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Peter Wawerzinek

Das Desinteresse

Lyrisches Lebensziel

Der Hallenser Dichter „Matthias“ BAADER Holst

Kritik
Peter Wawerzinek: Das Desinteresse   Peter Wawerzinek
Das Desinteresse.
Festschrift für einen Freund
Hasenverlag Halle 2010
126 Seiten, 12,80 Euro


Er war auf der Suche nach einem „Dichter mit Mumm“, nach einem Freund, der „bereit war, alles zu geben und neben sich den anderen Dichter zu erdulden.“ Peter Wawerzinek, an dem sich der Literaturbetrieb regelmäßig die Zunge zerbricht (dabei ist es ganz einfach, er spricht sich, wie er sich schreibt: Wa-wer-zi-nek), findet BAADER, dem der gleiche Literaturbetrieb DAS DESINTERESSE entgegenbrachte, das der Autor zum Titel seines Buches machte. Das Desinteresse währt über den Tod des Freundes hinaus, denn „Matthias“ BAADER Holst starb in der Nacht zur Währungs­union am 30. Juni 1990, also vor 20 Jahren. Diesem Anlass widmet die Stadt Halle, in der BAADER lebte und litt, eine Ausstellung. Und Wawerzinek schrieb eine Festschrift auf den Freund.
  Sie liest sich, wie die schönsten Texte Wawerzineks, gleich einem Atemzug, das Pochen des Pulses als Motor. Der Autor unternimmt mit diesem Text den Versuch das Phänomen Freundschaft zu untersuchen. Das wird unweigerlich zum Selbstversuch.
  BAADER – der seinen Vornamen Matthias in Anführungsstrichen schrieb und sich selbst den Namen Baader in Versalien hinzufügte, nach Andreas Baader (RAF) und dem dadaistischen Dichter Johannes Baader – war ein schwieriger Freund. Ein Freund, von dessen Sein Wawerzinek zunächst abgestoßen ist, der ihm den eigenen Lebensrhythmus aufzwingt, der seine Wohnungen – naja – bewohnt, seine Vorräte auffrisst und schließ­lich wie ein Parasit sein Leben besetzt. Wawerzinek schont sich nicht. Doch selbst 20 Jahre nach dem Tod des Freundes ist diese Freund­schaft da, unter Verlust weiter­gelebt, mit Texten und Erin­nerungen an „die Tage der Gemeinschaft“.
  Es fing damit an, dass Wawerzinek 1988 nach Halle reist und BAADER in dessen Bude aufsucht, wo die Fenster geschlossen und verhängt sind: „Man hat hier wohl Angst, die besten Gedanken könnten Flucht ergreifen?“ In fünf gemeinsam verbrachten Tagen und Nächten redet BAADER, er führt eine Modenschau-Maskerade vor, der Chronist verliert das Zeitgefühl: „In BAADERs Räumen besteht keine Möglichkeit, herauszufinden, in welchem Jahrhundert wir leben.“
  Wawerzinek, der sich sc.Happy nennt, das Kind der Ostsee, versucht BAADER nach Berlin zu „lotsen“. Und schafft es schließlich. Es werden beider beste Jahre: „im Hirn ist Rummel“, so Wawerzinek. Selbst in Berlin fällt der unan­gepasste BAADER auf. Mit seiner eigenwilligen Kleidung, er trägt Jacke oder Mantel direkt über dem nackten Oberkörper, irre Brillen, einen halben Ball als Kopf­bedeckung und er rasierte sich nicht nur den Kopf, sondern auch – damals einmalig – die Brauen. Die Berliner Punks sind bass erstaunt, auch die Ordnungs­hüter, denen er unweigerlich in die Arme läuft, nach durchtrunkener Nacht. Angehalten wegen „Überan­gezogenheit“. BAADER, der Dichter, notiert das überraschend poetische Wort auf einem Schnipsel. Ob das die Polizisten beeindruckt oder der Fakt, dass dieser Überangezogene keine Angst vor ihnen zeigt, so dass sie Angst vor ihm bekommen – sie lassen ihn gehen. Die Ost­berliner Literatur­szene, die sich bekanntermaßen Ende der 80er Jahre im Prenzlauer Berg konzentrierte, zeigt dem Unange­passten die kalte Schulter – DAS DESINTERESSE.
  Die Freunde ziehen dann los in die Provinz, nach Norden, nach Süden, dahin, wo man sie erleben will. Seine Texte stets auswendig schreiend, röhrend, sich dabei auf den Boden werfend BAADER. Singend und seine Texte von losen Blättern schmetternd sc.Happy: „Wir fraßen uns in die Hirne des Publikums“. Die langgliedrige Spinne und die gedrungene Zikade. Ein wunderliches Dichterpaar, das zwei Jahre gemeinsam auf viel Alkohol durch die Republik floss.
  Diese Freundschaft verlangt Opfer. Sc.Happy wird von seiner Frau vor die Tür gesetzt. Obendrein bekommt er Brühe von seinem Freund ins Gesicht, dieser kippt daraufhin zur Selbstbestrafung sich selbst eine heiße Tasse über den kahlen Schädel. Wer sagt, dass Freunde freundlich zueinander sind. Im Prinzip lieb? Das Buch zeigt, Freundschaft ist auch Schmerz, besonders, wenn einer übrigbleibt, nach der Kollision des anderen mit einer Berliner Straßenbahn. Der übriggebliebene Freundesteil fragt sich, ob der andere noch leben würde, hätte er ihn nicht nach Berlin „gelotst“. – Auch in Halle gibt es Straßenbahnen, die sogar, wie Wawerzinek 2009 sieht, in die „Frohe Zukunft“ fahren…
  In diesem Buch wird eine Freundschaft bis aufs Skelett abgeklopft, in einer Sprache, die den Leser mit Lust und Neid erfüllt, weil er entdeckt, dass er eine solche Freundschaft schon immer schmerzhaft entbehrt, vielleicht.
  Wer sc.Happy live erlebt hat, weiß, dass er singt. Nicht schön im landläufigen Sinn, sondern mit Kraft und Sendungsbewusstein. Dieses Buch ist ein Gesang, eine Sendung an unsere geheimen Wünsche, nach Nähe, nach einer Spinne, die einen versteht. Es wird die erreichen, denen das Desinteresse des Literaturbetriebs WURST ist: „Geldanhäufen ist kein lyrisches Lebensziel“ schreibt Peter Wa-wer-zi-nek.
Simone Trieder   24.06.2010   
Simone Trieder
Prosa
Reportage