr Tauschwert und nicht ihr Gebrauchswert der eigentliche Grund ihrer Her­stellung ist. Sie hat sich vom Produzenten verselbständigt, wobei ihm nicht mehr deutlich ist, daß er es ja ist, der sie hervorgebracht hat. Die Produ­zenten schleichen nach der Arbeit als Konsumenten durch die Supermärkte, wo sie am besten nicht darüber nachdenken, ob sie das auch brauchen, was sie in ihren Einkaufswagen legen.

Ein schöner Exkurs ins Theoretische, Herr Rezensent. Allerdings hat sich die frühkapitalistische Welt von Produzenten und Konsumenten weiter ent­wickelt. In Simone Trieders Kaufhalle sind sie alle versammelt, jene, die noch arbeiten, die Rentner, die Hartz-Vier-Empfänger, die Spinner, die Kran­ken. Das Produzieren ist nur noch Wenigen vorbehalten. Konsumieren müssen wir alle. (ludwig dorell > halbfettmargarine „lätta“ … zwar mein leib benötigt > lätta müsli milch > doch das ist eher lästig > nein das andre da > drin in meinem kopf > das bin ich da geht es > bunt zu hoch her …).

Nun, ja, genau darauf wollte ich zu sprechen kommen. Jeder Gedichttitel besteht aus dem Namen eines Konsumenten und der Bezeichnung einer Ware oder der Bezeichnung einer Eigenschaft dieser Ware. Werden die Bezeichnungen von dem Bezeichneten isoliert, und nun als Gedichttitel benutzt, wird durch diesen Verfremdungseffekt die unfreiwillige Komik dieser Bezeichnungen um so deutlicher. „Arno Vogel > nassrasierer venus“ lese ich da oder „edith brunner > satinbettwäsche love“. Welche Verheißung! Oder: „liss bergmann > frottierhandtuch mit hochwertiger waffelborte“, „wanda lehrte > gartenset“ „meine scholle“, „sybille triebel > wischtuch sybille“. Die Produktnamen sind keine Erfindung, sondern Fundstücke unserer schönen Warenwelt. In fünf Kapiteln werden die Gedichte nach Art der Waren kategorisiert, die Kapitel heißen demnach: frischkost, lebens­mittel, haushaltwaren, körperpflege, unterhaltung. Alle Gedichte zusammen bilden den vielstimmigen Chor der Supermarktbesucher (das Verfahren erinnert an „Unter dem Milchwald“ von Dylan Thomas, für Simone Trieder eine wichtige Anregung) und jedes einzelne Gedicht verrät uns die Gedan­ken zum Beispiel dieser Sybille Triebel, die in ihrer Rolle als Kundin den Be­wußtseinsstrom ihrer alltäglichen Probleme und Sehnsüchte nicht abstellen kann: „als ich ihn > kennenlernte > wechselte ich > von der front der > unrechtsbekämpfer > in den untergrund > der verdeckt agierenden > lieben­den ehefrau“. Ich, als Leser, werde in die Rolle des Voyers ihrer Gedanken gedrängt. Und gerne lasse ich mich drängen. Jeder Text enthält, durch die Form des Gedichts pointiert und verknappt, den Kern einer ganzen Existenz. In diesen Gedichten, das muß ich gestehen, wird nicht über die Sprache reflektiert. Müssen sie auch nicht. Die Gedichte nehmen sich ein Stück Wirk­lichkeit vor. Aus ihnen spricht nicht nur Sprachbewußtheit, sondern ein aus meiner Sicht nicht zu vernachlässigender Aspekt: Lebensklugheit. „in der therapie malte > sie nach anweisung > sich selbst > was möchtest du malen > einen mund sagt sie > male einen mund > was möchtest du malen > ein riesiges herz sagt sie > nein kein herz > wird ihr gesagt >> sieh dich doch an > du malst dich > wie du dich siehst > und da ist kein herz >>>“. Bei einer Lesung meinte Simone Trieder, sie wisse gar nicht so recht, ob es sich bei den Texten um Gedichte handele. Von Haus aus Prosaautorin, zollt sie bescheiden dem Gedicht Respekt.

