Katharina Hartwell
Über Iva
Neben mir Iva.
Die sonst am Tisch gegenüber sitzt. Heute aber nicht, kein Platz mehr für sie, darum kommt sie hierher. Fragt: Ist der noch frei? (Meint: den Stuhl neben mir.)
Ich antworte: Ja. Denn frei ist der, lange schon.
Hat viel Ahnung, Iva, nicht unbedingt von Hegel, nicht unbedingt von Kant, aber viel von allem anderen. Kann mir die Welt erklären, wenn ich gut zuhöre, kann es nicht leiden, wenn ich nicht zuhöre, merkt, wenn ich anfange mit den Bändeln meines Anoraks zu spielen, weist mich zurecht: Hörst du jetzt zu, oder nicht?
Dann höre ich zu.
Weil es sich so gehört, weil sie es so erwartet (schlägt es selbst vor, überlässt nichts dem Zufall), führe ich sie aus. Iva.
Ich finde für sie eine Katastrophe, da ist sie Besseres gewöhnt, hält nichts von dem Café, wäre lieber in ein richtiges Restaurant gegangen, erkundigt sich: Für mehr hat's nicht gereicht?
Küssen darf man trotzdem. Anderes hat schon mehr Spaß gemacht.
Iva wohnt in einer WG, nach zwei Wochen nimmt sie mich mit, zeigt mir die Zimmer, außer ihr wohnt da nur einer, das ist Jasper. Das, finde ich, gilt nicht. Das finde ich, erkläre ich ihr, ist keine WG, wenn man da mit dem eigenen Bruder wohnt und wer bezahlt das? Die Eltern. Da lässt sich Iva nichts vormachen, sagt: Klar und überhaupt, was weißt du schon von WGs?
Iva gibt viel auf ihr Haar. Spielt gerne damit, trägt es zur Schau und schönes Haar ist es. Flechten kann sie es, und hochbinden. Kunst liegt in diesem Haar.
Jasper macht Gesichter, wenn sie mit dem Haar spielt. Rollt die Augen, wenn sie redet über Kant (über den sie doch nichts weiß, Jasper aber schon, still Iva!). Ich helfe ihr bei den Hausarbeiten. Bist ja doch für was gut, entdeckt sie. Wir sitzen in der Küche, nimmt mich nicht gerne mit in ihr Zimmer, was sollen wir da?, und außerdem kann man nur auf dem Bett sitzen, das muss nicht sein, mit mir zusammen auf einem Bett sitzen. Da stimme ich ihr zu.
In der Küche ist es kalt, ist das Fenster immer offen, denn Jasper raucht, das kann Iva nicht leiden, den Geruch, den Gestank, sagt sie: Irgendwann hast du ganz gelbe Fingernägel und Zähne, warte mal ab. Da lacht Jasper, der gibt nicht viel auf Fingernägel, nicht viel auf weiße Zähne. Und wenn? Lehnt am Fenster, Zigarette in der Hand. Isst nie, Jasper, geht in die Küche zum Rauchen nur und vielleicht, uns dabei zuzusehen, wie wir sitzen, über Kant reden. Beobachtet wie: Iva mir zuhört, so tut vielleicht oder tatsächlich, sich konzentrieren muss, in erster Linie aber auf das Haar und was man damit machen kann, während ich das sage: Transzendenz.
Blabla, sagt Iva. Lacht. Spielt mit dem Haar.
Da schaue ich nicht hin; merkt sie nicht, dass ich nicht auf das Haar sehe, sondern hindurch? Vorbei an: Goldsträhnen, wie stolz man darauf sein kann, wer braucht Kant, der solches Haar hat? Hinter dem Haar: Jasper im Fensterrahmen, Rauch gemacht aus: Jasper.
Hat die schönsten Knochen, Jasper. Gerne würde ich die streicheln. Füttern verboten. Am schönsten das Becken, und wie das hervorsteht, über Hosenstoff. Soviel Knochen, so wenig Haut, blass und dünn, ob die zerreißt, wenn man sie anfasst?
Ich ziehe in Ivas Küche. Komme und bringe Kant mit, als Vorwand, damit sie mich hineinlässt. Iva denkt und weiß, lässt Jasper wissen: Der kommt nur wegen dem Goldhaar. Weiß nicht: Ich komme wegen der Knochen, der spitzen, der schönen. Würde anfangen zu rauchen.
Iva lässt mich auf ihrem Bett sitzen. Will nicht hier sein, will noch weniger wieder weggeschickt werden, spiele mit ihrem Haar, fasse das an, wie weich das ist, wie sich das biegen lässt. Was macht man damit? Formen, durch die Finger gleiten lassen.
Dann bleibe ich über Nacht, ohne Kant. Der muss draußen bleiben. Am Morgen frühstücken wir zu dritt. Nicht Iva, Kant und ich. Iva, Jasper und ich und auch das stimmt nicht, Iva und ich frühstücken, Jasper, der glaubt nicht an Essen, hängt sich ins Fenster, lacht uns aus.
Nach Kant, kommt Foucault, der ist nicht besser. Den darf ich auch mitbringen, vor Iva auf den Tisch legen, dann seziere ich ihn, sie schaut zu, kämmt das Haar.
Wir gehen zu dritt weg. Tanzen vielleicht oder ins Kino. Wenn ich zwischen denen sitze, Iva und Jasper, die eine Hand halte, stelle ich mir vor: es wäre die andere. So viele Filme und ich habe keinen davon gesehen.
Jasper bringt niemanden mit, nie. Tut der was anderes als rauchen und lesen?, frage ich Iva, die Fragen nicht leiden kann, nicht über Kant, Foucault oder Jasper. Auf Dauer wird es langweilig über Ivas Haar zu sprechen. Weil wir uns nichts mehr zu sagen haben und sie glaubt, sie lässt das mit der Philosophie und was bringt das, immer nur reden, reden, reden und wozu soll man sowas machen, weil sie das denkt, komme ich nicht mehr oft und irgendwann fast gar nicht mehr. Kann gut schlafen im eigenen Bett.
Im Flur küsse ich Jasper, einmal nur, der beißt mir in die Unterlippe. Es blutet. Schmeckt gut. Nicht gut genug aber, damit ich es noch einmal versuche. Gehe und lasse die zurück, Iva im Haar und Jasper im Rauch.
Denke noch manchmal an Jaspers Knochen, wie das war, die anzufassen mit beiden Händen, im Flur gegen die Wand gedrückt, Rauch in der Nase, Blut im Mund. Und wie das war Jasper zu finden über Iva.
Katharina Hartwell 23.08.2007
|
Katharina Hartwell
Prosa
|