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Die Eckbank

Die Eckbank, so höre ich unlängst ein schnippisches Frauenzimmer im Rundfunk verkünden, ist für mich der Inbegriff des Spießigen. Zack.1 Im Hintergrund hängt jenes allgemein bekannte konsummotivierende Gedudel, welches den Schnäppchenjäger gar nicht erst in die Versuchung kommen lassen soll, so anachronistische Gedanken zu denken, wie: Was tu’ ich hier eigentlich? Wann benutzt man in einer 1-Raum-Single-Wohnung eigentlich 6 Barhocker? Was fängt jemand ohne CD-Player mit 50 Klassik-Highlight-CDs an? Ist es wirklich ratsam, bei den derzeitigen Dollarkursen eine Plexiglasklobrille mit €-Scheinen zu füllen?
Schizophrenie als Volkskrankheit?
Von 5 Befragten antworteten am vergangenen Sonntag im Regionalfernsehen 4 auf die Frage: Was machen Sie sonntags am liebsten? Sie wären jeden Sonntag im Wald oder im Stadtpark, auf jeden Fall allein und in ruhiger Umgebung. Während sie diese Antworten geben stehen sie im dicksten Getümmel des verkaufsoffenen Sonntag der Berliner Kaufhäuser.
Was aber tun Sie dann hier? Reporter des anachronistischen Typs neigen zu solchen Sätzen. Ich weiß auch nicht, antwortete es einheitlich. Nur der fünfte entging dem spitzfindigen Nachfragen, indem er gleich zur Antwort gab, er wisse nicht, was er am Sonntag am liebsten täte.
Doch wir verlieren ja die Eckbank aus den Augen. Da die schnippische Antwort offensichtlich nicht dem Anliegen der Sendung entsprach, folgten weitere Auskünfte. Durch die Bank, Mann ist versucht, durch die Eckbank zu schreiben, atmeten alle Antworten eine gewisse Beliebigkeit, wenn auch nicht diese schnippische Beliebigkeit jener Schnippischen. Nur eine der Damen … es waren übrigens erstaunlich viele Damen, die sich da zur Eckbank äußerten. Wie kommt das? Besuchen Männer keine Möbelkaufhäuser? Denken sie zuwenig über Eckbänke nach, haben sie möglicherweise ein eher indifferentes Verhältnis zu Eckbänken? Oder sind Männer einfach diskreter, wenn es um die Veröffentlichung von Leidenschaften geht?
Doch um diesen unfertigen Satz von eben zu vervollständigen, nur eine der Damen machte sich die Mühe, eine Aufzählung all der Gegenstände zu versuchen, die sich in den Kästen unter den Sitzflächen einer Eckbank unterbringen lassen. Wer nie das Glück hatte, Nutznießer aller Vorteile zu sein, die der Besitz einer Eckbank mit sich bringt, der wird überrascht sein, ob der Möglichkeiten. Soviel sei schon mal verraten.
Gut sieben Minuten habe ich darüber nachgedacht, ob es geraten ist, dieses Insiderwissen hier weiterzugeben. Nach reiflichem Überlegen habe ich mich dann entgegen aller Argumente, die für ein diskretes Verschweigen sprechen, entschlossen, dies zu tun. Ich hoffe inständig, daß dieser Aufsatz weder Kindern, noch anderen Personen mit labilem Charakter in die Hände fallen wird. Meine Großmutter, eine lebenserfahrene Frau, nicht so leicht zu erschüttern und nicht ohne Verständnis für die Unvollkommenheiten menschlichen Wollen & Seins, gab mir nichtsdestrotz einmal die Auskunft, ich dürfe zwar alles essen, doch nicht alles wissen. Wenn ich mich recht erinnere, war ich damals in dem noch unschuldigen Alter von fünf Jahren und meine diesbezügliche Frage bezog sich auf die menschliche Fortpflanzung.
Nun gut. Ich war gerade dabei, der Versuchung nachzugeben, hier weiterzuerzählen, was unlängst den Hörern des Hessischen Hausfrauenfunks unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurde.
Besagte Eckbankliebhaberin, denn um eine solche handelte es sich unüberhörbar, hatte das große Glück, bereits in der Küche der elterlichen Wohnung eine Eckbank vorzufinden. Schickes 5ziger-Jahre-Design: Beinchen wie angespitzte Besenstiele mit Messingmanschetten am unteren Ende, Schpählackart (keine Ahnung, welche Schreibweise sich in Mannheim durchgesetzt hat - sie zumindest sprach es so aus, als mache ihr dies weiter keine Kopfschmerzen), von der Farbe altbackenden Schnees, garniert mit Eisenfeilspänen, lud zum Verweilen ein und vervielfachte unterdessen das lustlose Funzeln der 90-Watt-Glühbirne unter der Küchendecke. Die Eltern, so die noch vierzig Jahre später fassungsloses Eckbankspezialistin, hatten nie bemerkt, daß sich die Sitzflächen hochklappen ließen, um die darunter befindlichen Aufbewahrungsfächer zugänglich zu machen. Ich hatte es sofort gesehen, kichert es aus dem Lautsprecher. Keine Wunder dachte ich, so was sehen Kinder meistens sofort. Erwachsene scheinen irgendwie zu blöd zum Bücken zu sein. Ich war höchstens fünf, als das Ding geliefert wurde, im Stande der Unschuld, wie man damals sagte,2 doch daß ich es ihnen ganz sicher nicht verraten würde, daß sich unter den Sitzen Fächer befinden, das wußte ich sofort.