Nun, Simone Trieder hat jahrelang auch für das und im Theater gearbeitet. Dies ist ihrer gesamten Prosa anzumerken. Dialoge kommen so leicht und locker, als wären sie gesprochen. Auch die Barcodes haben den Charme des geradeso Heraus-Geplapperten/Gedachten, das schwer zu machen ist, weil es dann so einfach aussehen soll, als wäre es nichts, ein Blatt, das los­segelt – hier, in den Barcodes ein ganzer vom Baum der Beobachtung segelnder Blattzirkus. Und der Leser fängt sich diese Blätter und freut sich daran.

Natürlich, sicher, aber was wollte ich sagen, Bescheidenheit, richtig, Be­scheidenheit kann nicht schaden (übrigens eine Eigenschaft, die unter Schriftstellern ungern gepflegt wird), aber natürlich sind es Gedichte. Wozu also diese Bescheidenheit. Es sind kurze Texte mit Zeilenumbruch (also der kleinste optische Nenner des Gedichts). Sie sind konkret bildhaft, rhythmisch und knapp. Es gibt in ihnen überraschende Wendepunkte, Wortwitz.

Das ist ein starkes Plädoyer für das Gedicht, Herr Rezensent. Vielleicht könnte man sich auf das Wort „Rollengedichte“ einigen. Da fällt mir noch Ihr Hinweis zu „Unter dem Milchwald“ ein. Thomas hat den Text für den Rund­funk als ein Hörspiel geschrieben. Auch Simone Trieders Barcodes kann ich mir wunderbar als eine Hörinstallation vorstellen (am besten sogar in einer Kaufhalle?): An vielen verschiedenen Orten sind Lautsprecher mon­tiert, die in einer Endlosschleife alle Stimmen erklingen lassen. Der Hörer geht hin und her, von Abteilung zu Abteilung. Er nascht gewissermaßen wie eine Biene von den Gedanken-Blüten.

Möglich, alle Blütenträume wären natürlich möglich. Noch habe ich es allerdings mit einem optisch zu erfahrenden Objekt zu tun, Buch wird es meines Wissens genannt. Ihre Gedichte hat Simone Trieder nämlich im Blocksatz abdrucken lassen, der Umbruch wird durch ein Größeralszeichen (>) markiert. Beginnt eine nächste Strophe, werden zwei Größeralszeichen gesetzt. Diese Schreibweise ermöglicht zweierlei, zum einen ähneln die Zeilen so den Balken der Barcodes, zum anderen kann ich die Zeilenbrüche überlesen, die Texte wie Prosagedichte wahrnehmen. Raffiniert ist obend­rein die gestalterische Idee, die Seitenzahl als eine Barcodenummer senk­recht vor oder hinter die Zeilen zu setzen (mit einigen Nullen dazu, so: 00000000064). Mit etwas Abstand zur Buchseite und meiner Kurzsichtigkeit kann mir leicht der Eindruck von Barcodes entstehen. Komme ich wieder näher, erkenne ich die Buchstaben und Worte, die ich, als menschliches Lesegerät, zu entschlüsseln habe. Überhaupt die Gestaltung des Buches. Susann Meyerhuber ist verantwortlich für Typographie, Titel, Satz und hat kongenial zu den Texten eigene Illustrationen und Collagen in den Band gesetzt. Es sind Illustrationen mit viel Witz und Einfallsreichtum, die die Iko­nographie der Warenwelt vorführen. Muß man sich ansehen! Schade nur, daß das Buch keinen festeren Einband bekommen hat. Da mußte sich die Gestaltung dem Kapital beugen.

In der Tat. Die Gestaltung des Buches, das von Außen fast wie ein Sonder­posten-Katalog daher kommt, ist so frisch und frech und angemessen den Texten, das es eine Freude ist, darin so herumzustöbern wie eben in einem Katalog: Angeboten werden uns Träume, Ängste, Peinlichkeiten, Sehn­süchte, das, was uns menschlich macht.

Simone Trieders „Barcodes“ sind, um wenigstens fast das letzte Wort zu behalten, eine höchst vergnügliche wie ernste menschliche Komödie, wes­halb nun zum Schluß noch einer meiner Lieblingstexte steht.

>>> Igor tuchel > groschenroman

Unbedingt > wollte ich wissen > wer mein vater ist >> ich habe ihn > kennengelernt diesen > mann der niemals > ein kind wollte >> seitdem verachte ich > meine mutter >>>

Simone Trieder im poetenladen

Christian Kreis   09.06.2010   
Christian Kreis
Prosa
Lyrik