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Katharina Hartwell
Die nächste Runde
Punkt zwölf.
Sagst du, wirst du da sein.
Ich weiß: da sein wirst du vielleicht, sicher nicht um zwölf. Seitdem wir uns kennen, wir kennen uns lange, lässt du mich warten, magst gerne, zu wissen: irgendwo hänge ich in der Luft, komme nicht zu Boden
ohne dich.
Da bin ich trotzdem schon, nicht erst um zwölf, früher noch, eine halbe Stunde, länger vielleicht.
Ich warte so gerne auf dich.

Über den Sommer im Jahr davor will ich sagen: Das war der heißeste seit langem. Dann kommt zurück zu mir: Der Sommer war nicht heiß; lauwarme Enttäuschungen, jeden Tag eine. Der Sommer, das war: Nasenbluten so oft, warten auf die Hitze, die nicht kommt. Einmal fuhren wir an den See, weil du das so wolltest. Vorher hatte ich gesagt:
Lass uns zu Hause bleiben. Es regnet bestimmt.
Wir stritten. Oder vielleicht strittest du und ich hielt aus, am Ende fuhren wir doch. Als es anfing zu regnen, wollte ich aufstehen, dachte, wir packen, fahren zurück und reden nicht mehr darüber. Aber wir mussten bleiben. Die einzigen am See, im Regen sitzend, weil du nicht aushalten kannst, wenn ich Recht habe und du nicht.

Dieser Sommer wird anders, weiß ich. Es ist sehr heiß.
Du fragst, ob ich geweint habe, bevor ich antworten kann, fragst du weiter, du fragst:
Warum? Was gibt es da zu weinen?
Ich sage, dass ich dachte, du würdest nicht kommen.
In dem Brunnen sind Kinder und weil du Kinder nicht aushalten kannst, müssen wir weiter gehen, sobald du da bist.
Es sind die Kinder gewesen, die im Brunnen gespielt haben, sie rennen immer nur im Kreis, sie jagen sich und kommen nie an. Im Rennen haben sie mit Wasser gespritzt, du hast die Tropfen gesehen, neben, unter meinen Augen. Weil ich aber weiß, dass du es magst, mich weinen zu sehen, sage ich nichts von den Kindern.

Im Sommer zuvor waren wir viel mit deinem Auto unterwegs. Der TÜV war abgelaufen, aber du fuhrst trotzdem, weil, das sagtest du, das sowieso keiner merkst und überhaupt, du gut Auto fahren kannst. Da passiert schon nichts.
Der Unfall dann war meine Schuld, weil ich soviel und andauernd reden musste. Das lenkt dich ab. Nach dem Unfall gab es wieder einen Streit und dann war das mit dem See und nach dem See wusste ich zum ersten Mal: Hier geht es nicht weiter.
Aber bevor es wirklich nicht mehr ging, nicht weiter und auch sonst nirgendwohin, fiel ich die Treppe hinunter.

Wir gehen durch die Straßen und du hast mich gefragt, was ich bisher den Sommer über gemacht habe.
Nichts, sage ich. Weil ich weiß, dass du die Vorstellung nicht magst, dass ich ohne dich irgendetwas mache. Bloß so rumgehangen, sage ich dann noch, weil ich dich glücklich sehen will.
Wir kommen zu einer Kreuzung und ich biege nach rechts, ohne nachzudenken, weil ich diesen Weg immer gehe. Das aber ist nicht deine Richtung, darum nimmst du meinen Arm, ziehst mich zu dir, drückst fest zu, morgen werde ich die Abdrücke auf meinem Unterarm sehen können.
Was mich an früher erinnert.

Das erste Mal, da war es so:
Getrunken hatten wir beide. Da ließ ich meine Zunge von der Leine. Du musstest mich daran erinnern, dass wir Regeln haben. Wenn wir vergessen uns daran zu halten, fallen wir auseinander, nichts macht mehr Sinn, dann. Die Regeln sind alle Dinge, die man nicht tun darf. Viele haben mit der Liebe zu tun, was man nicht sagen, was man nicht fragen darf. Die Liebe braucht die meisten Regeln, braucht ein Regelkorsett, damit sie nicht aus der Form wuchert.
Wenn ich die Regeln vergesse, erinnerst du mich.

Bald beginnt der Herbst, du fragst:
Und jetzt bist du wieder hier? Jetzt bleibst du?
Ich nicke und weiß, eine der neuen Regeln hat mit dem Zufall zu tun. Am Ende der Straße steht zufällig dein neues Auto und wir steigen ein, als wäre es ein Unfall. Ein Teil dieses Autos gehört vielleicht mir, denke ich. Nach dem Unfall musste ich dir Geld geben, den Unfall immerhin hatte ich verursacht. Du hältst mir die Tür nicht auf. Kein Zufall, sondern Absicht, die Tür aufhalten, das tust du nur für Mädchen. Regel.
Wir fahren zu dir nach Hause. Du wohnst immer noch unter dem Dach. Ich kenne deine Wohnung gut. Sie hat viele Ecken und Kanten, ich habe mich dort oft gestoßen.
Die Treppe.

In dem Sommer, nach dem See, nach dem Autounfall, vor dem Weggehen, da fiel ich die Treppe hinunter. Ich hatte etwas vergessen, das war: Dich küssen darf ich hinter der Tür, nie aber davor. Zur besseren Erinnerung, damit mir das nicht wieder passiert, hattest du mir einen kleinen Stoß geben wollen.
Danach hast du gesagt:
Irgendwas stimmt da doch nicht.
Mit deinem Gleichgewichtssinn.
Da wusste ich, dass ich gehen würde, und dachte, dass auch du dich diesmal wundertest. Über dich selbst, nicht über meinen Gleichgewichtssinn.
Du schautest mir zu beim Gehen. Sagtest nichts mehr. Nicktest bloß, so als wüssten wir beide, es ist wohl besser so.

Wir stehen in deiner Wohnung, draußen regnet es, denn dieser Sommer ist vielleicht doch nicht besser als der letzte. Du stehst so dicht vor mir, dass ich gegen die Tür hinter mir gedrückt werde. Der Türgriff bohrt sich mir in den Rücken, aber ich sage nichts. Du fragst:
Und warum bist du wieder hier?
Ich zucke mit den Achseln, als wüsste ich nicht warum.
Dabei wissen wir beide, es ist für die nächste Runde.

 

Katharina Hartwell    23.08.2007  

Katharina Hartwell
Prosa