Gerhard Falkner
Hölderlin Reparatur
Hölderlin Reparateur
Am Anfang ist das kalkulierte Chaos:
Das Motto der Hölderlin Reparatur führt den Leser nicht ein, es setzt ihn aus. Es konfrontiert ihn ganz bewusst mit der Verwirrung, die den unbedarften Benutzer von Dietrich Sattlers Hölderlin-Ausgabe erwartet; stößt ihn auf das vermeintliche Chaos verschiedener Textschichten, was dem äußeren Wort nach Assoziationsspielräume eröffnet zu Hölderlins „heiligem Chaos“ oder zur Chaostheorie, die Gerhard Falkner in diesem Band Thema und zugleich poetologische Leitmetapher ist. Nein, leicht machen will es Falkner dem Leser nicht mit seiner inzwischen huchelpreisgekrönten Hölderlin Reparatur, ganz im Gegenteil. So kündigt schon der Schutzumschlag an: „ Hölderlin Reparatur ist ein Buch mit einer Verweisdichte, wie sie seit Ezra Pound vielleicht nicht einmal mehr versucht wurde.“ Bemerkenswert an diesem Satz ist womöglich gar nicht so sehr, dass das auch für Klappentextverhältnisse recht markig formuliert ist. Er gibt vielmehr Aufschluss über ein Konzept von Dichtung, nach dem sich lyrische Qualität maßgeblich über komplexe Hypertextualität definiert. Entsprechend groß ist die Anzahl der in diesem Band mitvernehmbaren Stimmen, die Falkner zum Teil hochvirtuos mit- und gegeneinander führt. Noch vergleichsweise dezent angespielt werden etwa Gertrude Stein, Jurek Becker, Schiller, Heine, Jandl und eine illustre Reihe von Philosophen und Wissenschaftlern. Besonders intensive Auseinandersetzung erfahren – außer Hölderlin natürlich – Sappho, Rilke, Klopstock, Novalis, Platen, Goethe, Mörike, Trakl, Benn, Robert Browning, Celan, Bachmann und… „na, wer wohl“? Genau: Gerhard Falkner.
Dieses chorische Sprechen will bei aller Brechung und Selbstironisierung doch nicht weniger als ein Hochtreiben der Gedichtsprache auf ein sublimes Sprechen hin, das Falkner als Eigentliches der Dichtung festhalten oder auch reanimieren will. Wenn er die Umgangs-, Werbe-, Wissenschafts- und IT-Sprachen auf immer wieder andere Weise kollidieren lässt mit den Möglichkeiten dichterischen Sprechens, dann letztlich stets, um sich einer als zerrüttet empfundenen Welt mit dem hohen lyrischen Ton entgegenzustemmen. Das gilt keineswegs nur für die Kontrafakturen auf Hymne, Ode oder Stanze, mit denen der Band einsetzt. Wenn am Ende im Zyklus Material (schlachten) – dem Titel und dem Verfahren nach eine Weiterführung des Schlusskapitels aus wemut (1989) – eine poetische Summa gezogen und das Gesagte sogleich der Dekonstruktion überantwortet wird, dann stellt sich die ostentative Fülle der Techniken, Sprechweisen und aufgerufenen Diskurse umso emphatischer gegen den Schlussimperativ, der da heißt: „ALLES LÖSCHEN“. Der Linearität, die das Buch auf den eigenen Löschbefehl zuführt, steuert die Hölderlin Reparatur vehement entgegen, weil sie, bei aller Eigencharakteristik der einzelnen Kapitel, über deren Grenzen hinweg alles so eng vernetzt, dass das Prinzip der Relation an die Stelle der Abfolge tritt.
Auch darin ist das oben zitierte Motto programmatisch: Es ist eine Art sympathetische Schrift, die erst im (mehrmaligen) Rekurs, vom Inneren des Buchs her, lesbar wird. So wie Falkners Grundtechnik einer meist minimalen Manipulation am Wortkörper („Ornament und Versprechen“, „das Micht“, „Genus-s“) als Spracharbeit im engsten Sinn eine Potenzierung von Bedeutungsebenen bewirkt, schafft das Eingangsmotto ein Vakuum, das aus dem Band heraus permanent neu gefüllt wird. Der freie Raum, der die Worte aus Hölderlins „Palinodie“ in der Sattler-Ausgabe umgibt, wird zum Abbild der Leere, in die Falkner das (eigene) lyrische Sprechen gestellt sieht. „Lücke“, „Entgeisterung“, „fehlen“ und „verloren“ lauten die zentralen Vokabeln. Der elegische Ton gilt der fernen Geliebten, die natürlich immer wieder auch Sprache heißt. Verlust als umfassendes Lebensgefühl bestimmt den Band.
