Großvater
Großvater, du schläfst im Schatten
unter den Birken
die Blätter rauschen tief
Vater, du nimmst Zweige für die Besen
ein Krächzen geht durch den Garten
die Spatzen fliegen fort
ich schnitze Waffen neben dem Rasen
die Schweizer Armee kämpft mit Taschenmessern
die Späne sind weiß
Großvater, du erzählst mir Geschichten
von Tell und Gessler in einer Gasse
auch unsere Pfeile fliegen
Tell rettet später ein Kind
aus den Wogen des wilden Bergbaches
er selber ertrinkt
Großvater, ich schlafe im Schatten
unter den Birken
deine Geschichten rauschen so tief
Großvater, lass uns
um den Müliberg laufen
deine Geschichten und das
Knacken des Waldes
Wiegenlieder
Tell ist ein alter Mann
als er ein kleines Kind aus den
Wogen des wilden Bergbaches
rettet / er selber ertrinkt
meine Späne fliegen deshalb
u. wenn ich Pfeilbogen schnitze
kämpft die Schweizer Armee mit
Taschenmessern
nun sind wir älter
du und ich
u. über dem Müliberg
sitzen unter den Birken
und essen Fleisch vom Grill
mit den Ästen bindest du Besen
und wischst Wiegenlieder
schon seit Jahren
da bin ich längst fort
wenn ich herumreise
spiele ich deine Jugendjahre
und denke manchmal an Lindau:
weiß liegt es in der Ebene
Großvater, du hast dir
dein Haus gebaut
Großvater
wieder Weihnachten
die Birken vor deinem Haus
seit Jahren gefällt
letzten Sommer ist nun doch
Gras über der Stelle gewachsen
du sitzt auf dem Sofa
es ist so alt wie die Birken
fünfzig Jahre / du schläfst
auf dem Sofa, daneben die Ablage
Bücher über den Zweiten
Weltkrieg und die Schweizer Armee
ein Radio für die Nachrichten im DRS1
und deine Tropfen für
Herz und Kreislauf
später sage ich
pflanz doch wieder einen Baum
am besten schon bald
im Frühling
einen kleinen nur
der wirft wenig Laub ab und gibt
nicht viel Arbeit
ich sage
eine Linde vielleicht
denn die Form der Krone
entspricht der Form eines Blattes
ein Herz umgedreht
es ist inzwischen dunkel geworden
die Kerzen brennen gleich
Großvater, du stöhnst
du sagst Bäume
setzt man im
Herbst
Roman Graf