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Tom Schilling

Tom Schilling
geboren 1968. Grafiker, Art Direktor in verschiedenen Agenturen. Schreibt Prosa, Lyrik und Kürzestprosa, Essays, Rezensionen. Lebt und arbeitet in Chemnitz, Berlin, in Weimar und in der Schweiz. Seit 2003 freier Autor und Drehbuchautor. Debütpreis Prosa 2006 des Poetenladens.
 
Tom Schilling | Website

Debütpreis für Tom Schilling

Annäherung ans Unfassbare

Tom Schillings Geschichte ist der Versuch, dem Vergessenen nachzugehen und einen Menschen lebendig werden zu lassen, der aus seiner Wohnung, seiner Nachbarschaft und aus dem Leben verschwand. Was weiß man noch von ihm? Er habe einen Namen mit itzky am Ende gehabt.

Der Erzähler nähert sich der Person, indem er die Begebenheiten gleichsam filmisch von hinten aufrollt – bis hin zu den entscheidenden Stunden des Opfers. Dabei greift er verschiedene Blickrichtungen auf, um seiner Vorstellungen Substanz zu geben: Blickt auf das Wohnhaus, das inzwischen abgerissen ist. Fängt die Perspektive der ängstlich am Türspion verharrenden Mieter ein, sucht den Blick auf das Türschild des Mannes, der da abgeholt wird. An einem Morgen – die Kastanien beginnen zu knospen – im März 1943.

Sein narrativer Count-down führt den Erzähler bis in die Wohnung des Jacob Czernitzky. Hier sehen wir die spartanische Einrichtung: „... ein Wandschrank, auf dem ein paar Bücher stehen eine Kommode, sie mag aus den 20er Jahren stammen, vielleicht ein Erbstück; (...) In der Mitte ein Tisch. Daran setzt sich der Jakob.“

„Ich stelle mir das so vor“, schreibt der Erzähler einmal, allerdings gelingt ihm mehr als das. Er gibt seiner Vorstellung eine glaubhafte Struktur und lässt den Prozess des Imaginierens zur Geschichte werden, zu einer sensiblen, behutsamen Geschichte, erzählt in einer ruhigen und genauen Sprache, die sich ganz in den Dienst des zu Erzählenden stellt. Keine einfache Geschichte, aber eine, die man mehrmals mit Gewinn lesen kann. Sie berührt, weil sie sich auf einen individuellen Ausschnitt des Unfassbaren konzentriert. Sie überzeugt, weil sich hier jemand mit außerordentlichem Respekt vor der Figur eines Themas annimmt, das schwerer als jedes andere zu behandeln ist.

Jury Debütpreis online, Oktober 2006

Tom Schilling
Prosa