Auch das wird im Spiel mit der Textwiedergabe historisch-kritischer Ausgaben angedeutet. Wenn die Sattler-Edition Sprache als Material präsentiert und das handwerkliche Arbeiten des Lyrikers als akribische Anstrengung mit der Sprache offenlegt, entspricht das, so gesehen, genau dem Thema von Hölderlins „Palinodie“, das auch das der Hölderlin Reparatur wird: der Verlust aller Leichtigkeit, auch im Schreiben. Nicht zufällig hat Falkner Goethes „Erquickung“ im Zitat zur „Ent(b)ehrung“ verwandelt. Je mehr aber die Gedichte sich in diese Katerstimmung begeben, desto nachdrücklicher wird ihnen das Herbeisingen einer Epiphanie zum Programm (was auch immer man sich konkret darunter vorzustellen hat). Wo Hölderlins Satz im Indikativ steht, schafft Falkner einen komplett anderen syntaktischen Zusammenhang und transponiert die Vorlage in den Imperativ: Schauet, ihr Götter, vorbei und blühet!
Das ist die für diesen Band typische Verbindung aus Spiel und höchstem Pathos: fraglos raffiniert und innovativ in den Verfahren, aber auch auf einer etwas gewaltsamen Konstruktion aufgebaut. Falkners Erhabenheits-Ton rechtfertigt sich über die Negativfolie einer durch und durch kulturpessimistischen Diagnose. Eine völlig entleerte Welt und auch in der Sprache: Verflachung allenthalben. Man fragt sich dann doch: Muss die Lyrik zur eigenen Legitimation wirklich das Schreckgespenst einer vollkommen stumpf gewordenen Welt als Antithese aufbauen? Braucht sie gegenwärtig ein so forciertes Lamento von der Existenzbedrohung des Dichters, gar der Dichtung überhaupt? Es dürfte kaum im Sinne seines Verfassers sein, wenn man in Falkners Stoßseufzer „Wir aber, die Dichter / wir gehen stiften“ lediglich einen reizvollen Remix sehen wollte. Doch wie passt diese Klage zur Reichhaltigkeit der aktuellen Lyrikszene, mit der Falkner ja bestens vertraut ist?
Aber vielleicht noch einmal weg von solchen Grundsatzfragen. Es gibt ein paar Widersprüche in dem Buch, die sich auch nicht mit dem Verweis auf eine Poetik der Kollision und Durchkreuzung einholen lassen. Einer davon ist quasi unvermeidlich: Wer den Anspruch an die Dichtung derart hochhängt wie Falkner, muss, zumindest punktuell, fast zwangsläufig dahinter zurückfallen. Wo das in dem Aphorismen-Kapitel „(47) Sätze gegen die Unruhe“ geschieht (das „nur deshalb mehr als 47 Sätze“ enthält, „weil es einfach ein paar des Guten zuviel sind“), erliegt Falkner der Versuchung, ein paar Seitenhiebe an die Kollegen austeilen zu wollen. Heraus kommt dabei eher alltägliches Literaturbetriebsgeplänkel als ein Bonmot. Und auch der sonst überaus geistreichen Wortmutationen sind im Schlussabschnitt vielleicht „ein paar des Guten zuviel“, wenn es an den „kategorischen Himbeeraperitiv“ von „Immaculata Cunt“ geht.
Unverzichtbar für die editionsphilologische Fiktion ist hingegen die „Suchmaschine“ am Ende des Buchs. Sie ist Kommentar, Poetik, Primärtext in einem. Und sie ist Teil des Hase-und-Igel-Spiels, das Falkner gerne bei der Rezeption der eigenen Texte treibt. Es ist wohl auch in eigener Sache gesprochen, wenn Falkner dort unter dem Stichwort „Konzeptkunst“ eben diese gegen den Vorwurf des Elitären in Schutz nimmt. Ein gewisser elitärer Habitus schlägt in seinem Buch trotzdem immer wieder durch, auch eine latente Aggression gegen Dichtungsauffassungen, die sich einem Credo fürs höchste Register verweigern. Das vergällt einem manchmal den Spaß an der Lektüre. Um Spaß ist es Falkner in der Lyrik allerdings auch nie gegangen.
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Gerhard Falkner
Hölderlin Reparatur
Berlin Verlag 2008
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Gerhard Falkner wurde 1951 in Schwabach geboren.. Zu den wichtigsten Arbeiten zählen die Gedichtbände wemut, X-te Person Einzahl, Endogene Gedichte. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, etwa 1987 mit dem Bayerischen Staatsförderpreis und 2004 mit dem Schillerpreis. Kürzlich erhielt Gerhard Falkner den Peter-Huchel-Preis für seinen Gedichtband Hölderlin Reparatur.
Zur Huchelpreis-Rede
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Daniel Graf
Open Mike
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