Trapi trapu
Tropen, Garten, Mondenschein.
Eine Party.
„Abschied nehmen ist nie leicht“, wirft Marie ganz leicht in die Runde.
Der Saxophonspieler unterstreicht ihren Satz mit einem langgezogenen Jammerton.
Die Leute nicken, nehmen erneut vom Salat und sind in Gedanken bei ihren Gedanken.
„Was leicht ist, ist nichts wert“, wirft sie hinterher, mitten in die Buttersoße - aber so leise, dass der kleine Platsch untergeht im Schmelz der Musik.
Egal, denkt Marie.
Sie schiebt ihre nackten Füße durch das Gras, streift dabei ihre Schuhe, die unter dem Tisch stehen, und genießt das Pieksen der frisch gekürzten Grashalme.
„Nicht jede Wiese ist weich“, sagt sie.
„Wie bitte?“, fragt die Frau rechts neben ihr. Sie lächelt, ein bisschen Mayonnaise klebt im Mundwinkel und Marie mag sie eigentlich gut leiden. Beverly heißt sie und so sieht sie auch aus. Aber jetzt lehnt Marie sich zurück und wirft einen Blick auf Beverlys Füße. Gepflegte Zehen in einer reizenden Sandalette schicken lackierte Grüße zur Tischkante hoch.
“Schon gut“, sagt Marie und lächelt.
Sie greift zu ihrem Besteck und spießt den rohen Fisch auf. Rosafarben ist er mit leicht grauen Rändern. Marie tunkt ihn in das kleine Töpfchen mit der Soße und dem Meerettich. Braune Soße und grüner Meerettich. Sie schließt die Augen und schiebt den Fisch in den Mund. Kaut. Schluckt. Wartet auf die Sensation, sich etwas Unverdorbenes einzuverleiben.
Wartet.
Sie öffnet die Augen und sieht den Soßenfleck auf ihrem roten Kleid. Wieder mal gekleckert. Auf das Kleid für den Mann, der auch heute nicht gekommen ist. Macht nichts, denkt Marie. Irgendwann, irgendwo wird er auftauchen. Sie wird ihn schon erkennen, wenn er auf den Tisch springt mit seinem verwegen geöffneten Hemd und den Nur-Du-Augen. Ihm sind Flecken egal. Na ja, denkt Marie, hoffentlich landet er nicht in der Buttersoße.
“Trapi trapu“, sagt der Mann gegenüber und sein Nachbar nickt und lacht. Manchmal hat Marie es mit den Ohren.
„Zickelismus, Pickelismus“, zwitschert seine Gefährtin auf der anderen Seite.
Sie scheinen sich zu verstehen. Marie versteht nichts. Sie sieht nach links. Der Mann mit geöffnetem Hemd - nur der oberste Knopf - distinguiert provozierend, erzählt ihr ein Märchen. Ricardo heißt er. Distinguierter Ricardo - sicher ein Witz.
„Trapi trapu“, sagt er mit Betonung auf den Vokalen und lacht gleich hinterher, kürzer, abgehackter. Zickpick.
Marie lächelt . „Entschuldigung“, sagt sie und läßt ihre Serviette fallen.
Sie taucht zu ihren Schuhen und zählt die Männerhände auf Frauenschenkeln. Es ist zu früh, die Bäuche sind noch leer, die Finger werden fürs Besteck gebraucht. Man sollte nachschenken, denkt Marie. Pro Finger ein Glas. Pro zwei Schenkel eine Hand - das wäre nur fair.
Der Saxophonspieler heult auf und Marie nickt. Gleich wird er enden und seinen Applaus einstreichen. Seinen Obulus sicher auch. Ob er daheim auch Saxophon spielt?, fragt sich Marie. Kann man mit Saxophon lustig sein?
Beverly pickelt gerade mit ihrem Gegenüber, aber Ricardo überwindet Maries Hörproblem. „Hoffentlich gewöhnen Sie sich ein in der neuen Heimat!“
„Ach“, sagt Marie. „Da spricht man auch nur trapitrapulanisch. Das wird schon.“
Ricardo zieht eine Augenbraue hoch und dreht sich zum Salat.
So wird das nichts mit einer Hand auf dem Schenkel, denkt sich Marie, trinkt aber dennoch ein Glas. Egal, wer will schon eine Ricardohand.
Ein Mann steht auf. Eine Rede. Wie schön. Eine Rede für Marie.
Sie zeigt Aufmerksamkeit, setzt dankbare Rührung ins Gesicht und lauscht.
Herrliche Worte und sie glaubt alles. Nur heute Nacht. Warum nicht, denkt Marie. Heute glaube ich alles.
Zur Belohnung bekommt sie zwei Geigenstücke, ein Abschiedsgeschenk. Der Mann hinten am Tisch hat sie eingeübt. Wie nett!
Marie lehnt sich zurück, schließt die Augen und träumt. Wenn sie jetzt noch wüßte, wer der Geigenspieler ist, könnte sie ihn einpacken und mitnehmen. Sie könnte ein paar der anderen Souvenirs dafür hierlassen. Die Perlen zum Beispiel.
Ein falscher Strich öffnet ihre Augen. Der Geigenspieler grinst schräg und schiebt sich den Finger in den zugeknöpften Kragen. Marie wendet sich dem Salat zu. Der Saxophonspieler übernimmt noch eine Runde.
Morgen ist nicht Sonntag. Zeit zu gehen.
„Entschuldigung“, sagt Marie und nimmt ihre Schuhe in die Hand. „Ich muss jetzt.“
Sie streichelt die Füße durchs Gras und lächelt dem Saxophonspieler noch einmal zu.
Man sollte ihm ein Glas geben, denkt Marie. So viel Musik verdient eine Hand.
„Vielen Dank”, erwarten die Gastgeber an der Tür.
Marie steht draußen und holt tief Luft. Es ist warm und wunderbar dunkel. Der Mond in seiner Sichel ist nach unten gekippt und beleuchtet nur vage ihren Weg. Es ist still.
„Trapi trapu”, kichert Marie und trippelt los.
In welcher Richtung war nochmal daheim?
Egal, denkt Marie.