POETENLADEN - neue Literatur im Netz - Home
 
 
 
 
 
 
 
Gerald Stern
Der Hund

 

Ich weiß nicht, was ich eigentlich
mit gefletschten Zähnen dort am Straßenrand tat,
ich weiß nicht, warum ich neben dem Gully lag,
damit der Freund toter Dinge zurückkommen
konnte, den Stift gespitzt, mit weißem Papier.
Ich habe dort gute zwei Stunden gelegen, Elegien
gepfiffen, ein wenig gekreischt und mit
meinem Winseln Herzen entsetzt, ehe ich
ein Bein anzog, starb und erstarrte.
Das ist unser Anblick: das Schnauzhaar
in die Luft gezwirbelt, der Bauch mitten
in der Gier gestoppt. Der Freund toter Dinge
bückt sich, berührt mich, seine Hand zittert. Ich weiß,
sein Mund steht offen, seine Brille rutscht.
Ich stelle mir vor, sein Bleistift zuckt, und die Furcht
vor dem Geruch – vor dem Anblick – überwältigt ihn;
Er hat diesen entsetzten Blick in die Ferne, den der
Tod mit sich bringt – er denkt nach. Er sollte einmal
meine Stirn berühren und meine Schnauze streicheln,
ehe er mich hebt und in den Straßengraben
wirft. Ich hoffe, dass er nicht die Schuhe nimmt,
aus Angst, mich zu berühren; ich kenne –
besser: ich kannte – das Gras dort unten; ich kannte
sicher hundert Düfte. Ich hoffe, das Hündische
überwältigt ihn nicht, ein schneller Stoß –
wenn überhaupt – und der Kopf ist frei für etwas
anderes an seiner Stelle. Großes Herz, großes
Menschenherz, liebe mich, während Du mich hebst,
gib mir deine Tränen, liebender Fremder, vergiss
den Tod der Hunde nicht, vergib ihnen das Kläffen,
vergib ihnen das Scheißen, hab Erbarmen, auch mit mir.
Gibt es je genug davon? Ich habe dafür
mein Leben gegeben, Gefühle waren mein Ruin, oh Geliebter,
ich habe meine Wildheit eingetauscht für kleine Tricks
mit Schnauze, Tatze, Schwanz, mit meiner Papageienzunge,
ich bin ein Wildpferd, ich bin ein Löwe,
ich warte auf Belohnung, ich schnappe mit den Zähnen –
wie du mich gelehrt hast, oh Ferner, Strahlender, Einsamer.

Aus: Gerald Stern: Alles brennt. Matthes & Seitz 2010

Gerald Stern    11.03.2010
 

Gerald Stern
Lyrik