Nach einigem von dem bereits erwähnten Gedudel wieder Gekicher. Wenn ich daran denke, mit welcher Verbissenheit meine Mutter all die Jahre über wieder und wieder mein Zimmer durchsucht haben muß, während ich in der Schule war … ein Blick unter die Sitze der Eckbank in der Küche … Wieder Gekicher.
Töchter und ihre Mütter! Bzw. Mütter und ihre Töchter! Was für ein Thema! Psychoanalytiker müßte Mann sein … Hausautor des Suhrkamp-Verlag …
Am Anfang hatte ich nur die Einzelteile meiner Barbie-Puppe darin liegen … sozusagen als Test … später kam dann das ausgetrocknete Frühstücksbrot, das ich aus der Schule wieder mitbrachte, dazu … mein Vater ist wieder und wieder auf allen Vieren durch die Küche gekrochen, auf der Suche nach toten Mäusen unter dem Küchenschrank oder hinter dem Herd … konnte sich einfach nicht erklären, wo dieser muffige Geruch herkommt … dreimal an manchen Tagen zum Müll und danach den Eimer ausgeseift, bis man daraus hätte essen können … vergebens! Gekicher. Rattennest, hat er immer geschimpft …Wollte immer, daß sie sich ´ne andere Wohnung suchen … eine, die nicht stinkt, in `nem besseren Viertel … doch die Wohnung war billig, so daß meine Mutter sich immer wieder durchsetzte … Hat die Verzweiflung mit ins Grab genommen… Als ich größer war … dreizehn … vierzehn … Liebesbriefe, Pornoheftchen … mein Gott, waren das harmlose Dingerchen … wahrscheinlich kriegen Sie heut’ schon in jeder Kinderbücherei härtere Sachen … doch meine Mutter bekam ja schon ´nen Anfall, wenn mir meine Tante die neueste BRAVO mitbrachte … Zigaretten … Kondome … Henry Millers Stille Tage … mein erster Massagestab … hatte manchmal erst Tage später Gelegenheit, ihn sauber zu machen … das hat vielleicht gedampft … meine Mutter dachte, ich wechsele meine Schlüpfer zu selten, brachte sie eigenhändig abends in die Wäsche und legte dafür frische hin, doch der Fischgeruch blieb in der Küche … Monatsbinden lagen oft wochenlang unter den Sitzen … keine Ahnung, warum … Pubertät? … die Unterhose eines Jungen aus der Nachbarschaft lag einmal drei Tage zwischen all dem anderen … er kam jeden Nachmittag zum „helfen bei den Hausaufgaben“ … wir hatten dann die Küche für wenigstens zwei Stunden für uns … einmal aber klingelte das Telephon, das auch in der Küche stand … er hat’s grad noch so geschafft, sich die Blue Jeans wieder anzuziehen … die Unterhose verschwand unter dem Sitz … die sah vielleicht aus … mein lieber Mann … irgendwie waren wir damals nicht so empfindlich … die Brieftasche meines Vaters … nachdem er die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt hatte … besser gesagt, fast die ganze Wohnung … war für ihn klar, daß sie ihm im Bus geklaut worden war … ich ging damals mit einem, auf den alle scharf waren … da mußte schon was geboten werden, und was zu bieten, war schon immer ´n teures Hobby … na ja, als das Geld alle war, war's auch wieder vorbei … Mein Gott, ist das alles lange her. Wieder Gekicher. Hintergrundgedudel. Na, was soll’s. Schniefen. An die Tür zu Früher sollte man ´n Schild hängen … Eindringlinge werden erschossen. Überlebende verfolgt.
Ich kann mir denken, was Ihnen durch den Kopf geht. Vermutlich etwas in der Art, wie: der Mann ist ganz schön weltfremd. Doch, was soll ich dagegen tun? Das Fernsehprogramm bekomme ich nur mit, wenn „die Sterne ungünstig stehen“. Wie eben unlängst, als ich im Wohnzimmer zu tun hatte. Das Haltbarkeitsdatum vom Whisky lief am nächsten Tag ab, also hatte ich mich erbarmt und trank ihn aus, bevor er verdarb. Hätte ich da nun meine Frau bitten sollen, den Apparat solange auszumachen?
Mit dem Rundfunkprogramm verhält es sich so ähnlich. Mittwochs kann ich bis um 10 schlafen, etwas, das ich auch mit Inbrunst tue, stehe ich doch an allen anderen Tagen um halb vier in der Frühe auf. Dann aber weckt mich die Radiouhr. Die aber ist nun mal so eingestellt, daß sie den Hessischen Rundfunk empfängt, der jedoch sendet um diese Zeit Feature. So wie eben neulich über die Eckbank.
Doch trösten Sie sich, ich habe bereits im DAMPFRADIO für die kommende Woche nachgesehen - nächsten Mittwoch geht’s um den NIERENTISCH.


1. Wieder einmal meldete sich der kleinbürgerliche Selbsthaß zu Worte. Der Theodor Lessing, der sich dieses Phänomens annehmen wird, muß vermutlich erst noch geboren werden.

2. Nebenbei: ein Abdullativ reinsten Wassers

©   Frank-Wolf Matthies - Aus: Geisterbahn III

Frank-Wolf Matthies          

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